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Minderheiten zwischen Alpen und Adria

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Die Grenzsituation zwischen. Italien und Jugoslawien bringt es mit sich, daß in Italien sowohl im Triestini-echen als auch im Räume von Görz eine starke slowenische Volksgruppe beheimatet ist, deren Siedlungsraum sich auch aiuf den gemischtsprachigen Teil der Provinz Udine erstreckt. Das Gebiet mit und um Triest und Görz bezeichnet man als Julisch-Venetien, zu Friaul gehören die Provinzen Udine und Pordenone. Während der Paragraph 6 der italienischen Verfassung und der Paragraph 3 des Regionalstatas aus dem Jahre 1963 grundsätzlich den Schutz der Minderheiten in der Region Friaul-Julisch-Venetien garantieren, stützt sich der Schutz der slowenischen Volksgruppe im Triestinischen außerdem auf ein internationales Dokument, und zwar auf das sogenannte Londoner Memorandum (Memorandum di Londra). Auf Grund des Londoner Memorandums wurde die Nachkriagisphase des Freistaates Triest beendet. Da das Gebiet auf beiden Seiten der italienisch-jugoslawischen Grenze im Küstenland von Minderheiten bewohnt wird, wurden im Londoner Memorandum auch Minderheitenschutzibestknmun-gen aufgenommen, die sich auf die Slowenen in der Zone A in Italien und die Italiener in der Zone B tn Jugoslawien beziehen. Die Respektierung des Londoner Memorandums und die Kontrolle über die Durchführung der Minderheitenschutz-bestimmiungen unterliegt einer zu diesem Zweck gegründeten italienisch-jugoslawischen Kommission, die ein- bis zweimal im Jahr entweder in Belgrad oder in Rom zusammentritt.

Die Stadt Triest zählt 275.000 Einwohner. In der Stadt und Umgebung von Triest leben 50.000 bis 60.000 Angehörige der slowenischen Minderheit.

Die letzten Wahlen in das Regionalparlament in Triest, das sich aus .61 Abgeordneten zusammensetzt, fanden im Jahre 1968 statt. Die in der „Slovensfca skupnost“, der Slowenischen Gemeinschaft, vereinigten Slowenen der Provinzen Triest und Görz konnten bei den Regionalwahlen mit ihrer Gemeinschaftslisite insgesamt 10.846 Stimmen auf sich vereinigen. Davon entfaillen auf die Provinz Triest 7816 Stimmen, während in der Provinz Görz 3030 Wähler für die slowenische Liste stimmten. Auf Grund dieses Wahlergebnisses ist die „Slovenska skupnost“ im Regionalparlament In Triest mit einem Abgeordneten vertreten. Da es innerhalb der slowenischen Volksgemeinschaft in Triest auch eine marxistisch orientierte Gruppe gibt, nimmt es nicht wunder, wenn die linksorientierten Slowenen in das Regionalparlament zwei Vertreter entsenden, die auf der Liste der kcnimunistisch.en Partei Italiens kandidiert haben. Ein Slowene wurde außerdem auf der Liste der kommunistischen Partei in das römische Parlament gewählt.

Das Minderheitenschulwesen

Ist in den Provinzen Triest und Görz auf Grund des Minderheitenschulgesetzes aus dem Jahre 1961 geregelt. Die Schulen der Provinz Udine blieben bei dieser Regelung ausgeklammert. In der Provinz Triest gibt es außer slowenischen Kindergärten 38 Volksschulen mit slowenischer Unterrichtssprache, ein humanistisches Gymnasium, ein Realgymnasium, eine Lehrerbildungsanstalt und eine Handelsakademie. Außer den genannten allgemeinbildenden höheren Schulen gibt es in der Provinz Triest neue slowenische dreijährige Eidheitsmittelschullen, in die die Schüler nach der 4. Volksschulstufe übertreten und deren Absolvierung als Voraussetzung für den Besuch einer höheren Mittelschule (Gymnasium usw.) gedacht ist Während in der Provinz Triest im Schuljahr 1967/68 1069 Schüler und Schülerinnen an den Volksschulen mit slowenischer Unterrichtssprache

eingeschrieben waren, besuchten im selben Schuljahr die slowenischen EinheitsmittelschuJien und höheren Mittelschulen 1040 Schüler und Schülerinnen. Das Studium der slowenischen Sprache und Literatur ist außerdem an der Universität Triest vorgesehen.

