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Koalition gegen die Dumpfheit

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Seit Jahren bilden der Grazer Bürgermeister Alfred Stingl und Pfarrer Wolfgang Pucher eine ungewöhnliche Koalition im Kampf gegen Dumpfheit, Ignoranz und Gleichgültigkeit.

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Seit Jahren bilden der Grazer Bürgermeister Alfred Stingl und Pfarrer Wolfgang Pucher eine ungewöhnliche Koalition im Kampf gegen Dumpfheit, Ignoranz und Gleichgültigkeit.

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Höhepunkt dieser fruchtbaren Zusammenarbeit zwischen dem SPÖ-Politiker und dem streitbaren Pfarrer von Eggenberg ist das „Vinzi-Dorf“ in Graz St. Leonhard.

Seit mehr als zwei Jahren betreut die Vinzenzgemeinschaft Eggenberg obdachlose In- und Ausländer in Graz. Neben dem „Vinzi-Bus“, der täglich Obdachlose mit belegten Broten und Tee versorgt, einem kurzfristigen Zeltdorf („Vinzi-Zelt“ für Flüchtlinge im Sommer 1992) und einer (Not)-Schlafstelle für Ausländer bemühte sich die Vinzenzgemeinschaft Eggenberg um eine Notunterkunft für „inländische“ Obdachlose („Sandler“).

Siebenmal scheiterte der Versuch, auf einem bereits als adäquat befundenen Grundstück Container aufzustellen. Höhepunkt der Auseinandersetzungen um das Container-Dorf war die Bezirksversammlung in Graz-Straßgang. Im Mittelpunkt: Der SPÖ-Bezirkspolitiker Josef Krip- pl, der wochenlang die Lokalseiten der Tageszeitungen und auch die monatsillustrierte „Wiener“ beschäftigte. So sprach der SP-Bezirks- vorsteher von einem drohenden, „für die Bevölkerung unzumutbaren * Asylantenghetto, schlechter wie Mauthausen“ in seinem vom „Verkehrs-Holocaust“ heimgesuchten Bezirk („Kleine Zeitung“). Diese NS-Anspielungen wiesen die Grazer SP-Klubspitzen Heidi Zotter-Straka und Karl-Heinz Herper in der „Neuen Zeit“ scharf zurück. In der „Kro- nen-Zeitung“ bestritt Krippl daraufhin diese Aussagen, wußte aber zu berichten, „daß es eine Vergasung bei uns, zum Beispiel in der Kärnt-

nerstraße, gibt“. Gegenüber der „Neuen Zeit“ verstieg sich der Bezirksvorsteher - im Zusammenhang mit den künftigen Container-Dorf- Bewohnern - zur Aussage: „Wir sind mit unseren Vergewaltigungen in Straßgang zufrieden, wir brauchen keine mehr….“ Das bürge- rinnen- und bürgernahe Service des SP-Bezirksver- treters erschien jedoch plötzlich in einem anderen Licht. Pikanterweise berichtete die „Neue Zeit“ am 22. Oktober, daß gegen den Bezirksvorsteher eine Anzeige wegen’

„sexueller Belästigung am Arbeitsplatz und Bedrohung“ bei der Staatsanwaltschaft Graz erstattet worden sei. Laut „Wiener“ soll Krippl — anläßlich einer „nächtlichen Dienstfahrt“ rund um Graz — die 19jährige Kindergartenpraktikantin Sigrid S. zum Beischlaf aufgefordert haben, da er zu seinen Mitarbeiterinnen „200prozentiges Vertrauen“

brauche. Mitte Dezember wurde das Verfahren von der Staatsanwaltschaft Graz eingestellt. Für die Grazer SPÖ ist die Affäre Krippl damit beendet. In seinem Weihnachtsschreiben formuliert der Bezirksvorsteher bereits kryptisch: „Es ist mir auch egal, was man über mich sagt oder denkt, denn ich möchte jeder Straßgangerin und jedem Straßganger offen in die Augen sehen können.“ Der 19jährigen Sigrid S. werden diese vertrauenserweckenden Worte nichts mehr helfen: Sie mußte den Job im Kindergarten aufgeben.

Vorbildlich reagierten — nach den Vorfällen in Straßgang — die Bezirkspolitiker von Graz-St. Leonhard. Gemeinsam mit dem Pfarrge- meinderat genehmigten sie die Errichtung des „Containerdorfes“ auf einem Grundstück der Pfarre. Am 1 .Dezember war die Adaptierung des „Vinzi-Dorfs“ in Graz-St. Leonhard abgeschlossen. Zehn

Wohncontainer verschiedener Bauart und Größe mit maximal 32 Betten, ein Sanitärcontainer, ein Speisewagen und ein Doppelcontainer für Versammlungen und Verwaltung bilden die künftige Heimat für die „inländischen Obdachlosen“.

Im FURCHE-Gespräch unterstreicht Pfarrer Wolfgang Pucher , daß es „in Graz derzeit niemand

Sbt, der im Freien schlafen muß.

enn wer zu uns kommt und um Aufnahme bittet, wird auch aufgenommen.“

Uber mangelnden Zuspruch kann Pucher nicht klagen: Das „Vinzi- Dorf“ ist voll ausgelastet, demnächst sollen vier neue Conątainer zum Stückpreis von 91.000 Schilling erworben werden. Für diese Investition und zur Abdeckung der monatlichen Stromkosten von 20.000 Schilling bittet Pucher um Spenden. Die Kontonummern:

PSK, Kennwort Armendienst, Konto Nr. 92023222 beziehungsweise Steiermärkische Sparkasse, Kennwort „Vinzi-Bus“, Konto Nr. 2200- 402622

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