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Kirchen und Schlote

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Wenn die Diözese St. Pölten vor einiger Zeit des 60jährigen Priesterjubiläums ihres 14. Oberhirten, Exzellenz Michael Memelauers, gedachte, wenn sie am 26. Mai dieses Jahres das 30jährige Bischofsjubiläum ihres hochwürdigsten Ordinarius festlich begehen wird, dann ist es wohl sinnvoll und berechtigt, die Bedeutung des Industriezentrums St. Pölten als Bischofsstadt und Mittelpunkt der Diözese hervorzuheben und in entsprechender Weise zu würdigen.

Die Kirchengeschichtsforschung hält es nicht für ausgeschlossen, daß St. -Pölten, das altrömische Aelium Cetium, in dessen Stadtbezirk um das Jahr 304 der hl. Florian gelebt hat, schon im 4. Jahrhundert Bischofssitz war. Segensreich wirkte im Gebiet der heutigen Diözese St. Pölten entlang der Donau der Apostel Norikums, St. Severin. Nach dem Sieg Karl des Großen über die Awaren konnte die Missionierung wohl sicher an vorhandene christliche Spuren anknüpfen, denn es ist kaum anzunehmen, daß in den Tagen der Völkerwanderung das Christentum in Norikum ganz ausgerottet wurde. In diese nachkarolingische Zeit fällt auch die Gründung des ältesten Klosters in Niederösterreich, „Traisma ad S. Hippolytum“, eine Tochtergründung des Klosters Tegernsee in Bayern, dessen Stifter, Adalbert und Ottokar, die Reliquien des hl. Hippolyt, des nunmehrigen Stadt- und Diözesanpatrons, mitgebracht haben. Als Eigenkloster des Hochstiftes Passau war St. Pölten dann im 9. Jahrhundert kirchliches und politisches Zentrum des bayrischen Grenzgebietes im Osten.

Durch den neuerlichen Einbruch der Magyaren fand die Missions- und Kolonisationsarbeit in diesem Gebiet eine jähe Unterbrechung. Erst der Sieg Kaiser Otto des Großen auf dem Lechfeld im Jahre 955 leitete einen neuen Frühling für die Christianisierung der Ostmark ein. In dieser Zeit begann Passau mtt der Errichtung der pfarrlichen Organisation auf dem Gebiet der heutigen Diözese St. Pölten. In der ersten Hälfte des 11. Jahrhunderts wurde das Benediktinerkloster St. Pölten in ein Chorherrenstift umgewandelt und blieb als solches bis zur Aufhebung durch Kaiser Josef II. am 16. Juli 1784 bestehen.

Sosehr auch der Name Kaiser Josef II. in Oesterreich mit dem Staatskirchentum verbunden ist, darf dennoch behauptet werden, daß sich die josephinische Reform durch die Errichtung der Diözese St. Pölten im Jahre 1785 besonders segensreich ausgewirkt hat. Wie Linz wurde auch St. Pölten vom Kaiser durch Abtrennung von der Mutterdiözese Passau als eigenes Bistum errichtet. Ursprünglich war auch in Niederösterreich die Errichtung eines Landesbistums geplant, schließlich aber erwog man die Teilung des Landes in zwei Bistümer und führte diese Teilung auch durch. Der Bischofssitz Wiener Neustadt sollte nach Melk transferiert werden. Bischof Kerens entschied sich aber für St. Pölten und erwählte sich als erster Bischof der neugegründeten Diözese das aufgehobene ehemalige Chorherrenstift zur Residenz. Damit begann die Stadt an der Traisen ihren Werdegang als Bischofssitz.

Die günstige Lage und die, kirchengeschichtlich gesehen, bedeutsame Stellung haben die Wahl St. Pöltens zur bischöflichen Residenz der neuerrichteten Diözese vollauf gerechtfertigt. Der imponierende Domturm, an dessen barocken Abschluß kein Geringerer als Prandtauer mitgebaut hat, ist zum Wahrzeichen der Bischofsstadt geworden. Die Domkirche darf nach der vorbildlichen Renovierung im Jahre 1949 wohl zu den kostbarsten Barockjuwelen unserer Heimat gerechnet werden.

Vom Sitz des Oberhirten gehen die religiösen Impulse hinaus in die ganze Diözese, die in den letzten Dezennien bevölkerungspolitisch weithin ihr Antlitz geändert hat. Bereits 50 Prozent der arbeitenden Bevölkerung entstammen heute Arbeitnehmerkreisen. Als Industriezentrum legt die Stadt Zeugnis ab von-der fortschreitenden Industrialisierung in unseren Tagen. Die bischöflichen Zentralstellen tragen dieser Entwicklung auch im kirchlichen Bereich Rechnung. 14 neue Pfarren wurden in den letzten 30 Jahren ernchtet und sind weiterhin im Ausbau.

Wenn man bedenkt, daß St. Pölten im Jahre

1900 nur 14.533 Einwohner zählte, eine Zahl, die bis zum Jahre 1920 auf 23.061 angestiegen ist und 1956 bereits 38.500 erreicht hat, so wird es nicht wundernehmen, daß zu den fünf neuerrichteten Stadtpfarren in nächster Zeit weitere drei neue Pfarren errichtet und neue Kirchen gebaut werden müssen. Die Notwendigkeit neuer Kirchenbauten und Pfarrerrichtungen ergibt sich in ähnlicher Weise an anderen seelsorglichen Brennpunkten der Diözese, wie zum Beispiel in Krems, Tulln, Amstetten, und in kleineren Industrieorten, wie St. Valentin, Nagelberg und Gaming. Zur Zeit stehen in der Diözese sieben neue Kirchen im Bau.

