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„Neuland“ Slowakei

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NAHEZU DREISSIG JAHRE SCHIEN die Slowakei unerreichbar, und doch war die Slowakei einst ein wohlbekanntes Fremdenverkehrsland. Zu einer Zeit, als der Arlberg und die anderen gerühmten Winter-sportplätze unserer Heimat noch in tiefem Schnee verträumt lagen, vor dem ersten Weltkrieg also, war die Hohe Tatra bereits von den Skifahrern entdeckt worden. Und Bad Pistyan war zu jener Zeit Treffpunkt nicht nur der Kranken, sondern der mondänen Welt der Donaumonarchie. Der zweite Weltkrieg hat das meiste zerstört...

Noch vor wenigen Monaten konnte jeder Reporter, wenn er aus einem Ostblockland zurückkam, seine Artikel stereotyp mit dem gleichen Satz beginnen: Die Wasserhähne funktionieren nicht, die Türen schließen nicht, sprachkundiges Personal gibt es nicht, an den Hotels gibt es überall versteckte Mikrophone usw. Nichts von dem trifft

heute noch zu! Die für Westgäste empfohlenen Hotels und Gaststätten werden so geleitet, daß selbst ein verwöhnter Tourist aus dem Westen kaum ein Wort der Kritik finden könnte.

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DERJENIGE ALLERDINGS, DER DIE SCHÖNHEITEN der Slowakei entdecken will, muß Preßburg und die in seiner nächsten Umgebung liegenden Städte und Dörfer mit geschlossenen Augen durchfahren, denn die sind von einer Tristheit und Verwahrlosung, die kaum zu unterbieten ist. Dem Touristen, mag er im, Winter oder im Sommer in die Slowakei kommen, sei geraten, den klassischen Rundkurs zu wählen, der bei Preßburg beginnt und dort auch endet. Auf der Hinreise nach der Tatra sollte man sich vorerst den uralten Bischofssitz Neutra (Nitra) ansehen und dann über das wildromantische Gran-(Hron)Tal nach dem Nordosten weiterfahren. Neusohl (Banska Bystrica), die alte Fugger-Stadt, Zentrum des slowakischen Erzgebirges, von dem im Jahre 1944 der slowakische Volksaufstand seinen Ausgang nahm, ist eine an mittelalterlichen Bauten reiche Kleinstadt, die allerdings durch eine gewaltsame Modernisierung ihren Charakter zu verlieren beginnt. Das gleiche kann aber für eine ganze Reibe von ehemaligen Bergwerkszentren, wie Schemnitz (Banska Stiavnica), Kremnitz (Kremnica). Altsohl (Zvolen) und Brezno gesaigt werden: alles Kleinstädte, die einen an Hallstadt oder Hall in Tirol erinnern, jedoch zu modernen Industriezentren umgewandelt werden.

In dieser Umgebung gibt es eine Reihe von kleineren Bädern, von denen das bekannteste, das Herz-

kranken empfohlene Sliac, seinerzeit sogar Franz Grillparzer während zweier Sommer zu seinen Gästen zählen konnte. Nördlich dieses Gebietes liegt die Niedere Tatra, ein 80 Kilometer langer Bergkamm mit einem Skigebiet, das jedes Skifahrerherz höher schlagen läßt. Kuppen bis zu 2000 Meter hoch mit Abfahrten von über 1000 Meter Höhenunterschied findet man hier zu Dutzenden — aber leider nur drei Skilifte. Ebenso wenig, dafür moderne Hotels mit nicht ausreichender Bettenkapazität. Der Tourist, der im Sommer in dieses Gebiet kommen sollte, findet Gelegenheit zu langen Wanderungen. Unvergeßlich bleibt die Fernsicht: im Norden die steil aus dem Hochplateau herausragenden Gipfel der Hohen Tatra, im Süden die ungarische Tiefebene, im Westen und Osten das satte Grün der Tannenwälder.

Wer aber hochalpine Klettertouren unternehmen will, der sollte weiter

hinein in die Hohe Tatra fahren: Touren bis in hochalpine Regionen, auch für Halbschuhtouristen leicht zu bewältigen, Kletterpartien mit höchsten Schwierigkeitsgraden, Sanatorien, Hotels und einfache Berg-, hütten, ausgezeichnet markierte Wanderwege, ein Nationalpark mit einer reichen Flora und Fauna, mit Gemsen, Murmeltieren, Braunbären, Wölfen. Hoch- und Rotwild, Enzian und Edelweiß, dies alles ladet zum

Verweilen ein; doch nur zirka 1600 Betten in Hotels und etwas über 500 in Hütten sind für Gäste aus dem Westen reserviert.

DIE TATRA, DER HÖCHSTE BERGZUG der Karpaten, ist kulturell wie geographisch ein Schnittpunkt zwischen Ost und West. Kaum einige Kilometer voneinander entspringen hier der Waag (Väh) und das Flüßchen Poprad und bilden damit eine Wasserscheide unseres Kontinents. Der Waag mündet in die Donau und fließt somit dem Schwarzen Meer zu, während die Poprad von der Weichsel aufgenommen wird und damit also in die Ostsee mündet.

