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Österreichs T extilindustrie

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Die Export- und Mustermesse Dornbirn, die im Jahre 1949 durch den privaten Einsatz der Vorarlberger Industrie in richtungweisender Erkenntnis moderner Erfordernisse als eine Textilfachmesse gegründet wurde, kann zu Recht als das Schaufenster der österreichischen Textilindustrie bezeichnet werden. Sie bietet alljährlich durch das praktisch lückenlose Warenangebot einen hervorragenden Überblick über die Leistungsfähigkeit der gesamten österreichischen Textil- und Bekleidungsindustrie und der ihr verwandten Industriezweige.

Es ist kein Zufall, daß sich diese für die gesamtösterreichische Wirtschaft so bedeutungsvolle Handelsveranstaltung in dieser reizvollen und für alle Besucher so intim wirkenden Landschaft nahe des Bodensees entwickelt hat. Nimmt doch Vorarlbergs Textilindustrie auch für Gesamtösterreich eine dominierende Stellung ein: Sie liegt größenmäßig knapp hinter dem Textilzentrum des Raumes Wien und Niederösterreich und mit großem Abstand vor den übrigen Textilge- bieten Oberösterreichs und Tirols. Die 174 Textil- und Bekleidungsbetriebe Vorarlbergs beinhalten ein Drittel der gesamten österreichischen Kapazitäten in der Baumwollindustrie, über die Hälfte jener der Wirkerei und die gesamte Kapazität der österreichischen Stickerei und Klöppelei. Dabei beträgt der Anteil der Vorarlberger Bevölkerung nur 3,3 Prozent an der Gesamtbevölkerung Österreichs, woraus diese Konzentration und Leistung besonders deutlich wird. Die österreichische Textilindustrie ist jener Industriezweig, in der das privatwirtschaftliche Element noch am stärksten vertreten ist. Dies gilt insbesondere für Vorarlberg mit seinen zahlreichen großen und kleinen Familienbetrieben, aus deren Reihen auch die maßgebliche Initiative für diese Messeveranstaltung erwachsen konnte. Überdies war das privatwirtschaftliche Klima der Entwicklung eines echten sozialen Fortschrittes und der Leistungssteigerung der Vorarlberger Wirtschaft förderlich. Dieses westlichste österreichische Bundesland ist besonders exportorientiert. Als Land ohne wesentliche Bodenschätze, außer seinen energiewirtschaftlich genützten Wasserkräften, ist es trotz dem steigenden Fremdenverkehr hauptsächlich auf den Ertrag seiner gewerblichen Wirtschaft angewiesen und braucht für den Absatz seiner Waren die internationalen Märkte. Schließlich sind die Verkehrsverhältnisse und seine Lage im geographischen Mittelpunkt des westlichen Europa an den Grenzen bedeutender Industriestaaten als Handelsplatz und als Drehscheibe zum Anknüpfen neuer Verbindungen auch für ganz Österreich wichtig und auch äußerst wertvoll.

Dornbirn ist eine verhältnismäßig kleine, aber auf textile Rohstoffe, Halbfabrikate, Fertigwaren, auf die Textilchemie und die Hochveredlung spezialisierte Textilmesse. Verständlich war es, daß sich neben den Firmen mit textilem Fertigwarenangebot auch die verhältnismäßig noch junge Chemiefaserindustrie des In- und Auslandes dieser Messe in zunehmendem Maße bedient.

Überdies bietet sich hier der Rahmen für den so überaus notwendigen Gedankenaustausch über die vielseitigen aktuellen Probleme der gesamten Textilwirtschaft einschließlich jener der Wirtschafts- und Großraumpolitik. Ein Beweis dafür ist eine Reihe von nationalen und internationalen Fachtagungen. So werden zu dieser Zeit hier die schon zur Tradition gewordene Generalversammlung des Fachverbandes der österreichischen Textilindustrie und die Generalversammlungen einzelner Wirtschaftsverbände abgehalten.

Die Textilindustrie gehört zu den für Österreich bedeutungsvollsten Industriezweigen. Dem Beschäftigtenstand nach steht sie mit rund 75.000 an erster Stelle und ihrem Bruttoproduktionswert nach in Höhe von 12 Milliarden Schilling an dritter Stelle der österreichischen Industriezweige. Ihre Ausfuhrleistung betrug im letzten Jahr etwa 3,3 Milliarden Schilling, davon entfiel auf Textilfertigwaren ein Anteil im Werte von rund 2,5 Milliarden Schilling, woran allein die Vorarlberger Stickereiindustrie mit 566 Millionen Schilling beteiligt ist. Die Textilindustrie bestreitet etwa 10 Prozent der gesamtösterreichischen Ausfuhr (34,5 Milliarden Schilling). Diese für die gesamtösterreichische Wirtschaft so eminent wichtige Exportleistung entspringt auch einer strukturellen Notwendigkeit dieses so traditionsreichen, schwierigen und vielseitigen Industriezweiges. Auf den Weltmärkten besteht ein Überangebot teils hervorragender textiler Erzeugnisse. Voraussetzung der Exportleistung der österreichischen Textilindustrie ist somit nicht nur ihre Konkurrenzfähigkeit in preislicher, sondern vor allem auch in qualitativer und modischer Hinsicht. Gerade die aus Tradition und Aufgeschlossenheit erwachsende Fähigkeit, modische Kollektionen zu kreieren, findet durch die interessante Vielfältigkeit und durch neuartige qualitative Eigenschaften der Chemiefasern eine wertvolle Unterstützung. Beachtenswert ist auch die Entwicklung der Bekleidungsindustrie mit einem Bruttopro- duktionswert von 4,5 Milliarden Schilling, die im letzten Jahr mit 13,7 Prozent die höchste Zuwachsrate der österreichischen Industriezweige erreicht hat.

