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Planung und Wohnungsnot

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Seit es eine Geschichte des Städtebaues gibt, sind in allen Teilen der Erde planmäßige Stadtanlagen errichtet worden. Audi die planmäßige Besiedlung weiterer Bereidie, die man als Landesplanung bezeichnen könnte, ist früheren Jahrhunderten, insbesondere der Zeit der großen mittelalterlichen Kolonisation nicht fremd gewesen. Im 19. Jahrhundert aber blieb die Errichtung von Wohnstätten und die Begründung von industriellen Betrieben, insoweit diese nicht mit der Hebung und Verwertung ■ von Bodenschätzen zusammenhingen, hinsichtlich der Wahl des Ortes mehr oder weniger dem freien Belieben überlassen. Erst die Zusammenballung der Industrie in bestimmten Räumen, die die schwierigsten Probleme des Verkehrs, der Wasserwirtschaft, der Stromversorgung und der Wohnungswirtschaft aufwarf, machte über die Grenzen einzelner Gemeinden hinaus rationelle und planvolle Lösungen notwendig. Allmählich hat sich dann der Gedanke umfassender Landesplanung in der ganzen Welt Bahn gebrochen. Heute findet man Landesplanungsverbände selbst in Mexiko und Neuseeland. Englands Verdienst ist es, schon vor 40 Jahren mit dem Aufbau einer jetzt das ganze Land umspannenden Organisation der Landesplanung begonnen zu haben. Etwas später folgte auch Deutschland mit Landesplanungsmaßnahmen für einzelne besonders industrialisierte Bezirke (Ruhrkohlenbezirk, mitteldeutscher Industriebezirk, Oberschlesien, Unterelbe). Den englischen Fachleuten muß man nachrühmen, daß es ihnen gelungen ist, auf dem Wege über eine sich den Erfordernissen der Wirtschaft ständig anpassende Gesetzgebung und eine hervorragende Organisation, welche von den höchsten Verwaltungsstellen bis in die kommunalen Körperschaften hinein ausgebaut ist, die breitesten Grundlagen für Stadt- und Landesplanung einschließlich des Wohnungswesens geschaffen zu haben, so daß bereits bei Ausbruch des zweiten Weltkrieges drei Viertel des Bodens von England und Wales unter Planung standen.

In meinem Aufsatz „Soziale Wohnungsreform“ („Die Furche“ 1948, Nr. 27) habe ich bereits auf die großen Verdienste hingewiesen, die sich auf diesem Gebiet der Präsident des Internationalen Verbandes für Wohnungs- und Städtebau, Sir P e p- 1 e r, erworben hat. Auf seiner Reise zum Kongreß dieses Verbandes hat er in Hamburg vor deutschen Fachleuten über die Entwicklung und den Stand des englischen Planungs- und Wohnungswesens nach dem Kriege berichtet. Wir bringen im nachfolgenden seine Mitteilungen.

Vorausgeschickt sei, daß auch in England eine sehr drückende Wohnungsnot besteht, welche sich daraus ergibt, daß die Produktion infolge der Kriegsereignisse auch nicht entfernt dem Bedarf folgen konnte, der sich aus dem Bevölkerungszuwachs, der Wohnungsüberfüllung, dem Ersatz vor Abbruchs- und Verfallswohnungen un endlich aus den Kriegsschäden ergeben hat Man hat den Gesamtbedarf in Großbritannien für die ersten zehn Jahre nach Kriegs ende auf rund vier Millionen Wohnunger geschätzt, wovon der zehnte Teil als Er satz für solche benötigt wird, die entwedei ganz zerstört oder doch so schwer beschä digt sind, daß sie nicht mehr instandgesetzi werden können. Daneben sind natürlich noch große Reparaturarbeiten durchzuführen. Es ist verständlich, daß ein Bauprogramm von so riesigen Dimensioner erst in einigen Jahrzehnten durchgeführi werden kann.