Verwöhnte Touristen werden hier die Lifte vermissen. Dafür gibt es für den Wintersportler in der Nacht beleuchtete Slalompisten, Rodel- und Eisbahnen und sogar eine Abfahrt-strecke, die bis in den Mai schneesicher ist! Ein bisher unaufgeschlossenes Gebiet ist die Kleiie Fatra: Ein 50 Kilometer langer Bergzug nördlich von Sillein (Züina). Um von der Hohen Tatra dorthin zu gelangen, muß man das wildromantische obere Waagtal mit zahlreichen Burgen und versteckten kleinen Dörfern und Städten durchfahren. In den letzten Jahren hat die starke Industrialisierung dieses Gebiet den einst wildromantischen Charakter sehr verändert. Südlich von Sillein. ebenfalls im Waagtal, ist das Bädergebiet der Slowakei. Trentschin-Teplitz (Trencianske Teplice), Rajetz (Rajecke Teplice), und Pistyan (Piestany) sind Kurorte, die einst Weltruf genossen haben und jetzt dabei sind, langsam wieder an den alten Ruhm aufzuschließen. Die allseits gelobte ärztliche Betreuung hilft hier den Kranken, die mit der Bahre herangebracht werden, wieder auf die Beine.

Bei Pistyan verlassen wir das Waagtal, und wir kehren über Tyrnau (Trnava), dem Zentrum des slowakischen Katholizismus — auch slowakisches Rom genannt —, wieder nach Preßburg zurück, wobei wir zur rechten Hand die größte Weingegend der Slowakei, jene der Kleinen Karpaten, liegenlassen. Damit sind wir an unserem Ausgangspunkt Preßburg angelangt.

Auf unserer Fahrt haben wir historische Städte, Schlösser, Burgruinen und neu aufstrebende Industrieorte kennengelernt; dies alles kaum einige Autostunden von Wien entfernt. Ein lohnendes Ziel für Wochenendfahrten für den Großstädter.

AUCH DIE KÜCHE, besonders manche Spezialitäten der slowakischen Küche, und die Weine, die auf den Hängen der sanften Hügel der Slowakei reifen, sind eine gastrono-

mische Exkursion wert. Wer weiß schon, daß der „Wein der Könige und der König der Weine“, der Tokayer, an einer Bergkette im Norden Ungarns zu Hause ist, die auch in die Slowakei hinüberreicht? Allerdings ist der slowakische Tokayer, der „Torunska“, nur in kleinsten Mengen zft haben, genauso wie ein Furmint „Roland-Radosina“ aus der Preßburger Gegend, der sogar für wert befunden wurde, bei der Hochzeit Elizabeths II. von England den Gästen serviert zu werden.

Die Slowakei ist die Urheimat des Brimsen, des feinen Schafkäses. Und im Salas gibt es köstliche Brimsennockerln, auf slowakisch „Ga-lusky“, zu denen man am besten saure Schafmilch, das „Zincica“ (Cmar) trinkt. Wenn man Glück hat, kann man hier die besondere Spezialität des Hauses, eine Kartof-

feispeise in Wurstform, „Drobky“ oder die Räucherkäsesorten „Ostiepka“ und „Parenica“ bekommen. Jedes Fremdenverkehrslokal, das etwas auf sich gibt, hat eine eigene Herstellungsart für den Räuberspieß „Zivanskä“, einer Art Schaschlik. Besonders stimmungsvoll ist es, in einer typisch slowakischen Gaststätte „Koliba“ einen Räuberspieß zu verzehren und dabei den Volksliedern, die meist von einer Zigeunerkapelle gespielt werden, zuzuhören. Der Liebhaber von scharfen Getränken soll ja nicht vergessen sich in der Slowakei mit einem guten Slivovica und einer besonderen slowakischen Spezialität, einem Wacholderbrandy „Boroviöka“, einzudecken.

EINE FAHRT IN DIE Slowakei lohnt sich: für den Wintersportler, den Alpinisten, den Liebhaber von langen Spaziergängen, den Weidmann, aber auch für den Autofahrer, der ein neues Gebiet erforschen möchte. Ein Slowakeiurlaub ist freilich nicht gerade billig, da die besten Hotels für Luxuspreise allerdings auch Luxus bieten. Die Visumfrage bedeutet keine Schwierigkeit. Jeder Österreicher erhält entweder über ein Reisebüro oder direkt an der Grenze ohne besondere Formalitäten ein Visum. Benzin ist billig, allerdings gibt es sehr wenig Tankstellen und von einem Service kann überhaupt keine Rede sein.

Sprachschwierigkeiten gibt es wenig, da besonders die ältere Generation, aber auch die junge Intelligenz des Deutschen mächtig ist.

Was spürbar fehlt, ist Privatinitiative! Doch wenn man staatliche Betreuung in Kauf nehmen will, kann man sicher sein, korrekt, wenn auch für unsere Begriffe völlig unpersönlich, bedient zu werden. Dies bedeutet noch lange nicht, daß bei persönlichen Kontakten nicht die positiven Charaktereigenschaften der Slowaken hervorgekehrt werden würden: Fleiß, Tüchtigkeit mit einem Schuß balkanischer Sorglosigkeit, menschliche Wärme, aber auch ein allen kleinen Völkern eigener überspitzter Nationalismus...

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