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Österreichs jüngste Hochschule

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Die Pläne der Linzer Sozialhochschule nehmen allmählich Form und Gestalt an; die von anderen österreichischen Hochschulen etwas abweichende Organisationsform dürfte auf keinen Widerstand stoßen; eine vorwiegend aus Hochschulprofessoren bestehende Kommission stimmt nunmehr die Vorschläge für künftige Lehrpläne aufeiriander ab. Während die neue Hochschule, deren Eröffnung vorerst für den Herbst 1961 vorgesehen ist, für die übrigen österreichischen Bundesländer, vorweg für jene, die selbst über Hochschulen oder Universitäten verfügen, vielleicht von Interesse ist, wird ihre Bedeutung für Oberösterreich, des der Fläche und der Bevölkerungsgröße nach viertgrößten österreichischen Bundeslandes, eine außerordentliche sein — und das aus mehreren Gründen!

Die Hochschule wird in erster Linie für die junge Intelligenz des Landes bedeutungsvoll sein. Längst ist ja nicht mehr die soziale Lage der Eltern das Entscheidende bei den Schwierigkeiten bzw. Erleichterungen im Studium, sondern die Tatsache, ob der Studierende am, Hochschulort oder in seiner Nähe zu Hause ist.

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Es geht aber nicht nur um eine Verbreiterung der Basis des akademischen Nachwuchses, es geht auch darum, daß Oberösterreich wenigstens Teile seiner Intelligenz im eigenen Land zu halten vermag. Gewiß, auch in anderen österreichischen Bundesländern ist ein gewisses Fluktuieren der Intelligenz zu beobachten, und die Zahl jener Akademiker, die Oesterreich verlassen, um im Ausland entscheidende Posten anzunehmen, ist nicht gering. Diese überwiegend unerfreuliche Tatsache hat aber auch ihre Lichtseiten, die übrigens noch weit mehr ausgebaut werden könnten. Denn jeder Arzt und Techniker, jeder Dozent und Universitätsprofes- sor, der nicht enttäuscht oder verbittert Oesterreich verläßt, sondern ganz einfach ein günstiges oder ehrendes Angebot annimmt, um bei Gelegenheit wieder nach Oesterreich zurückzukehren — in dieser Hinsicht hat sich gegenüber den zwanziger Jahren vieles gebessert! —, ist, wenn auch ohne Auftrag, ein Repräsentant, ein Botschafter Oesterreichs.

Es ist also nicht nur ein Ausverkauf österreichischer Geistigkeit, der mit den Auslandsberufungen verbunden ist; es ist ein Blutkreislauf, der gar nicht so ungesund ist, vor allem dann, wenn Oesterreich selbst seiner Intelligenz immer wieder genügend Aufgaben zu stellen vermag, die auch für jene, die in führenden Positionen des Auslandes wirken, lockend sind.

Dieser Blutkreislauf, der, wenn sich Europa einmal zusammenfinden sollte, zweifellos noch kräftiger und pulsierender würde, schloß aber Oberösterreich, das bisher über keine Hochschule, über kein wissenschaftliches Zentrum verfügte, aus. Oberösterreich hat bisher immer und immer wieder schöpferische Kräfte an andere Bundesländer, an andere österreichische Hochschulen, ans Ausland abgegeben, nie aber konnte einer dieser Männer, auch wenn er wollte, in seine Heimat zurückkehren. Es war ein ständiges Sichverschenken, ein Sichver- geuden, das auf die Dauer nicht ohne Folgen bleiben konnte. Ein Blick in die ersten Lieferungen des ausgezeichneten Biographischen Lexikons von Oberösterreich zeigte eine bedeutsame — und gewiß nicht vollständige! — Liste von Öberösterfeichern, die außerhalb Oberösterreichs wirken. Es sind dies die Mediziner Prof. Denk, Fellinger und der verstorbene Prof. Finsterer (Wien), in Innsbruck der Anatom Sauser; in Wien sind es ferner der Historiker Fichtenau, der Germanist Enzinger, der Professor der Musikakademie, Kosch, der Physiologe Stigler, der kürzlich verstorbene Nestor der österreichischen Juristen, Prof. Sperl. In Innsbruck ist es u. a. der Geogfaph Kinzl, in Würzburg der junge Professor für indogermanische Sprachen, Mayrhofer, und der Völkerrechtler Raschhofer, in Gießen der Agrarchemiker Scharrer, in Düsseldorf der Direktor der westdeutschen Kieferklinik, Univ.-Prof. Häupl, in Stuttgart der Komponist Johann Nepomuk David und an der Akademie der bildenden Künste der Graphiker Karl Rössing . . .

Dieser „gestörte Blutkreislauf“ ist allerdings auch bei den-Theologen zu sehen: An der theologischen Fakultät Wien wirken bzw. wirkten die Professoren Jellouschek und Binder' (Dogmatik), Loidl (Kirchengeschichte und Patristik), in Salzburg der Benediktiner Schächer, von in Linz wirkenden Professoren sind Dr. Gruber in Wien (für Pastoraltheologie unter besonderer Berücksichtigung der Pädagogik), DDr. Lenzen- weger in Graz (Kirchengeschichte und Patristik) und Dr. Miko in Salzburg (Kirchengeschichte) habilitiert; an anderen Fakultäten wirken Prälat DDr. Eder (für Geschichte der neueren Zeit an der philosophischen Fakultät der Universität Graz), Prälat Dr. Kosch an der Wiener Musikakademie, schließlich der Marianist P. Dr. Pro- chazka als Direktor des Instituts für Vergleichende Erziehungswissenschaften in Salzburg.

Oberösterreich ist also an dem Blutkreislauf, der durch die wissenschaftlichen Kräfte des österreichischen, des deutschsprachigen mitteleuropäischen Raumes läuft, ausgeschlossen beziehungsweise nur sehr einseitig (im Geben, keineswegs im Nehmen!) beteiligt. Gewiß, die kommende Hochschule wird auch in Hinkunft den Kristallisationspunkt auf einem nur sehr schmalen Sektor darstellen; sicher aber wird man in diesem Fall optimistisch sein und annehmen können, daß sich um die vorgesehenen Lehrstühle und Institute manches „anreichern“ wird, daß, wenn auch nur auf .wenigen Teilgebieten, ein gesundes Gehen und Kommen auf wissenschaftlichem Gebiet eintreten wird. Nur allzu leicht kann diese Bedeutung der geplanten Hochschule die primäre, nämlich die Heranbildung eines akademischen Nachwuchses, erreicht.!, wenn flicht übertreffen.

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