Für dep Priesternachwuchs ist durch die beiden

Knabenseminarien in Melk und Seitenstetten und teilweise auch durch das Spätberufenen- seminar in Rosenburg sowie durch das Priesterseminar in St. Pölten in zufriedenstellender Weise gesorgt, wenn es auch noch viele Jahre dauern wird, bis die Diözese den ärgsten Priestermangel überwunden haben wird.

Dem Ausbau von Caritas-Kindergärten und

Caritas-Vorschulen, die lieh ausgezeichnet bewährten, wird weiterhin ein besonderes Augenmerk geschenkt werden müssen. Die Errichtung eines neuen Bildungshauses ist zur unaufschiebbaren Notwendigkeit geworden,'’ nachdem das Jugendheim in Wallsee den Anforderungen der Diözese nicht mehr entsprechen kann.

Eine wertvolle moderne „Kanzel" in der Diözese darf wohl das „St.-Pöltner Kirchenblatt' genannt werden, das in einer Auflage von

65.000 Exemplaren erscheint. An seiner Vervollkommnung hinsichtlich Druck und Illustration wird gearbeitet. Ein großes Anliegen hat der Preßverein der Diözese St. Pölten durch die Errichtung der einzigen katholischen Buchgemeinschaft Oesterreichs „Welt und Heimat" aufgegriffen. Nach Ueberwindung großer Schwierigkeiten und in konsequenter Verfolgung des gesteckten Zieles ist es gelungen, das Werk auf eigene Füße zu stellen. Die Mitarbeit aller Diözesen Oesterreichs sichert dieser wagemutigen und vorbildlichen Pionierarbeit, die wahrlich die Unterstützung und Förderung aller Katho liken Oesterreichs im Kampf gegen Schmutz und Schund und glaubensfeindliche Literatur verdient, den weiteren Auf- und Ausbau.

Als eines der wichtigsten seelsorglichen Anliegen in der Diözese muß die organisierte und private Initiative der Katholiken angesehen werden. Die Katholische Aktion konnte bisher in der Männer- und Frauenbewegung den Grund stock einer Elite von Aktivisten und Helferinnen heranbilden, die dem Klerus in seiner Seelsorgearbeit in aufrichtiger Einsatzbereitschaft treu zur Seite stehen. Diese Elite weiß nicht nur um die Berufung des Gottesvolkes zum allgemeinen Priestertum, sondern sie handelt auch darnach, eingedenk des Wortes Papst Pius’ XL: „Niemand hat das Recht, mittelmäßig zu sein." Die katholische Jugendarbeit hat in der Diözese weithin Wurzel geschlagen und ist wohl von allen Gliederungen der Katholischen Aktion im Hinblick auf organisatorischen Aufbau und Planungsarbeit am weitesten gediehen. Die Jugendarbeit wurde sofort nach Kriegsende in Angriff genommen. Sie ging anfänglich mehr darauf aus, die Masse der Jugendlichen anzusprechen, legt ihr Hauptgewicht heute aber vor allem auf die religiöse Vertiefung und innere Durchformung des jungen Menschen, um ihn zu immunisieren gegen die Flut moderner Zeitirrtümer. Mit besonderer Genugtuung darf darauf hingewiesen werden, daß sich gute Ansätze auch in der katholischen Arbeiterjugend der Diözese zeigen. Nicht unerwähnt soll die Arbeit des katholischen Familienverbandes der Diözese bleiben, der mit seinen 55.000 Mitgliedern mit an der Spitze der österreichischen Diözesen steht. Für die Gesundung der Familie, dem „neuralgischen“ Punkt des modernen Gesellschaftslebens, darf uns wahrlich kein Einsatz zu schwer sein. Papst Pius XII. sagte einmal: „Die Kirche kann sich nicht untätig in die Stille ihrer Gotteshäuser zurückziehen und so die von der göttlichen Vorsehung ihr zugewiesene Sendung aufgeben, nämlich den ganzen Menschen zu bilden und dadurch rastlos mitzuarbeiten am Bau des festen Fundamentes der Gesellschaft. Diese Sendung gehört zu ihrem Wesen selbst."

Gerade die schwere und reich differenzierte Aufgabe, vor die die oberhirtliche Leitung einer Diözese in unseren Tagen den Bischof stellt, ist ein Beweis mehr dafür, daß die Abtrennung des österreichischen Anteiles von der Riesendiözese Passau und die Errichtung der Diözesen St. Pölten und Linz für die Fortführung einer gediegenen Seelsorgearbeit nur zu berechtigt war. Mit 416 Pfarren, 6TO Priestern und mehr als 600.000 Katholiken steht St. Pölten unter den Bistümern Oesterreichs an vierter Stelle und dokumentiert damit die Bedeutung, die ihm im kirchlichen Raume unseres Vaterlandes zukommt.

Mögen Maria, die „Beata Assumpta“, als Patronin der Bischofskirche, und St. Hippolyt, der Schutzherr der Stadt und Diözese St. Pölten, auch weiterhin die Mittler göttlichen Segens sein für die Erneuerung und Festigung des Gottesreiches in den Herzen der Menschen unserer Diözese!

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