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Leithakalk

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Wer £e verschiedenen Bauwerke Wiens mit offenen Augen ansieht, dem wird an vielen von ihnen schon ein merkwürdiger weißlicher Stein aufgefallen sein, dessen Oberfläche übersät ist mit etwa halbzentimetergroßen kreisförmigen oder ovalen schneeweißen Flecken. Man verwendet ihn besonders zu Balustraden — wie etwa auf der Universitätsrampe —, zu Postamenten — die Statuen vor dem Rathaus! — oder auch direkt als Baustein. Es ist Leithakalk, genannt nach dem Orte seines auffälligsten Vorkommens, dem Leithagebirge. Von dort ftammt auch das Material, das bei den Bauwerken unserer Stadt verwendet wurde. Wenn wir uns, von Wien aus kommend, durch die Ebene dem Leithagebirge nähern, fällt uns schon von weitem am Fuß der Bergkette eine Reihe heller Flecke auf; riesige Steinbrüche reihen sich hier aneinander, in Kaisersteinbruch, Sommerein, Mannersdorf, Hof, Au, Loretto und weiter kn Süden noch in der Gegend um Eisenstadt. Aber auch am anderen Ende der Ebene, am Alpenostrand, finden wir dieses Gestein, in Nußdorf. Kalksburg, Baden. Wollersdorf, wenn auch hier nicht so rein und ausgedehnt, daß es technisch verwertet werden könnte.

Das ist ein merkwürdiges Vorkommen: das ganze Wiener Becken ist umsäumt von mächtigen Lagen dieses Kalksteins; die Lagen sind nicht geschichtet, wie etwa die Tone und Sande, die in den Ziegelwerken und Sandgruben draußen in der Ebene aufgeschlossen sind, sondern es sind dichte, massive Bänke. Dies alles findet seine Erklärung, da wir auf Grund eingeschlossener versteinerter Muschel- und Schneckenreste feststellen, daß der Leithakalk aus der jüngeren Tertiärper:ode stammt (genauer aus dem mittleren Miozän, dem Torton). Wir wissen ferner, daß in jener Zeit das Wiener Becken eine große Meeresbucht bildete zwischen dem Festland der Alpen und einer Inselkette an der Stelle des heutigen Leithagebirges. Während sich am Boden dieses Meeres die verschiedenen toni- gen und sandigen Schichten ablagerten, bildete sich am Rande in mächtigen Bänken und Riffen der Leithakalk, so etwa, wie sich heute in tropischen Meeren längs der Küste Korallinriffe aufbauen.

Wer hat diese Kalkmassen abgesetzt? Korallen waren es offensichtlich nicht; wir kennen zwar verschiedene Korallen aus dem Tortonmeer, sie sind aber durchwegs Einzel- ‘formen oder höchstens kleine Stöckchen. Wir brauchen aber gar nicht weit zu geben, um ähnliche Bildungen in der Gegenwart zu finden. Schon in der Adria — in der es übrigens keine Korallenriffe gibt — stoßen wir läftgs der Steilküste in der Brapdungszoae aai Kalksäume, die im Aufbau ganz dem Leithakalk entsprechen. Diese Kalke stammten von Algen, und zwar von Rotalgen aus der Familie derCorallinaceen (der Name deutet schon auf die äußerliche Ähnlichkeit mit Korallen hin). Die wichtigste Gattung ist- Lithotham- nium (Steinsträuchlein); sie bildet Krusten oder Knollen, manchmal von mehr als Faustgroße, die auf dem Felsen festgewachsen sind, zuweilen aber auch lose auf dem Meeresboden Hegen. Oft siedeln sich junge Exemplare auf abgestorbenen älteren an und bauen so den _Stock weiter, bis große, massige Bänke entstehen. Vielfach sind die Knollen auch höckerig oder lappig verzweigt, manchmal sogar fein verästelt; die äußere Gestalt hängt in hohem Grad von den Standortbedingungen ab: je ruhiger das Wasser, desto feiner die Äste. Im lebenden Zustand sind diese Algenknollen meist wunderschön leuchtend rot, manchmal auch zart rosa oder violett. Nach dem Absterben verschwindet der Farbstoff rasch und die Algen erscheinen durch den eingelagerten Kalk weiß.

Solche Lithothamnienkalke sind also die Massen des Leithakalks. Verhältnismäßig selten ist dabei der „primäre“ Kalk, bei dem die Kalkalgenbänke selbst, so wie sie gewachsen sind, zu Gestein wurden. Was wir so als Baumaterial gewinnen, ist zum größten Teil „sekundärer“ Kalk, durch Wellenschlag und Brandung aufgearbeitete Algenriffe, ein Haufwerk von zerbrochenen Ästchen und Knollen, die man jetzt eben noch so deutlich als rundliche, helle Querbrüche im etwas dunkleren Füllmaterial des erhärteten feinen Kalkschlammes erkennen kann. Ein reiches Tierleben hat auf diesen Uferbänken und in der Brandungszone geherrscht. In den Leithakalken und den mit ihnen immer eng verbundenen Strandkonglomeraten finden sich Muscheln, große, auffällige Pilgermuscheln und Herzmuscheln, und daneben viele kleinere Formen, Schnecken, Fischzähne, vor allem von Haien, zum Teil von riesiger Größe, prächtige Seeigel und als Seltenheit manchmal ein schöner Seestern; röhrenbauende Würmer und rasenbildende Moostierchen überzogen Gerolle und leere Muschelgehäuse, und von Bohrwürmern durchsetztes Treibholz wurde von den Wellen angeschwemmt. Aber auch über das Leben auf dem benachbarten Lande gibt uns der Leithakalk Aufschluß: wer — etwa in Kalksburg — die Steinbrüche absucht, wird sicher den Abdruck eines Föhrenzapfens finden. Diese Föhren — es sind Arten, wie sie sich heute ähnlich im Mittelmeergebiet finden — müssen die Charakterbäume der damaligen küstennahen Gebiete gewesen sein, so zahlreich sind ihre Reste; seltener sind Spuren anderer Landpflartzen, sie alle zeigen ein auffälliges subtropisches Gepräge.

So ersteht uns aus dem Stein das Bild unserer Heimat vor etwa 25 Millionen Jahren: weithin flutet das Meer und schlägt an felsige Steilküsten, über denen die Hänge und Felskuppen mit dichten Föhrenwäldern bestanden sind. Unten aber, wo die Brandung gischtet, liegt unter dem Wasserspiegel ein breiter, weiß und rot leuchtender Saum, eine Bank von Kalkalgen. Mannigfaltiges buntes Getier kriecht und schwimmt zwischen den Pflanzen herum, während draußen riesige Haie durch die Fluten gleiten. Das Ganze ein Bild, wie es ähnlich heute di: Inselwelt der dalmatinischen Küste bietet.

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