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Österreichische Argonauten

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Ein Motorschiff der „Oestrig“ unter österreichischer Flagge, „A r g o“, hat seit einiger Zeit wieder Handelsverbindungen im Mittelmeer nach der Levante aufgenommen. Der Name des Schiffes wird in den Wissenschaftskreisen, aber auch bei früheren Angehörigen der Marine und Nautik die Erinnerung an das kleine, nur 9 Meter lange österreichische Motorschiff „Argo“ wachrufen, das vor dem ersten Weltkrieg im Dienste der österreichischen Meeresforschung stand. Die oft tollkühnen Kreuzungen in der nördlichen Adria hatten Bewunderung der Seeleute erregt. Aber diese „Argo“-Fahrten leiteten in der Folge zu Meeresforschungen in weit größerem Stile, mit den Schiffen „Adria“ und „Najade“, im Rahmen der internationalen Meeresforschung über. Diese Unternehmungen brachten der österreichischen Flagge und der österreichischen Wissenschaft Ansehen und Ehre und auch der Meereswirtschaft bedeutenden Nutzen.

Diese österreichischen Argonauten, welche 1904 zum erstenmal den Hafen von Triest verließen, erforschten die Biologie und Ozeanographie wenig bekannter Regionen der Adria. Die modernere Richtung der Meeresforschung verlangte schon nach der Jahrhundertwende die schärfere Erarbeitung des Kausalnexus zwischen den natürlichen physikalisch-geographischen und den biologischen Verhältnissen. Die damalige zoologische Sta-, tion in Triest, deren Leiter bis 1918 der hervorragende Lehrer und Forscher Professor Dr. C. C o r i war, regte zuerst diese Forschungen an. Der durch Staats- und Privatsubventionen geförderte „Verein zur Förderung der naturwissenschaftlichen Erforschung der Adria“ entwarf das Arbeitsprogramm, und bald durchkreuzte die „Argo“ die nördliche Adria, besonders den Golf von 1 r i e s t bis zu den Lagunenküsten des Mündungsgebietes des Isonzo und Taglia- mento. Unter der wissenschaftlichen und nautischen Leitung von Prof. C o r i war ein kleiner Stab von jungen arbeitsbegeisterten Forschern, meist zwei bis drei Biologen und ein Ozeanograph an Bord. Der bekannte spätere Leiter der großen Atlantikexpedition mit dem Schiff „Meteor“, der Wiener Doktor Alfred Merz, lernte mit der „Argo“ zuerst das Meer wissenschaftlich kennen. Nach seiner Berufung an das Institut für Meereskunde trat dann der Schreiber der Zeilen an seine Stelle, und es gehört zu den schönsten Erinnerungen seines Lebens, an den Forschungsfahrten der „Argo“ und der späteren größeren Schiffe teilgenommen zu haben.

Beglückend war das harmonische Zusammenarbeiten der beiden großen Arbeitsgebiete der Ozeanographie und Biologie. Nach den obwaltenden verschiedenen physikalisch-geographischen Verhältnissen des Meeres — Hochseewasser, Einmündungen von Karstquellen und der friaulischen Flüsse, Lagunen, Schlämm- und Sandgründe — wurden in gewissen Abständen die Beobachtungsstationen gewählt, deren jede in einer fast einstündigen Beobachtungsserie bestand. Positionsbestimmung des Beobachtungspunktes, Lotung des Grundes, Wasserprobenentnahmen aus verschiedenen Tiefen zur Bestimmung von Temperatur, Dichte, Salzgehalt, Beobachtungen von Strömungen, der Durchsichtigkeit und dergleichen waren die steten ozeanographi- schen Agenden; Planktonfänge in verschiedenen Tiefen, Schleppnetzzüge, Florenuntersuchungen in den flacheren Teilen waren die Arbeiten der Biologen. Auch für praktische Fragen, namentlich fischereiwirtschaftlicher Art, wurden diese Fahrten von Bedeutung. So konnten Lebensweise, Entwicklung, Wanderungen, Laichplätze verschiedener Fischarten (zum Beispiel Sardine, Sardelle, Sprotte, Thunfisch) geklärt werden.

1904 bis 1907 wurde das Gebiet jeweils viermal im Jahr durchkreuzt, um die durch die Jahreszeiten bedingten Unterschiedlichkeiten in der Beschaffenheit des Meeres und Verteilung seiner Organismen festzustellen. Außer diesen großen Veränderlichkeiten ergaben sich aber auch solche infolge der täglich wechselnden meteorologischen Erscheinungen durch den Wechsel von Strömungen, von Flut und Ebbe. Auch machten wir an besonders wichtigen Punkten Beobachtungen von 12- oder 24-Stunden-Dauer, welche an die Ausdauer der Beobachter große Anforderungen stellten. Der Einfluß der Gezeiten, fokalen Strömungen, Süßwassereinschwemmungen, der Windverhältnisse und des Seeganges auf die Umschichtung des Meereswassers und dessen Organismenführung wurde damals einer Untersuchung zugeführt

