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Notwendige oder überflüssige Investitionen?

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Die zwei Weltkriege und die ihnen folgenden Notzeiten haben es mit sich gebracht, daß Wien städtebaulich volle fünf Jahrzehnte aufzuholen hat. Dies gilt für alle Sparten des Stadtbaues, es ist praktisch alles zu tun. Und wenn auch heute dem einzelnen Menschen der Wohnungsbau wichtiger erscheinen mag als die Modernisierung von Straßen und Verkehrseinrichtungen, so können wir doch den Straßenbau unmöglich noch um ein oder zwei Jahrzehnte hinausschieben, bis die Wohnbaufrage — vielleicht — gelöst ist. Die Gesamtentwicklung und die Gesamterneuerung der Stadt muß organisch vorgetrieben werden, alte und verwahrloste Straßen neben modernen Wohn-bäuten sind ebenso unmöglich wie beste sanitäre Anlagen neben Verkehrsfallen.

Das Verkehrsproblem wird heute nicht selten durch unsachliche Polemiken verdunkelt. Manchmal wieder führt an sich bereditigte Kritik — wie etwa an den Organisationsfehlern in der Mariahilfer Straße — zu unzutreffenden Verallgemeinerungen. Aber nur eine streng objektive Betrachtung der Tatsachen und Projekte gibt uns die Möglichkeit, zu beurteilen, ob die gewaltigen Summen, die derzeit für den Wiener Straßenbau bereitgestellt werden, eine notwendige oder eine überflüssige Investition darstellen.

Die Grundlagenforschung der Wiener Stadtplanung weist vor allem auf eine Schwergewichtsverlagerung der Besiedlung vom überfüllten Westteil der Stadt auf die Ostteile hin. An eine Untergrundbahn ist bei den baulichen Verhältnissen in der Inneren Stadt, den großen Schwemmsandgebieten im 2. und 20. Bezirk und den dadurch drohenden hohen Kosten vorläufig — oder überhaupt? — nicht zu denken. Sie würde auch nur der Straßenbahn, nicht aber dem weit mehr ansteigenden Autoverkehr Entlastung bringen. Ihm wird sich die Nord-Süd-Ver-bindung (Gürtelausbau) und die West-Ost-Verbindung (Schönbrunn—Kagran — Floridsdorf) sowie die südliche Einfalls-straße (Matzleinsdorfer Platz) anzupassen haben. Mit dem Matzleinsdorfer Platz wurde begonnen. Bei einer Zählung wurde festgestellt, daß den Gürtel hier innerhalb von 14 Stunden in beiden Fahrtrichtungen je 6000 Fahrzeuge passierten, 1300 bogen davon in die Triester Straße ab. Gleichzeitig überquerten den Gürtel in der Richtung Stadt — Triester Straße 3900, stadteinwärts 5100 Fahrzeuge. 900 bogen von der Triester Straße nach dem Südtiroler Platz und 1400 nach Meidling ab. Die zahllosen Unfälle und Verkehrsstockungen machten hier eine Änderung unbedingt notwendig. Zwei Bauetappen werden die Situation bereinigen. Die Gürtellinie wird tiefer gelegt und in Zukunft aus drei Teilen bestehen: aus einer 8 m breiten Mittelfahrbahn und zwei je 7 m breiten Seitenfahrbahnen, die dem Abbiegeverkehr dienen. Der Verkehr wird dadurch in stetem Fluß bleiben, Unfälle sind so gut wie unmöglich. Ein Blick auf dieses Projekt, dessen Durchfahrtshöhe unter der 47 m breiten Brücke 4,5 m betragen wird, läßt seinen Wert klarwerden. Die Kosten des ersten Bauabschnittes werden 12 bis 14 Millionen Schilling betragen, die des zweiten etwa 5 Millionen; dies entspricht dem Wert von etwa 210 Wohnungen (ä 90.000 Schilling).