Neben der Beschaffung des Materials und der Arbeitskräfte, bietet ebenso wie bei un: vor allem die Finanzierung große Schwierigkeiten, denn, wenn es im Jahre 1930 noch möglich war, eine Arbeiterstockwerkswohnung für 500 Pfund zu bauen, so muß man jetzt den gleichen Betrag für ein einziges Zimmer aufwenden. Es blieb daher auch in England nichts anderes übrig, als durch Zuschüsse der öffentlichen Hand die Spanne zwischen der örtlich angemessenen Miete und der aus den Bau- und Bodenkosten errechneten zu überbrücken, wobei noch eine gewisse Erhöhung der vom Mieter geforderten Leistungen stattfinden mußte. Die Erhöhung der Baukosten hat auch in England zur Folge gehabt, daß die private Bautätigkeit von Jahr zu Jahr zu- rückgegangen und in diesem Jahre so gut wie völlig eingestellt worden ist. Während nach dem ersten Kriege noch viele private Wohnungsbauten und insbesondere Einfamilienhäuser zum Verkauf aus privaten Mitteln errichtet wurden, ist jetzt die durch behördliche Stellen oder Wohnungsunternehmen erbaute Mietwohnung die Regel geworden. Alle Neubauten örtlicher Stellen werden im Ministerium darauf überprüft, ob sie den Richtlinien und Normen für Grundrißgestaltung, Ausstattung und Größe entsprechen und ob die Baukosten angemessen sind. Es ist bemerkenswert, daß jede Familienwohnung in Neubauten jetzt mindestens 8 4 Q u a- dratmeter Grundfläche haben muß und daß man beim Wiederaufbau zerstörter Stadtteile die Bebauungsdichte und damit auch die Bevölkerungsdichte gegen den Vorkriegszustand vielfach fast um die Hälfte herabdrückt. Das neueste Wohnungsgesetz (Housing Act 1946) gewährt Mietzuschüsse des Staates und der Gemeinden auf einen Zeitraum von 60 Jahren und stuft diese Zuschüsse in ihrer Höhe den örtlichen Verhältnissen entsprechend ab.

Die dringendste Wohnungsnot versucht man durch fabrikmäßige Herstellung von Bungalows (Behelfshäusern) zu mildern, welche serienmäßig als Stahlskelettbauten mit Asbestplatten oder auch aus Aluminium produziert werden und zumeist auf solchen Flächen zur Aufstellung gelangen, welche vom Schutt zerstörter Häuser befreit worden sind. Diese Bungalows enthalten ein Wohnzimmer, zwei Schlafzimmer, Küche und Badezimmer, sind demnach als Behelfswohnungen recht geräumig und sollen sich auch bei sehr ungünstigem Winterwetter recht gut bewährt haben. Sie sollen sich bei Familien mit beschränkter Kopfzahl großer Beliebtheit erfreuen, zumal da sie als Einfamilienhäuser mit Gartenland ausgestattet werden. Das Ministerium für Bauten ist für Vorbereitung des Geländes, Bau und späteren Abbruch verantwortlich, während den Ortsbehörden lediglich die Verwaltung und Unterhaltung übertragen worden ist.

Der Grund und Boden für den Wohnungsbau muß gemäß den Vorschriften über die Stadt- und Landesplanung erworben werden. Ein kurzer Überblick über daS Werden dieser Gesetzgebung sei hier gestatte. Das älteste Wohnung«- und Städtebaugesetz vom Jahre 1909 beschränkte sich noch auf die Regelung fakultativer Einzelplanungen, das Wohnungs- und Städtebaugesetz von 1919 sah bereits gemeinschaftliche Planungsausschüsse vor, ließ aber ebenso wie ein späteres Gesetz von 1932 den örtlichen Behörden die Freiheit, ob sie Planungen vornehmen wollten oder nicht. Es nahmen dann von der Regierung eingesetzte Kommissionen eingehende Untersuchungen vor und man baute auf Grund ihrer Berichte die Gesetzgebung weiter aus, die im Städtebau- und Landesplanungsgesetz von 1947 ihren Abschluß fand. Es sind nunmehr die Grafschaftsräte und die Städte mit Grafschaftsrang zur Aufstellung eines allgemeinen, alle fünf Jahre zu überprüfenden Bebauungsplanes verpflichtet, dem eine Aufnahme der sozialen und wirtschaftlichen Nutzung des Landes voraufgeht. Ob Grundstücke bebaut werden sollen, ist nach Gesichtspunkten des allgemeinen Wohles zu entscheiden. Erfährt ein Grundstück durch Bebauung einen Wertzuwachs, so wird dieser ganz oder teilweise vom Staat abgeschöpft, und zwar in Form einer Abgabe, die vor der Bebauung gezahlt oder sichergestellt werden muß; für besondere Härtefälle ist ein staatlicher Ausgleichsfonds vorgesehen.

