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Probleme des Fremdenverkehrs

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Der Fremdenverkehr wird im Jahre 1964 in Österreich mit einem neuerlichen zahlenmäßigen Rekord und auch mit den höchsten bisher erreichten Deviseneinnahmen abschließen. Dieser seit Jahren ununterbrochene Anstieg ist so zur Gewohnheit geworden, daß man ihn als eine Selbstverständlichkeit ansieht und den Problemen im Fremdenverkehr wie sie von fachlicher Seite immer wieder betont werden, weder die nötige Aufmerksamkeit schenkt noch eigentlich recht daran glaubt.

Man läßt noch gelten, daß es gewisse Strukturprobleme im Fremdenverkehr geben mag, die sich sowohl auf die Zusammensetzung, wie die Kaufkraftschichtung der Österreichbesucher bezieht, ebenso einige Anpassungsprobleme .an den Wettbewerb im touristischen Angebot und zweifellos auch Probleme in der Zersplitterung der österreichischen Fremden- verkehrsorganisationen, aber daß es Absatz- und vor allem Rentabilitätsprobleme innerhalb der Fremdenverkehrswirtschaft gibt, scheint bei diesem, jedes Jahr neue Rekorde aufweisenden Tourismus der Massen unglaublich.

Österreich hält dem Fremdenverkehr rund 350.000 gewerbliche Betten und rund 280.000 Betten in Privatquartieren bereit. Die gesamte touristische Aufnähmekapazität ergibt sich aus der Multiplikation dieser Betten mit der Anzahl der Tage, die sie im Fremdenverkehr Angeboten werden. Jahresbetriebe also 365 Tage, Zweisaisonbetriebe durchschnittlich 220 Tage und Einsaisonbetriebe durchschnittlich 200 Tage. Gemessen an diesen Betriebstagen, ergibt sich für jeden Betrieb eine prozentuelle Bettenbesetzung, je nachdem in welchem Grad die Betriebsbereitschaft in Anspruch genommen wurde. Wiederum im Durchschnitt der einzelnen Betriebsgruppen ergibt sich bei den Jahresbetrieben eine prozentuelle Bettenbesetzung von nur 35 Prozent, bei den Zweisaisonbetrieben eine solche von 55 Prozent und bei den Einsaisonbetrieben von 48 Prozent.

Es scheint auf den ersten Blick unverständlich, daß ein Hotelbetrieb nur zu 48 Prozent seiner Kapazität ausgelastet ist, wo man doch immer von den Schwierigkeiten in der Quartierbestellung hört und selbst im Urlaub die Erfahrung macht, daß man lange Zeit vorausbestellen muß, wenn man seine Unterkunft im Ferienort sichern will. Dazu ist zu sagen, daß sich sowohl in örtlicher, vor allem aber in zeitlicher Hinsicht Ballungen der Frequenzen ergeben, die ihrerseits für die Hotellerie gar keine so angenehme konjunkturelle Erscheinung sind. Die Nächtigungen erreichen in den Monaten Juli und August die höchsten Zahlen (das Fünf- und Siebenfache der Übernachtungen etwa im Oktober), erfordern in dieser Zeit einen intensiven Arbeits- und Materialeinsatz, weil der Betrieb in kostenmäßiger Sicht gezwungen ist, der sich bietenden Nachfrage bis zur höchstmöglichen Leistungsstufe zu entsprechen. In kostenmäßiger Sicht deshalb, weil ein Hotelbetrieb infolge der in Gebäude und Einrichtung festgeramm- ten Kapitalien auch hohe fixe Kosten hat, die das ganze Jahr über anfallen, gleichgültig, ob er geöffnet oder geschlossen ist. Solche Kosten sind z. B. die Verzinsung des investierten Kapitals, in jedem Fall des Kreditkapitals und die Wertminderung der verschiedenen Ver- mögensteile, ferner Grundsteuer, Versicherungsprämien und die Kosten der Instandhaltung. Die Hotelleistung in der Form der Nächtig-ung ist Dienstleistung, sie muß daher im Zeitpunkt ihrer Bereitstellung in Anspruch genommen werden oder sie geht als Leistung, ohne einen Gegenwert erzielt zu haben, unter. Der Dienstleistung fehlt im Gegensatz zum erzeugten Produkt die Lagerfähigkeit und die Möglichkeit ihrer Versendung an einen anderen Ort, wo sie im Augenblick gebraucht würde.

Aus dieser, der Hotellerie eigentümlichen Leistungsstruktur ergeben sich auch ihre weiteren Probleme, die letztlich Rentabilitätsprobleme sind. Das Institut für Fremdenverkehrsforschung der Hochschule für Welthandel führt seit Jahren Reihenuntersuchungen in der österreichischen Hotellerie durch und kann an diesen die außerordentlich geringe Eignung der Hotelbetriebe, zu einer Verzinsung des investierten Kapitals zu gelangen, feststellen.

