Czech Hermann - © Foto: David Pasek

Hermann Czech: "Mein kritisches Vorbild war Karl Kraus"

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Ein System zu schaffen, in dem eine Person mit Fahrrad ans Ziel gebracht wird, und sich von jeder Stadtstruktur zu lösen, ist merkwürdig. Was dabei verloren geht, ist der Begriff der Stadt als Netz.

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Ein System zu schaffen, in dem eine Person mit Fahrrad ans Ziel gebracht wird, und sich von jeder Stadtstruktur zu lösen, ist merkwürdig. Was dabei verloren geht, ist der Begriff der Stadt als Netz.

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Das Werk des 81-jährigen Wiener Architekten Hermann Czech ist voller Vielfalt und Perfektion: Lokale, Geschäfte und Wohnhäuser, er plante für die U-Bahn und Ausstellungen, derzeit arbeitet er am Umbau des Freud-Museums.

Die Furche: Die neue Ihnen gewidmete Monografie beginnt mit einer Kindheitserinnerung an die Z-Filiale von Adolf Loos in der Mariahilfer Straße. Steht am Anfang Ihres Lebens statt Kriegserinnerungen ein architektonisches Erweckungserlebnis?

Hermann Czech: Das war vor 1945, noch zur Volksschulzeit. Dieses hohe dunkle Portal mit den Lampen, die oben brannten, war ungewöhnlich. Ich durfte allein ins Nonstop-Kino über die Mariahilfer Straße gehen. Das war für mich der Inbegriff der Großstadt. Vor allem wenn es sich bei Regen im Asphalt spiegelte. Ein bewusstes Architekturinteresse war erst im Gymnasium in Strebersdorf. Dort gab es im Konvikt eine neugotische Kirche mit einem blauen Himmel und goldenen Sternen. Das hat mich auch farblich beeindruckt.

Die Furche: Das war in den Trümmerjahren, zur Zeit des beginnenden Wiederaufbaus.

Czech: An die Trümmer hat man sich gewöhnt. Die waren noch gut ein Jahrzehnt lang da.

Die Furche: Sie konnten sich anfangs nicht zwischen einem Film-Studium und der Architektur an der TU entscheiden.

Czech: Damals war viel im Gespräch. Ob ich zum Beispiel in die Gastronomie gehe - da haben die Eltern abgewunken. Vor allem meine Mutter wollte, dass ich studiere. Film und Architektur tendieren beide zu einer Art Gesamtkunstwerk, für mich war dann die Temperamentenlage entscheidend. Im normalen Film gibt es Dinge, die man nicht richtig macht und nachher nicht mehr ausbessern kann. In der Architektur kann man heimgehen und sich etwas Neues überlegen. Die Architektur hat einen längeren Atem.

Die Furche: Film und Trümmerjahre - wann haben Sie den "Dritten Mann" gesehen?

Czech: Bald nachdem er erschien. Mein Vater war Gastwirt, er hat das Catering für den Dritten-Mann-Dreh gemacht. Ich kenne die Tischtücher, die im Film verwendet wurden.

Die Furche: Wie wurde Hermann Czech zu jenem Architekten, der selbst für kleine Arbeiten unendlich viele Details ausarbeitet. War das die Beschäftigung mit Leuten wie Adolf Loos und Josef Frank, die zur Zeit Ihres Studiums wiederentdeckt wurden?

Czech: Ein Problem für jeden jungen Architekten ist die Frage, wie kommt man zu Entscheidungen, vor allem zu originellen. Ein Weg ist, sich etwas in Zeitschriften abzuschauen und daraus ein System zu entwickeln. Das ist die schwächere Variante. Oder man fragt weiter und sagt sich, das kann nicht genug sein. Das ist der gescheitere, aber auch der Weg mit größerer Verzweiflung.

Die Furche: Den Sie gewählt haben.

Czech: Ich weiß nicht, ob man sich das aussucht. Einer wird früher sicher, der andere bleibt immer unsicher - was hier von Vorteil ist, ist fraglich. (lacht)

Die Furche: Wie wichtig war Ihnen das Schreiben über Architektur?

Czech: Ziemlich früh sehr wichtig. Ich habe einen direkten Zusammenhang zwischen Sprache und Architektur angestrebt.

Die Furche: Daraus wurde die Zusammenarbeit mit der FURCHE. Ihr erster Artikel "Die Stadtbahn wird unterschätzt" erschien 1963.

Czech: Es war der erste Artikel, den ich überhaupt schrieb und ich war unsicher, ob das überhaupt brauchbar war. Es ging darin nicht nur um Otto Wagners Begründung und Erfassung einer Stadtstruktur durch dieses Verkehrsmittel, sondern auch darum, wie es verwendet wird, um für die Menschen eine interessante und reizvolle Erfahrung darzustellen. Die Einsicht, dass Wagner interessant ist, dämmerte damals gerade erst herauf.