Neben den traditionellen Rohstoffen setzt die Textilindustrie in zunehmendem Maße die modernen Chemiefasern zur Bereicherung ihres Sortiments ein. Die Chemiefasern stellen somit einen vielfältigen Rohstoff dar, der es der Textilindustrie ermöglicht, den qualitativ und modisch steigenden Ansprüchen der Konsumenten gerecht zu werden und auch ihre Konkurrenzfähigkeit auf den Weltmärkten zu festigen. Der Anteil, den die Erzeugnisse aus Chemiefasern an der Exportleistung der österreichischen Textilindustrie einnehmen, ist zwar schwer zu schätzen, da von dem modernen System der Mischungen von Chemiefasern mit Naturfasern zunehmend Gebrauch gemacht wird, er dürfte aber mit etwa einem Drittel eher zu niedrig als zu hoch gegriffen sein. Allein der Wert der exportierten Textilien aus Lenzinger Viskosestapelfasern kann mit rund 500 Millionen Schilling beziffert werden.

Auf dem Gebiet der Viskosefasern und -fäden ist die österreichische Chemiefaserindustrie nicht nur in der Lage, den gesamtösterreichischen Bedarf der Textilindustrie für den Inlandsverbrauch und für deren Exportproduktion zu decken, sondern vollbringt ihrerseits darüber hinaus eine bedeutende Exportleistung, wozu die Chemiefaserindustrie im Rahmen der für eine Wirtschaftlichkeit unerläßlichen Kapazitätsausnutzung auch gezwungen ist. Synthetische Fasern werden in Österreich derzeit noch nicht erzeugt, so daß sie zur Gänze nach Österreich importiert werden müssen.

Österreichs Chemiefaserindustrie ist durch zwei Werke vertreten, die Erste österreichische Glanzstoff-Fabrik AG und die Chemiefaser Lenzing Aktiengesellschaft. Die dem AKU-Weltkonzern angehörige Erste österreichische Glanzstoff-Fabrik AG, welche Tex- tilreyon und Reifencord, also Fäden auf zellulosischer Basis erzeugt, ist eines der ältesten Chemiefaserwerke der Welt und begeht dieses Jahr sein 60jähriges Bestandsjubiläum. Die Chemiefaser Lenzing Aktiengesellschaft ist auf dem Gebiet der Erzeugung von Viskosespinnfasern das größte Einzelwerk auf dem Kontinent, vorwiegend und weltweit exportorientiert, und feiert dieses Jahr das 25jährige Jubiläum seines Bestehens.

Die 1904 gegründete Erste österreichische Glanzstoff-Fabrik AG beschäftigt 1500 Personen und wird dieses Jahr die Produktionshöhe von etwa 7000 Tonnen erreichen. Diese sehr beachtliche Produktionssteigerung von nur 2200 Tonnen im Jahre 1952, als dieses Unternehmen vom AKU-Konzern übernommen wurde, ist nur durch die großzügigen Investitionen in Höhe von insgesamt zirka 230 Millionen Schilling und durch die ständige Beratung und Unterstützung auf chemischem und technischem Gebiete durch das Mutterhaus erklärlich. Textilreyon wird nicht nur in vielfältigen Typen erzeugt, vor allem auch düsengefärbt, sondern wird auch in Aufmachungen geliefert, die der verarbeitenden Textilindustrie schwierige Vorbereitungen bis zum eigentlichen Webprozeß abnehmen. Der derzeit bei etwa 60 Prozent liegende Marktanteil am inländischen Verbrauch weitet sich noch aus. Die Produktionskapazität des Rei- fenreyons soll auf etwa 1500 Tonnen erweitert werden. In Verbindung damit wird auch ein Reifenreyon mit noch höherer Festigkeit unter der Bezeichnung „Super III” erzeugt werden. Ein weiterer Investitionsaufwand von etwa 60 Millionen Schilling ist dafür vorgesehen. Das Werk exportiert in 17 verschiedene Länder.