Volkswirtschaftliche Bedeutung

Nun ist aber das Beherbergungswesen eine der wesentlichsten Voraussetzungen des Fremdenverkehrs, dieser aber hat im Falle Österreichs seine besondere volkswirtschaftliche Bedeutung als Posten in der Zahlungsbilanz, weil seine Devisenerträge einen fast völligen Ausgleich des Enf uhrüberschusses bewirken. Im Jahre 1964 wird der Nettoertrag aus dem Fremdenverkehr (Deviseneinnahmen minus Devisenausgaben im Tourismus) das Handelsbilanz- passivum zu 96 Prozent kompensieren. Es liegtdaher im Interesse unserer Wirtschaftspolitik, die Angebotsgröße, die Angebotswertigkeit, somit die Wettbewerbsfähigkeit der österreichischen Hotellerie nicht nur zu erhalten, sondern sogar zu stärken. Dies kann aber nur erfolgen, wenn man diesem Wirtschaftszweig die Möglichkeit einer betriebswirtschaftlich sinnvollen Leistungserstellung gibt.

Die österreichische Volkswirtschaft ist an hohen Nächtigungszahlen ausländischer Besucher und deren wertmäßigem Niederschlag stärkstens interessiert. Dies setzt aber ein entsprechendes Beherbergungsangebot voraus. Wie bereits angeführt, findet das Beherbergungsangebot aber nur während einer relativ kurzen Zeitspanne im Jahr eine konzentrierte Inanspruchnahme, die nur in seltenen Fällen den Betrieb die totale Kostendeckung -erwirtschaften läßt. Eine Entspannung der Kosten im Beherbergungsgewerbe liegt sowohl in dessen betriebswirtschaftlichem Interesse wie auch im volkswirtschaftlichen Interesse der Wettbewerbsfähigkeit. So ist zum Beispiel die Steuerbelastung des vereinnahmten Hotelschillings rund 9 Prozent in Österreich, hingegen rund 2 Prozent in der Schweiz, während Jugoslawien ab November dieses Jahres dem Hotelbetrieb 37 Prozent Exportprämie für alle in Fremdwährung bezahlten Pensionsleistungen vergütet.

Ein weiteres Problem des österreichischen Fremdenverkehrs ist das räumliche Problem. Es besteht, wie auch in anderen Fremdenverkehrsländern, in der Konzentration der Besucher in relativ wenigen, renommierten Fremdenverkehrsorten, die dadurch zu Fremdenverkehrszentren wenden. Es wurde schon des öfteren darauf hing-ewiesen, daß rund 60 Prozent -des letztjährigen Fremdenverkehrs mit seinen 38 Millionen Ausländer- und 18 Millionen Inländernächtigungen -in 120 österreichischen Fremdenverkehrsgemeinden erzielt wurden. Diese Ballungen führen zu Sied- lungs- und Betriebsagglomerationen, zur Massenhaftigkeit des Fremdenverkehrs selbst und damit zu allen Folgeerscheinungen, die entstehen, wenn eine Vielzahl von Menschen die gleichen Ziele hat, die gleichen Einrichtungen benützt. In den Sommerorten an Seen ist es die Überfüllung der Bäder, in den Wintersportorten die Belagerung der Skilifte und Seilbahnen, all dies noch verstärkt durch den Ausflugsverkehr zum Wochenende. Es besteht die Gefahr im Fremdenverkehr, daß über die sich augenblicklich bietenden Möglichkeiten die Bewahrung einer zukünftigen Entwicklung vergeben wird. In manchen Fremdenverkehrsländern stellt man Meßzahlen der Fremdendichte (Index of congestion) auf, nach denen man die Aufnahmefähigkeit einzelner Landschaftsgebiete für den Fremdenverkehr bestimmt. Es zeigen sich -somit bereits überall Ansätze zu einer Planung, weil auch die freien Güter der Natur, das freie touristische, Kapital ein-e begrenzte Expansionsfähigkeit besitzen. Damit ergibt sich ein weiteres Problem im österreichischen Fremdenverkehr, nämlich raumordnende Maßnahmen in die Wege zu leiten, damit nicht alle Fremdenverkehrsgebiete zu Fremdenverkehrsindustrieräumen werden, sondern auch als Fremdenverkehrserholungsräume bestehen bleiben oder solche neu erstehen.

Sicherung der Erholungsräume

Hand in Hand damit geht noch ein weiteres- Anliegen, nämlich das der Erhaltung und Bewahrung -dieser Erholungsräume durch Landschaftsschutz und Naturschutz.

Gleichfalls ein „inneres“ Problem -des österreichischen Fremdenverkehrs ist seine Organisation, die sowohl der Fremdenverkehrspolitik als -auch der Behauptung der österreichischen Fremdenverkehrswerte gegenüber dem ausländischen Wettbewerb dienen sollte. In -internationaler Sicht kennt man sogenannte „Governmental organizations“ im Fremdenverkehr, also staatliche Einrichtungen, wie etwa Fremdenverkehrsministerien, Staatssekretariate oder Fremdenverkehr-skommissa- riate, dem Ministerpräsidenten unmittelbar unterstellt oder dem Ministerrat zu-geordnet, und „Non-governmental organizations“, die Einrichtungen darstellen, die im Auftrag der Staatsverwaltung fremdenverkehnspolitische Einzelaufgaben, wie zum Beispiel die Werbung, durchführen.