Die Furche: Ihre Texte zu aktuellen Architekturdiskussionen waren mitunter ziemlich angriffig.

Czech: Mein kritisches Vorbild war Karl Kraus, auch wenn man in diese Schuhe nicht hineinsteigen konnte.

Die Furche: Die Kraus-Ausgabe nimmt in Ihrer umfangreichen Bibliothek einen prominenten Platz ein, ist mit vielen Zetteln gespickt.

Czech: "Die letzten Tage der Menschheit" kann ich fast auswendig. Was die Zettel betrifft - in der Fackel findet man ja nichts mehr, wenn es nicht gerade um einen Namen geht. Wissen Sie, wie oft ich dieses Zitat schon gesucht habe - "Künstler ist nur einer, der aus der Lösung ein Rätsel machen kann." (lacht)

Die Furche: Sie gehören einer Generation des Neubeginns und der Ablehnung an. Waren die 50er-Jahre tatsächlich so miefig, wie heute oft gesagt wird?

Czech: Ja, schon! Aber Leute wie Holzmeister oder Welzenbacher, die über profunde Kenntnisse verfügten, wurden akzeptiert. Es wurde nicht alles aus der Vergangenheit abgelehnt.

Die Furche: Bis zum Jahr 1968 und der Studentenrevolte. Haben Sie eigentlich "Kunst und Revolution", das skandalöse Happening im Neuen Institutsgebäude der Uni Wien wahrgenommen?

Czech: Ja, ich war dort. Ich empfand es als wirkliches Theatererlebnis!

Die Furche: Die so genannte Uniferkelei als Modell für Architekten?

Czech: Als Architekt fand man nicht, dass man jetzt die ganze Architektur zerstören müsste. Das gilt zumindest für mich. Es gab schon welche, die meinten, man müsste alles niederbrennen, aber das haben sie nicht wirklich gemacht. Und es gab einige, die statt Projekten dicke, hektographierte Packen an Papier als Arbeit abgaben.

Die Furche: Im Zuge Ihrer Beschäftigung mit Stadtplanung haben Sie in den 60er-Jahren mit Friedrich Tamms, dem Architekten der Wiener Flaktürme, Kontakt aufgenommen. Was hat Sie an der Naziarchitektur interessiert?

Czech: Die Frage war, was mit den Flaktürmen geschehen sollte und wie klar Tamms war, was er in Wien gemacht hatte. Er hat behauptet, die Flaktürme seien nur technische Bauwerke gewesen. Ich fand heraus, dass es unter seinem Namen Publikationen gab, wie diese später einschlägig hätten dekoriert werden sollen. Für mich waren sie mit der Salzburger Festung vergleichbar: von dort aus wurde die Salzburger Bevölkerung unterdrückt .Diesen Vergleich fand ich nicht unfair. In Vorschlägen der Stadtplanung wurden damals Nazipläne eins zu eins übernommen.

Die Furche: In Ihren privaten Notizen jener Jahre findet sich viel Technikbegeisterung. Ein städtebauliches Projekt, das allerdings nicht von Ihnen stammt: Man wollte die Westautobahn bis zum Karlsplatz führen. Heute sind alle froh, dass das nicht passierte.

Czech: Naja. Einerseits - andrerseits. Damals dachte man zum Beispiel, das Elektroauto würde viel früher kommen. Es würde automatisierte Hochleistungsstraßen mit gekoppelten Fahrzeugen geben und das wäre der dann öffentliche Verkehr. Ein System zu schaffen, in dem eine Person mit dem Fahrrad ans Ziel gebracht wird, und sich dabei von jeder Stadtstruktur zu lösen, ist merkwürdig. Was dabei verloren geht, ist der Begriff der Stadt als ein Netz.

Die Furche: Sie sprechen jetzt von aktuellen Verkehrsproblemen?

Czech: Ich kann wie im Fall der Mariahilfer Straße einen Faden aus dem System nehmen - dann gibt es nur mehr bestimmte Verkehrsarten. Ich kann auch noch einen zweiten Faden herausnehmen, wenn ich aber auch die Querfäden rausziehe, habe ich plötzlich zwei Tücher in der Hand. Ich muss mir jetzt im Büro in der Innenstadt überlegen, ob ich in die Wohnung im sechsten oder zum Italiener im siebten Bezirk fahre. Es gibt keine Kreuzungen mehr und das ist eine antiurbane Vorstellung.

Die Furche: Ein zentrales Motto Ihrer Arbeiten lautet, ironisch gesagt: Architektur soll nur dann reden, wenn sie gefragt wird.

Czech: Wolf Prix hat einmal geschrieben, er schätze den Czech sehr, aber seine Architektur schreit ja ununterbrochen: "Schaut's her, wie unauffällig ich bin" (lacht). Es kommt auch vor, dass jemand nicht merkt, dass eine Arbeit von mir stammt.

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