Die Chemiefaser Lenzing Aktiengesellschaft hat mit einem Beschäftigtenstand von 2700 ihre Produktion an Viskosespinnfasern im letzten Jahr um etwa 10 Prozent auf 56.700 Tonnen erhöht. Etwa 25 Prozent beträgt der Anteil der spinngefärbten Faser mit steigender Tendenz. Für dieses Jahr wird mit einer weiteren Produktionserhöhung bis zu etwa 60.000 Tonnen gerechnet. Die Kapazität ist mit einer Tagesproduktion von etwa 165 Tonnen voll ausgelastet. Mit dieser Produktionsleistung steht Österreich an 7. Stelle der Viskosespinnfaser erzeugenden Länder (ohne Ostblock) und bestreitet zirka 3 Prozent der Weltproduktion. Die Produktion des zweiten Produktes, Zellglas „Austrophan”, wird dieses Jahr etwa 2500 Tonnen erreichen. Lenzing deckt praktisch den Gesamtbedarf der österreichischen Textilindustrie an Viskosespinnfasern in Höhe von etwa 16.000 bis 20.000 Tonnen jährlich. Diese Menge übersteigt jedoch den Inlandsbedarf an den daraus erzeugten Fertigwaren; etwa zwei Drittel exportiert die Textilindustrie ihrerseits in Form von Fertigprodukten. Zwei Drittel der Lenzinger Produktion werden weltweit dem Export zugeführt nach zahlreichen europäischen Ländern, dabei insbesondere in die Länder der EWG; ferner in die USA, nach Südafrika, in den Nahen Osten und in die Ostblockstaaten. Der Jahresumsatz des Unternehmens beläuft sich auf etwa 900 Millionen Schilling, die Deviseneinnahmen betragen jährlich zirka 500 bis 600 Millionen Schilling. Die direkten Exporte Lenzings und die indirekten Exporte durch die Textilindustrie betragen zusammen etwa 85 Prozent der Lenzinger Produktion.

Die jährlichen Investitionen werden für die Weiterführung der Automatisierung verwendet. Außerordentliche Investitionen waren für den Ausbau der Forschung und für deren Zusammenfassung in einem Neubau bereit- gestellt worden, Unabhängig davon wurde kürzlich ein Forschungsabkommen mit dem Weltkonzern Courtaulds Ltd, England, abgeschlossen. Neben den Erwägungen, in Zukunft auch eine österreichische Synthesefaser zu erzeugen, sind inzwischen die Vorarbeiten für die Entwicklung einer neuartigen, modifizierten Viskosesuperfaser, von der man eine wesentliche Bereicherung der Textilerzeugung erwartet, erfolgversprechend gediehen.

Trotz dem hohen Ausfuhrwert beider österreichischer Chemiefaserwerke ist die österreichische Außenhandelsbilanz auf dem Chemiefasersektor mit etwa 240 Millionen Schilling passiv. Das ist mit dem Import von synthetischen Fasern zu erklären, der gewichtsmäßig wohl wesentlich geringer, aber wertmäßig entsprechend höher ist. Dank einer liberalen Importpolitik werden Synthetics in offener Konkurrenz von praktisch allen Erzeugerländern eingeführt (siehe Tabelle).

Die Dornbirner Messe schien uns auch der richtige Rahmen zu sein, die gemeinsamen und vielseitigen Probleme, die zwischen Textil- und Chemiefaserindustrie bestehen, gerade zu dieser Zeit und an diesem Ort zu diskutieren. Aus dieser Erkenntnis heraus hat das österreichische Ohemiefaserinstitut, dem die beiden österreichischen Chemiefaserwerke und eine Reihe von namhaften Vertretern der österreichischen Textilwirtschaft angehören, bereits vor drei Jahren eine Chemiefasertagung ins Leben gerufen. Diese Informationen und Diskussionen, die auf höchster wissenschaftlicher Ebene abgehalten werden, haben sich so bewährt, daß auch dieses Jahr die 3. Internationale Chemiefasertagung in Dornbirn am 8. und 9. Juli statt- flnden wird. Die diesjährige Tagung steht unter dem Thema: „Der Einfluß der Fasereigen- schaften auf den Charakter der Fertigprodukte.” Als Vortragende konnten wieder profilierte Persönlichkeiten der Wissenschaft und Praxis aus Amerika, Deutschland, Holland und Österreich gewonnen werden, so daß aus diesen Informationen und Diskussionen echt Problemlösungen zu erwarten sind.

Damit wird der Notwendigkeit einer engei Zusammenarbeit zwischen Chemiefasererzeu ger und Textilindustrie Rechnung getragen.

Die gemeinsamen Probleme erschöpfen sid nicht nur im technischen Bereich, sondern fin den ihre Fortsetzung in der Handelspolitik Diese Industriezweige bleiben bemüht, in Rahmen ihres eigenen Wirkungsbereiche, alle ihre Möglichkeiten für eine gedeihlich Entwicklung auszuschöpfen. Im Bereiche de: Handels- und Wirtschaftspolitik muß abei auch um Verständnis an die Regierung appelliert werden, die unerläßlich erforderlichen Voraussetzungen für den Bestand und für eine Expansionsmöglichkeit zu gewährleisten, zum Wohle der gesamten österreichischen Wirtschaft und damit zum Wohle der österreichischen Bevölkerung.

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