Der Gürtel wird ab Mariahilfer Straße gegen Norden getrenntspurig geführt werden, nur im Süden bleibt der äußere Gürtel in beiden Richtungen befahrbar, solange der Durchbruch des inneren Gürtels zwischen Gumpendorfer Straße und Margaretengürtel wegen der Blockierung durch mehrere Wohnhäuser nicht durchgeführt werden kann. Auch die Gürtelerweiterung über Döbling nach Floridsdorf wird, schon der Besiedlungsintensivierung des 21. Bezirkes wegen, einmal verwirklicht werden müssen. Bei alldem ist auch noch zu berücksichtigen, daß seit der Zerstückelung die Hauptteile des österreichischen Territoriums im Westen der Bundeshauptstadt liegen, daß also von dort aus sowie vom Süden her der Verkehr bedeutend stärker ist als früher, da noch die heimatlichen Reichtümer vom Balkan und aus den Ostgebieten in die Hauptstadt flössen. Daher wird auch die Mariahilfer Straße nicht auf die Dauer den ganzen neuen Verkehrsstrom aus dem Westen aufnehmen können. Zu ihrer Entlastung ist der Ausbau der Wientalstraße von der Magdalenenstraße bis Schönbrunn vorgesehen. Die Fortsetzung würde dann die Linke Wienzeile bilden. Mariahilfer Straße, Schönbrunner Straße und Magdalenenstraße—Wienzeile würden allen Anforderungen genügen.

Zum Ausbau der weiteren organischen Verbindung zwischen den einzelnen Stadtteilen wäre die Fortsetzung der Lastenstraße (Zweier Linie) über Garnisongasse in einer Unterführung bei der Berggasse zur Liechtensteinstraße und von hier aus über den Donaukanal zum 2. Bezirk notwendig. Die gefährliche Kreuzung an der Schottengasse—Ring würde dadurch wesentlich entlastet. Die andere Seite der Lastenstraße benötigt eine Regelung am Karlsplatz. Als ein Baulos der Verbindung von hier zum Praterstern wurde bereits der Aspernplatz in Angriff genommen; im weiteren Verfolg dieser Arbeiten wird sich in etwa drei Jahren eine durchlaufende Ost-West-Verbindung ergeben. Der Ausbau dieser zehn Kilometer langen Straße von Schönbrunn nach Kagran wird auch der Schönheit des Stadtbildes nicht schaden.

Alle diese Maßnahmen bieten neben dem erhöhten Schutz von Menschenleben auch volkswirtschaftliche Vorteile, indem die 10.000 Fahrzeuge, die täglich diese Route nehmen, bei einer modernen Straßengestaltung ihre Fahrgestelle und die Bereifung weit weniger abnützen. Der Aspernplatz wird überdies die Vorteile und die Sicherheit des Fließ- und Rundverkehrs deutlich machen.

Bei der Durchführung technisch ein-wandfreiester Projekte ergeben sich leider auch immer wieder Fehler. So hat sich erwiesen, daß der rote Beton an den Straßenkreuzungen infolge seiner Lage zwischen den harten Asphaltstellen nicht genügend dauerhaft ist. Der rote Asphalt wird in Zukunft den Anforderungen genügen. Die Parkplätze können weiterhin mit farbigem Beton arbeiten, da die Abnützung der weiten Betonfläche durch die Autoreifen geringer ist als die der kleineren Fußgängerpassagen.

Falls eine Zerstörung von Kulturwerten und Stadtschönheiten auch weiterhin vermieden wird, darf also der Planung und Durchführung des Wiener Straßenbaues weiterhin Vertrauen geschenkt werden. Er verbürgt neben den oben aufgezeigten Vorteilen außerdem eine Entlastung der Inneren Stadt, deren Durchzugsverkehr nach Vollendung der beiden Hauptstraßenzüge bedeutend vermindert werden wird. Damit würden sich verschiedene verkehrstechnische Fragenkomplexe um Planungen, die das historische Bild der Inneren Stadt gefährden könnten, auf die ungezwungenste Weise lösen.

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