3 zugeschnitten - © Foto: © Stephan Doleschal / Mid-Century Vienna

Mid-Century Vienna: Ästhetik des Fortschrittsglaubens

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Auf den Spuren der Mid-Century-Moderne: Eine Freiluftausstellung am Bauzaun des Wien Museums und ein Bildband machen deutlich, wie allgegenwärtig dieser unverkennbare Stil auch abseits bekannter Beispiele ist.

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Auf den Spuren der Mid-Century-Moderne: Eine Freiluftausstellung am Bauzaun des Wien Museums und ein Bildband machen deutlich, wie allgegenwärtig dieser unverkennbare Stil auch abseits bekannter Beispiele ist.

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Design im Geiste eines noch ungebrochenen Fortschrittsglaubens: Fließende, organische Formen, schräge Linien, leuchtende Primärfarben und matte Erdtöne waren die typischen Kennzeichen jenes Stils, der heute „Mid-Century Modern“ genannt wird. Einst wurde diese charakteristische Formensprache unter dem Etikett „Fünfziger Jahre“ subsumiert, was aber nicht wirklich akkurat ist, da die entsprechenden Stilelemente bereits in den 1930er Jahren verwendet wurden und bis tief in die 1960er Jahre hinein weite Verbreitung fanden.

Der Grafiker Tom Koch hat sich auf eine Spurensuche nach den Relikten der Mid-Century-Moderne in Wien gemacht. Herausgekommen sind dabei eine Freiluftausstellung am Bauzaun des im Umbau befindlichen Wien Museums – selbst ein Paradebeispiel für die gemäßigte Moderne der Nachkriegszeit in der Bundeshauptstadt – und ein sehr schöner Bildband. Auslösender Moment war der erste pandemiebedingte Lockdown im Jahr 2020, als Koch bei einsamen Spaziergängen immer wieder auf die baulichen Hinterlassenschaften jener Ära stieß und ihm klar wurde: „Bei näherer Betrachtung ist ganz Wien eine Art Mid-Century-Freilichtmuseum.“

Weithin bekannte Wiener Vertreter des Mid-Century-Stils sind Roland Rainers Stadthalle, der Ringturm und das Gartenbaukino. Hat man aber erst einmal einen Blick für die Formensprache jener Ära entwickelt, so entdeckt man einschlägig gestaltete Architektur allerorten: stromlinienförmige Skulpturen in den Höfen von Gemeindebauten, spacige Wetterhäuschen in Parks, Haltestellenhäuser mit dem Flair von Weltraumbahnhöfen, etwa am Schubertring, bei der Kennedybrücke oder beim Quartier Belvedere nächst dem Hauptbahnhof.

Koch hat auch Zugang erhalten zu baulichen Relikten jener Zeit, die der Öffentlichkeit verborgen sind: zum Beispiel der Wasserbehälter der Stadt Wien in Neusiedl am Steinfeld oder die Sendeanlage am Bisamberg, die beide eine prächtige Kulisse als Hauptquartier des nach Weltherrschaft strebenden Bösewichtes in einem der ersten James-Bond-Filme abgegeben hätten. Auch das Atominstitut der Österreichischen Universitäten im Prater ist unverkennbar mid-century modern. Eine kleine Geschichte am Rande, die Koch bei seinen Recherchen erfahren hat: Um den Anwohnern die Angst vor dem dortigen Kernreaktor zu nehmen, wurden die in der institutseigenen Kantine verkochten Lebensmittel bewusst bei den benachbarten Gärtnern bezogen.

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