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Digital In Arbeit

Muskeln aus Beton

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Von seinen ersten Einkünften als Leiter der Tischlerwerkstätte des Weimarer Bauhauses kaufte er jene beiden Dinge, die ihm damals, 1923, als die modernsten Gebrauchsgegenstände des täglichen Lebens erschienen: eine Schreibmaschine und ein Fahrrad. Alles was die Merkmale technischen Fortschritts trug, faszinierte ihn. Stolz führte der junge Marcel Breuer einem Freund sein Fahrrad vor. Man kam auf den Erzeugungsprozeß zu sprechen. „Das müßtest du sehen, die Lenkstangen werden wie Spaghetti gebogen“, meinte der Freund. Da zündete bei Breuer die Idee: eine neue Möglichkeit für die Formgebung von Möbeln.

Gemeinsam mit einem Weimarer Installateur, der sich während der Arbeit immer wieder durch einen Schluck stärkte, fertigte er nach eigener Konstruktion den ersten ■Stuhl aus verchromtem Stahlrohr. Es wurde ein voller Erfolg. Breuer selbst erinnert sich: „Für mich waren diese glatten, gebogenen Konturen nicht bloß Symbole unserer modernen Technik, sondern vielmehr der Inbegriff dieser Technik.“ Gegen Ende des ersten Weltkriegs war der gebürtige Ungar aus seiner Heimatstadt Pees nach Wien gekommen, um hier Bildhauerei zu studieren. In der Akademie sah er, wie nach Gipsabgüssen gezeichnet wurde. Das war nichts für ihn. Der Versuch, als Lehrling in einer Möbeltischlerei zu beginnen, scheiterte kläglich: Breuer verdarb ein Werkstück. Daraufhin ließ er sich nie mehr im Betrieb blicken, sosehr schämte er sich. Als er von einem Landsmann erfuhr, daß Walter Gropius in Weimar das Bauhaus eröffnet habe, trat er dort als einer der ersten Schüler ein. 1925, bei der Übersiedlung des Bauhauses in den neuen Komplex in Dessau, wurde Breuer bereits mit der Inneneinrichtung der Büros, Werkstätten und Lehrsäle betraut.Doch seine Interessen und Pläne reichten weit über die räumlich gebundene Formgebung hinaus. Drei Jahre später begründete er in Berlin sein erstes eigenes Architekturbüro. Als Einsatz nahm er die Entwurfzeichnungen für sein später berühmtestes einzelnes Möbelstück mit: den nur auf einem Rahmen aufruhenden Stahlrohrstuhl Modell 1928. „Mich bestach seit je die Vorstellung der Architektur als monumentale Plastik. Und ich ging immer von der strikten Ausrichtung auf die Funktion des Bauwerkes aus. Anderseits interessierten mich immer große, rein architektonische Formen. Selbst als ich meine Stahlrohrmöbel konzipierte, faßte ich jedes einzelne Stück als Plastik im Raum auf, als isolierte Form. Ich sehe nicht ein, warum die beiden Elemente t Funktion und Plastik — einander ausschließen sollten.“ Ein Kritiker bezeichnete Marcel Breuer als den letzten „modernen“ Architekten und wollte damit sagen, daß der nunmehr fast Siebzigjährige jene Prinzipien und Methoden weiterentwickelte, die vor Dezennien im Bauhaus Gestalt gewonnen hatten. Dort herrschte der Grundsatz, die ideale Abfolge müsse kontinuierlich vom Entwurf des einzelnen Möbelstücks zur kompletten Einrichtung eines Innenraums, dann zum Haus und schließlich zum Städtebau führen. Breuer hat im Verlauf seines Lebens konsequent und beharrlich diesen Weg zurückgelegt. Er baute in Europa und in beiden Kontinenten der westlichen Hemisphäre. Sein Werkkatalog aus den letzten Jahren umfaßt ein Haus für einen Schweizer Kunstsammler ebenso wie die ganze Skistadt Flaine in den Savoyi-schen Alpen, das Städtebauzentrum in Washington, ein Benediktinerkloster und Universitätsanlagen in den USA. Besondere Beachtung fand das Whitney Museum of American Art in New York.

Breuers Waffe gegen die Monotonie des Bauens ist so alt wie die Architektur selbst: eine Abstimmung kontrastierender Materialien und Oberflächen: Beton mit dem Abdruck der Holzformen belassen oder beschlagen, um die Rauhheit, das Körnige der Kiesbeimischung hervorzuheben. Bronzemontierungen zu Teakholzgeländern und Vertäfelungen in Beziehung gesetzt, als Bänke massive polierte Granitblöcke. Dies alles ist typisch für Breuer. Seine Komposition und Behandlung der verschiedenen Werkstoffe verleihen seinen Bauten eine individuelle Note, gleichsam das Siegel des Handwerklichen. Dies ist um so wichtiger in einem Zeitalter, in dem die Architektur wirkt, als entstehe sie auf dem Fließband der Massenproduktion.