Aus Gründen der Sicherheit mußte in die Erwerbung eines größeren und vor allem gedeckten Motorschiffes gedacht werden. D war es wieder Professor C o r i, der den Plan einer größeren Motorjacht entwarf. Es war das Schiff „Adria“, 22 Meter lang, 44 Tonnen Gehalt, ausgestattet mit einem 75-HP Motor, der eine Schnelligkeit von neun Seemeilen ermöglichte. Dieses Fahrzeug war mit allen Behelfen für ozeanographisch-biologische Forschungen ausgerüstet; auch bot es den Teilnehmern Schlafkojen. Ein neues Instrumentar mußte nunmehr für die Erforschung der größeren Tiefen angeschafft werden. Neue ozeanographische Instrumente konnte der Schreiber dieser Zeilen aus Bergen durch die Intervention von Fritjof Nansen und Björn Helland-Hansen mitbringen. Mit der „Adria“ wurden bis zum Jahre 1910 jedes Jahr vier Kreuzungen, den Jahreszeiten entsprechend, absolviert. Auch der stürmische Quarnero wurde befahren.

Die jahreszeitlichen Terminfahrten förderten nun auch in der westistrischen Adria i eiche Erkenntnisse. Das von den dalmatinischen Inselgestaden einströmende azurblaue Hochseewasser mit 39 Prozent Salzgehalt fließt entlang der Westküste Istriens nordwärts. Im Quarnero ist das Wasser noch am klarsten, erst in 30 Meter Tiefe verschwindet hier die weiß Secchischeibe dem Blick. Sprunghaft und lokal ändert sich Reinheit und Farbe an der Mündung des wasserreichsten istrischen Flusses, des Quieto, dessen gelblich-schlammige Fluten hier sogar nur eine Sichttiefe von einem halben Meter aufwiesen. Im Kanal di Lerne bei Rovigno, jenem hochinteressanten ertrunkenen Trok- kental Istriens, verursachen einige im Meeresniveau austretende Karstquellen eine lokale Aussüßung.

Die jahreszeitlichen und regionalen Aen- derungen der Temperaturverteilung konnten auch im neuen Forschungsraum näher verfolgt werden. Im März 1909 zum Beispiel wurde noch als Wintertemperatur in der Hochsee der Adria eine Homothermie von 6 bis 8 Grad gefunden, worauf im Frühjahr oberflächlich rasch eine Erwärmung auf 17 Grad einsetzte. Die Erwärmung betrifft zunächst die oberen Schichten bis etwa zehn Meter, die aber im Laufe des Sommers tiefer hinabreicht. Das Tiefenwasser bleibt jedoch auch dann noch unter 11 Grad temperiert. Die Erneuerung des Tiefenwassers erfolgt durch Vertikal- und Longitudinalströmungen. Die ersten exakten Tiefenströmungsmessungen, an derselben Stelle im offenen Meer durch 12 bis 24 Stunden ausgeführt, ließen den Einfluß der Gezeiten auf die wechselnden Strömungsintensitäten und -richtungen erkennen.

Die Schlußfolgerungen aus der Ozeanographie auf die Erklärung der jahreszeitlichen und regionalen Verteilung des Planktons haben die Biologen in verschiedenen Spezialdarstellungen gezogen.

Um das Gesamtgebiet des Adriatischen Meeres erforschen zu können, wurde auf einer Konferenz in Venedig 1910 beschlossen, diese Aufgabe nach einem einheitlichen Plan gemeinsam von Italien und Oesterreich durchzuführen. Hier griffen die Kriegsmarinen der beiden Staaten in dankenswerter Weise helfend ein. Italienischerseits wurde das Kriegsschiff „Ciclope" und von Oesterreich das Schiff „Najade" zur Verfügung gestellt und zweckentsprechend adaptiert. Beide Staaten traten nunmehr in den Kreis der internationalen Meeresforschung, welche schon im Beieich der nordeuropäischen Meere große Erfolge erzielt hatte, was der Tatkraft keines Geringeren als Fritjof Nansen zu danken war.

Oesterreichische Wissenschafter haben in dieser „Permanenten Internationalen Kommission für die Erforschung der Adria“ Großes geleistet. Alle die Forschungskampagnen 1904 bis 1914 haben ein gewaltiges ozeano- graphisch-hiologisches Material zustande gebracht. Die während der Terminfahrten ge-, machten Beobachtungen, betreffend die adria- tische Fauna und Flora, sind in den Publikationen des österreichischen Adriavereines niedergelegt. Eine eingehende Bearbeitung des gesammelten Materials konnte leider nicht durchgeführt werden.

So wollen wir uns nach den zwei Kriegen der Hoffnung hingeben, daß die wissenschaftliche Erforschung der Adria, die vor. den Argonauten in Oesterreich erfolgreich eingeleitet wurde, wieder einmal in Schwung gebracht wird.

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