Die Slowenen haben entsprechend ihrer ideologischen Ausrichtung auch ihre eigenen Kulturverbände und Organisationen, ein Kulturhaus und ein Slowenisches Nationaltheater in Triest sowie eine eigene Radiostation mit ganztägigem Programm. Die kulturelle Tätigkeit wird in den slowenischen Tages- und Wochenzeitungen registriert, außerdem aber erscheinen in der Provinz Triest folgende Kulturzeitschriften: „MEadika“ („Die Sprosse“, katholisch ausgerichtet), „Zaliv“ („Die Bucht“, linksorientiert) und die Zeitschrift „Most“ („Die Brücke“), die einen Kreis katholischer Linksintellektueller erfaßt, die sich den Dialog im ideologischen und politischen Bereich innerhalb der Volksgruppe in Italien als auch mit Slowenen zum Ziele gesetzt haben.

Industrie mit Ellenbogen

Am stärksten bedroht fühlt sich die slowenische Volksgruppe in der Provinz Triest durch die Schaffung einer Großindustrie im Räume Triest. Unter diesem Vorwand ist seit längerer Zeit eine großangelegte Enteignung slowenischen Landbesitzes geplant, von der vor allem slowenische Bauern in der Gemeinde Dohna (S. Dorligo della Valle) betroffen sind. Mit der Begründung der Errichtung einer Pipeline, einer großen Fabrikanlage usw. wird der Lebens“ rauim der slowenischen Volksgruppe auf diese Weise bewußt eingeengt. Die Tatsache, daß Triest gegenüber dem jugoslawischen Hafen Rijeka (Fiuime) an Bedeutung immer mehr zurückfällt und Rom die Lebens-

interessen der Stadt Triest nicht in dem Maße zu vertreten bereit ist, wie dies die Bewohner dieses Territoriums als notwendig erachten, zwingt die Regionalregierung in Triest auch zur Entwicklung eigener Konzepte. Von dieser Warte aus gesehen, stellt das Bundesland Kärnten für Triest eine Brücke zum mittel- und nordeuropäischen Raum dar, während Slowenien in der Planung Triests das Tor nach dem Südosten darstellt. In der Provinz Görz (Gorizia) sind 125.000 Einwohner, von diesen gehören rund 12.000 der slowenischen Minderheit an Die Stadtgemeinde

Görz zählt 43.000 Einwohner, von diesen sind 5000 Slowenen. Slowenische Kindergärten gibt es in der Provinz Görz insgesamt neun, Volksschulen mit slowenischer Unterrichtssprache 18, außerdem wurde für die slowenische Minderheit eine Einheitsmittelschule, ein humanistisches Gymnasium, eine Lehrerbildungsanstalt und eine Wirtschafts-fachschule errichtet Das kulturelle Zentrum der Slowenen befindet sich mit dem katholischen Kulturhaus (Katoliski dorn) in Görz. Das Organ „Katoliski glas“ („Katholische Stimme“) trägt im Sinne christlicher Weltanschauung mit seiner konsequenten Linie wesentlich zur ideologischen Orientierung der Volksgruppe bei. In der in Triest erscheinenden Tageszeitung „Primorski dnevnik“ („Das küstenländische Tagblatt“) ist auch eine eigene Rubrik für die Slowenen in der Provinz Görz vorgesehen.

Während die Interessen der Slowenen in Triest im kirchlichen Bereich von einem eigenen bischöflichen Vikar wahrgenommen werden ist der im Domkapitel vertretene Kanonikus der slowenischen Volksgruppe in Görz gleichzeitig Kanzler der Erzdiözese. Slowenische Priester sind in der Diözese Triest 30, in der Erzdiözese Görz 35.

Tief verankert ist unter den Slowenen in Görz die katholische Tradition. Darin liegt auch der Grund für eine dynamische kulturelle Tätigkeit, deren Kraft aus den Fundamenten der Gläubigkeit und eines ausgeprägten Gemeinschaftssinnes wächst. Der Siedtangsraum der italienischen Volksgruppe in Slowenien erstreckt sich auf das slowenische Küstenland mit dem Zentrum Köper (Capodi-stria). Dieser Teil Istriens wird von 2500 bis 3000 Italienern bewohnt. Das Minderheitenterritorium umfaßt die Gemeinden Köper, Izoäa und Piran. Der Minderheitenschutz ist grundsätzlich in der jugoslawischen Verfassung verankert. Der Wortlaut wurde von den Teilrepulbliken Jugoslawiens in deren Verfassung übernommen und erweitert. So beinhalten der Paragraph 76 und 77 der Verfassung der Volksrepublik Sloweniens aus dem Jahre 1963 konkrete

Minderheitenschutzbestimmungen auch für die italienische Minderheit im Slowenien und Kroatien. Der Minderheitenschutz ist außerdem im jeweiligen Gemeindestatut geregelt, Das zwischen Amerika, England, Jugoslawien und Italien im Jahre 1954 unterzeichnete Londoner Memorandum aber stellt eine internationale Verankerung der Rechte der in der Zone B in Jugoslawien lebenden italienischen Minderheit dar.

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