Die Verbindung von richtungweisender Technik und überkommenen Materialien gibt seinem Schaffen das Gepräge. Für Breuer macht das Spannungsverhältnis des Kontrastes überhaupt den Reiz des Lebens aus. Er ließ sich von den Arbeitsmethoden der alten Maurer Ungarns anregen, gleichzeitig bewundert er die maschinell erzeugte Ästhetik des Düsenflugzeugs. Er ist für die Klimaanlage und den Kamin. Mit Vorliebe setzt er glatte neben rauhe Strukturen und fügt große Glasflächen direkt in Mauern aus Naturges-teln ein. Typisch auch für Breuers Denken,daß er das Beispielhafte am Parthenon in der Tatsache erblickt, daß die gegliederten, von Menschenhand geschaffenen Formen des Tempels in direkter Wechselbeziehung zum schroffen, unberührten Felsgrund der Akropolis stehen. Ein frühes Resümee von Breuers Formensprache und Konzepten ist das Projekt „Stadtzentrum der Zukunft“, das er gemeinsam mit F. R. S. Yorke 1936 in London ausarbeitete, knapp bevor er in die USA übersiedelte. Es ist eine wahre Musterschau der städtebaulichen Gedanken, die Breuer entwickelt hatte, einschließlich der bereits aus dem Jahre 1928 stammenden verkehrstechnischen Studien, der Bürohochhäuser im Grundriß eines gegengleichen Y (später für die UNESCO-Zentrale in Paris ausgeführt), drei-traktiger Pavillons (in Argentinien und Rotterdam erbaut) und eines Einkaufszentrums mit großem Innenhof.

Diese Ideen entwickelte Breuer in Harvard weiter, wo er von 1937 bis 1946 lehrte, zusammen mit seinem alten Freund, dem ebenfalls aus Gewissensgründen emigrierten Walter Gropius, damals Direktor der Harvard School of Design. In jenen Jahren lösten die beiden als Architektenteam eine Reihe bedeutsamer Bauaufgaben.

Bei den Wohnhäusern, die Marcel Breuer errichtete, kommt am klarsten zum Ausdruck, wie sehr er alle unmittelbaren Lebensfunktionen bei seinen Planungen einbezieht. Sein Richtmaß ist die Familie. Die Küchen sind oft gleichsam Beobachtungsstände, von denen man das Kinderzimmer und die Wohnräume überblicken kann. Vor allem werden die Bedürfnisse der Erwachsenen wie der Kinder adäquat berücksichtigt und das Ergebnis ist oft ein Haus mit zwei Mittelpunkten, so daß jede Altersgruppe ihre eigene scharf umgrenzte Sphäre hat.Seit mehr als einem Jahrzehnt experimentiert der Architekt sehr intensiv mit den Möglichkeiten der Bauweise in Stahlbeton. Den Anstoß dazu gab vor allem seine Zusammenarbeit mit dem italienischen Techniker Pier Luigi Nervi beim UNESCO-Zentrum. Natürlich hat Breuer fast von Anfang an Betonbauten entworfen und ausgeführt, begeistert nannte er dieses Material „das völlig plastische Medium“, den Stoff, aus dem man „eine Skulptur mit Funktion schaffen“ könne. Ner-vis Analyse struktureller Systeme bezeichnet Breuer mit einem von Frank Lloyd Wright entlehnten Wort als „organisch“ — „Dies bedeutet eine Strömung, die so real ist, wie der Bewegungsimpuls, der von der Schulter ausgeht und durch den Ober- und den Unterarm in die Hand, bis in die zugreifenden Fingerspitzen geleitet wird. Das ist die wahre Welt Nervis, diese dauernden Spannungen und dynamischen Impulse, die von der Basis in die Stützelemente aufsteigen, sich in die Rippen und Fibern der Struktur verzweigen, um sich wieder zu Rippen und Pfeilern zu vereinigen,“

Und das ist auch Breuers heutige Welt. Es gibt in der modernen Architektur wenige imposantere, wie von der Hand des Plastikers geformte und zurechtgeschliffene Baukörper als sein einem erratischen Block gleichendes freitragendes Auditoriumsgebäude für die Universität New York oder die wie Muskelstränge geteilten Säulen, welche das IBM-Forschungszentrum in La Gaude an der französischen Riviera tragen. Das überzeugendste Beispiel für Breuers individuelle Meisterschaft im Stahlbetonbau ist die 30 Meter hohe Glockenwand für die Benediktinerabtei Collegeville im Staat Minnesota, ein Komplex, der Kloster und Hochschule in sich schließt. Gerade diese Glockenwand, eine kühne Metamorphose des Türmes, wäre schon längst als Werk von Weltrang gewürdigt worden, läge sie nicht soweit abseits aller Zentren des kulturellen und wirtschaftlichen Lebens.

„Bauen heißt nicht, eine Rolle zu spielen, eine Entscheidung zu treffen oder eine Meinung abzugeben. Es ist eine Leidenschaft, so ursprünglich wie das Brot, das wir essen“, lautet Marcel Breuers Maxime. Es ist auch der Drang und die Bedrängnis unermüdlicher Suche nach dem Ausgleich von Funktion, Form und Struktur, das unablässige Streben nach Lösungen in den Begriffen der Technik und Kunst unserer Zeit. Dies hat Breuer dazu geführt, den gesamten Bereich der Möglichkeiten zu durchmessen und zu erforschen, vom funkelnden, bildsamen Stahlrohr bis zu monolithischen Riesenflächen aus Beton. Wie Le Corbusier, Mies van der Rohe, Frank Lloyd Wright und Richard Neutra hat er als Neuerer die architektonische Ausdrucksskala unserer Zeit entscheidend bereichert und Wahrzeichen einer Epoche gesetzt.

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