Wenn ein Wohnungsunternehmen noch nicht im Besitz eines Grundstücks ist, dessen Bebauung im Plan vorgesehen ist, und dieses zu erwerben beabsichtigt, kann es beantragen, daß das Zentrallandamt das Grundstück erwirbt und an den künftigen Bauherrn weiterveräußert. In Kriegsschadensgebieten konnten die örtlichen Behörden, sofern der Wiederaufbau beschlossen wär, schon seit 1944 ein Enteignungsrecht ausüben, indem sie dort belegene Grundstücke durch Zwangskauf erwarben, um sie zu erschließen und entweder selbst zu bebauen oder im Wege des in England üblichen Erbbaurechts auf die Dauer von 99 Jahren an andere Bauherren zu verpachten. Daß sich die Bebauungspläne nicht allein auf Ergänzung und Erweiterung bestehender Städte oder Dörfer, sondern auch auf Umsiedlung gewisser Wohnbezirke oder Industrien und völlige Neuanltge von Ortschaften richten können, und daß in solchen Fällen ganz besondere Finanzierungsmaßnahmen vorgesehen sind, sei hier nur kurz erwähnt.

Den weitgesteckten Zielen entspricht eine umfangreiche Behördenorganisation, an deren Spitze der Minister für Städtebau und

Landesplanung steht. England und Wales sind in elf Distrikte eingeteilt, in welchen ebenso wie im Ministerium selbst ein technischer Stab und eine Forschungsabteilung arbeitet; ferner ist sowohl im Ministerium, wie in jedem Distrikt ein Ausschuß für natürliche Raumgestaltung eingesetzt, in welchem alle Ressorts vertreten sind, die von der Planung betroffen werden. Für die Ausbildung von Spezialisten und Planungsbeamten sorgt ein Institut für Städtebau.

Leider ist es nicht möglich, im Rahmen dieses Aufsatzes über weitere interessante Einzelheiten aus dem mir vorliegenden englischen Material zu berichten, aber schon die vorstehenden Ausführungen zeigen, wie sehr man in England bemüht gewesen ist, eine umfassende Regelung aller der schwierigen Fragen, die sich auf diesen besonderen Fachgebieten ergeben, in langjähriger, auf reichen Erfahrungen beruhender Arbeit zu- standezubringen, und man wird sagen müssen, daß hier der Zielsetzung einer sozialen Boden- und Wohnungsreform weit gehend entsprochen worden ist. Man wird insbesondere, wenn man die Normen für Grundrißgestaltung und Ausstattung der Wohnungen, ja selbst der behelfsmäßigen Bungalows, zur Kenntnis nimmt, nicht onhe schmerzliches Bedauern sich darüber klar werden, wie weit wir in Österreich von einem so hohen Wohnungsstandard noch entfernt sind. Dieser Abstand ist durch den gewaltigen Unterschied des Nationalvermögens und Nationaleinkommens hier und dort bedingt. Auch in sehr bescheidenen Verhältnissen kann man aber zu befriedigenden Lösungen gelangen, wenn nur der Wille vorhanden ist, in Planung und Bodenwirtschaft, technischer Gestaltung und Finanzierung die unerläßlichen legislatorischen Grundlagen für den Wiederaufbau und ein geordnetes Siedlungs- und Wohnungswesen allgemein zu schaffen.

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