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Mariahilferstraße: Zum Tod verurteilt

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Am Londoner Piccadilly Circus, unter dem sich ebenfalls eine Passage befindet, wird jetzt eine Fußgängerebene geplant, die über dem Autoverkehr errichtet werden soll, damit dieser Platz sein großstädtisches Leben, das sich im Freien und nicht unterirdisch abspielt, nicht einbüßt. Man bedenke aber, daß eine solche Lösung am Stephansplatz unmöglich ist, weil man ja den Dom nicht in der Höhe des 1. Stocks anschneiden kann. Hier müssen also die Autos in die zweite Ebene!

Einer solchen Lösung stünde jedoch eine Passage für immer im

Wege. Gelingt es aber, eine Verkehrslösung zu finden, die nicht nur die Kärntnerstraße, sondern auch den Stephansplatz zur Fußgängerzone macht — dann ist die Passage erst recht überflüssig!

Noch mehr vermißt man im vorliegenden Plan die Dreiecks- (oder Vierecks-) Aufschließung der Innenstadt, wenn man die sinnlose, zufällig entstandene enge Verflechtung von Linien im Raum des Allgemeinen Krankenhauses betrachtet, die sich durch die schon erwähnte Verlängerung der 2er-Linie nach Norden ergibt.

Tatsächlich dürfte die Führung der U-Bahn durch die Burggasse der schwerste Fehler des Planes sein. Die Mariahilferstraße, seit jeher eine Erweiterung des Citygebietes, steht der Innenstadt an Bedeutung kaum nach. Ihre Wirtschaftskraft ist das Werk fast eines Jahrhunderts. Der Verlust an Volksvermögen, die Auswirkungen auf den Stadtorganismus überhaupt, sind nicht kalkulierbar, wenn man —und das läßt sich sicher sagen — dieses Gebiet durch Entzug der U-Bahn, an der sich der übrige Stadtkörper erneuert, zu Tode trifft.

Dabei gibt es nur schwache Argumente gegen, aber starke Argumente für die Mariahilferstraßen-

linie. Die Nähe der Wientallinie ist für die Mariahilferstraße unerheblich — aber zwischen Wiental- linie und Burggassenlinie würde natürlich nie mehr eine dritte Linie durch die Mariahilfersttaße gebaut werden. Der Verkehr dieses Geschäftsgebietes könnte der U-Bahn- Linie die so vorteilhafte Frequenz außerhalb der Spitzenzeiten bringen, sie würde auch den Westbahnhof berühren, der — unser wichtigster Fernbahnhof! — im vorliegenden Plan gar nicht mit der Innenstadt verbunden ist. Diese Linie konnte ebenso in die Hütteldorferstraße einschwenken, wie dies für die Burggassenlinie geplant ist, und befände sich noch immer in ausreichender Nähe der Stadthalle.

Verkehrsbauten als notwendiges Übel?

Wenn daher von dem „Grundnetz“ gesagt wird, es könne „ohne Gef ahr einer... Präjudizierung des Gesamtnetzes beschlossen werden“, so entspricht dies nicht den Tatsachen. Das Gesamtnetz ist schon durch die Übernahme des 2er-Tun- nels präjucfiziert; aber das „Grundkleidungen auszuwählen. Es ent-

netz“ fügt noch zwei entscheidende Fehler hinzu: es erschließt die Innenstadt ncht optimal und es präjudi- ziert die Burggassenlinie.

Als 1892 der Bau des Stadtbahnnetzes beschlossen wurde, beauftragte man den größten Architekten der damaligen Zeit — Otto Wagner — damit, dieses die ganze Stadt umspannende (und deshalb mit Recht so zu nennende) Verkehrsbauwerk zu entwerfen. Entwerfen — das hieß: vom Anfang der Planung an Stimme und Einfluß zu haben, bei der Planung des Netzes mitzubera- ten, schließlich die Anlagen der Strecke und der Stationen auszuarbeiten — nicht etwa den Ausbau der fertigen Anlage in „geschmacklicher“ Hinsicht zu überwachen oder Muster und Farben für Wandver- stand ein Bauwerk, dem das Stadtbild mehr verdankt, als den meisten Bewohnern Wiens bewußt wird.

Dieses Bauwerk ist durch den geplanten U-Bahn-Ausbau betroffen; es müssen Rolltreppen eingebaut, Perrons und Dächer angehoben werden. Schon 1963 (Nr. 20) hat „Die Furche“ verlangt, daß. Umbauten .an der Stadtbahn von einem Architekten, der dem Anspruch dieser Qualität gerecht wird, durchgeführt werden sollen.

In Mailand, wo vor einem Jahr eine erste U-Bahn-Linie eröffnet wurde, ist die gesamte Gestaltung einem Team (Architekt und Graphiker) übergeben worden — von den Bau- entweürfen bis zur Beschriftung. Um wieviel mehr muß man in Wien verlangen, daß für das Vorhaben der U-Bahn, das noch viel größer ist als das der Stadtbahn Otto Wagners, ein Architekt gewonnen wird, der imstande ist, dieses Bauwerk, die tägliche Umgebung hunderttausender Wiener, zu einem Kulturfaktör zu machen.

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