In Österreich fehlt die verfassungsrechtliche Voraussetzung für ein staatliches Instrument der Fremden Verkehrspolitik, die expressis verbis überhaupt nicht vorkommt. Der Bezeichnung „Fremdenverkehrsförderung“ kann man keinesfalls den Gesamtbereich der Fremdenverkehrspolitik zuerkennen als „Summe aller jener Maßnahmen, die bewußt den Fremdenverkehr beeinflussen“. Es ist daher in Österreich eine offene Frage, in welcher Form und wann man endlich die Plattform legen will, von der aus der wichtigste Zweig unserer Außenwirtschaft zweckmäßig gelenkt und in seiner Verbindung mit allen anderen Gebieten der Wirtschaft, der Kultur, der Politik und des sozialen Lebens -geformt wird. Eine Regelung dieser Frage ist unausbleiblich, das zeigt sich schon aus den seit vielen Jahrein immer wieder aufgenommenen Koordinationsbemühungen der verschiedenen Organisationen und Stellen im österreichischen Fremdenverkehr. Ihre Beratungen und Beschlüsse zeigen wohl die Erkenntnis -der Notwendigkeiten, aber es fehlen die Möglichkeiten diesen Beschlüssen In der erforderlich kurzen Zeit und mit dem erforderlichen Nachdruck Allgemeingültigkeit zu verschaffen.

Der österreichische Fremdenverkehr sieht sich aber auch Problemen gegenüber, die nicht aus dem inneren Bereich stammen, sondern sich aus den internationalen Entwicklungen auf den verschiedenen Sektoren sowie aus dem touristischen Wettbewerb in aller Weit ergeben.

Der traditionelle Nord-Süd-Strom

Als ein Beispiel sei der internationale Verkehrssektor angeführt, der dem traditionellen Nord-Süd-Strom im europäischen Tourismus mit seinen Ausbauten sehr stark entgegenkommt. Derzeit ziehen von Norden her zur

Südgrenze der Bundesrepublik Deutschland drei Autobahnen. Einmal die Route über Karlsruhe nach Basel mit der Fortsetzung nach der Westschweiz; ferner die Route über Karlsruhe—München—Rosenheim mit der Fortsetzung über die Inntalstraße und Tirol zum Brenner und drittens die Verbindung Autobahn München nach Salzburg mit der Weiterführung nach Wien. Bis 1970 sollen nach dem Programm des bundesdeutschen Verkehrsministeriums vier weitere Autobahnen fertiggestellt sein, nämlich die Autobahn über

Stuttgart und Singen mit der Richtung zum St. Gotthand; die Autobahn Ulm—östlicher Bodensee, wiederum als Verbindung zur Zentralschweiz und zum St. Gotthard; die Autobahn München—Lindau, die über die Ostschweiz zum San-Bernardino-Straßentunnel führen wird, und schließlich die Autobahn München—Garmisch—Scharnitz mit Richtung Brenner. Es ist deutlich erkennbar, daß das Schwergewicht der Verkehrsführung im westeuropäischen Raum liegt und daher für Österreich die Fertigstellung der Westautobahn und der Südautobahn eine außerordentliche touristische Bedeutung hat.

Gleichwohl besteht die Gewißheit, daß der motorisierte Fremdenverkehr durch den Bau der vorerwähnten Autobahnen in der westdeutschen Bundesrepublik, ergänzt um den Bau von Nationalstraßen in der Schweiz, den schon bestehenden und neuhinzukommenden Autostradas in Italien sowie dem Straßenausbau in Frankreich und nicht zuletzt in Spanien beeinflußt und gelenkt werden wird.

Dazu kommen die Bemühungen junger Fremdenverkehrsländer in Europa und den anschließenden Gebieten, einen möglichst großen Anteil an der europäischen touristischen Nachfrage zu gewinnen, Bemühungen, die nicht allein auf dem Preis- und Leistungssektor entschieden werden, sondern die auch den großen immateriellen Wert der Neuheit für sich in die Waagschale werfen können.

Für die an den bisherigen Fremdenverkehrsströmen teilnehmende Nachfrage ergibt sich zu einem großen Teil die Bedachtnahme auf das Preisniveau. Wenn sich auch in der Kaufkraftentwicklung Europas bis 1970 eine Zunahme der touristischen Konsumenten um schätzungsweise 13 Millionen annehmen läßt und der Konsumgüterverbrauch in den nächsten 15 Jahren eine Zunahme von 60 Prozent erfahren durfte, so wird doch die Masse der Touristen neben den Gefühlswerten auch die wirtschaftlichen Überlegungen in ihre Zielwahl einbeziehen.

In der vorstehenden Betrachtung wurden nur einige, wenn auch sehr wesentliche Probleme des österreichischen Fremdenverkehrs gestreift. Sie lassen erkennen, daß die Selbstzufriedenheit mit dem bisher Erreichten, die Berauschung an ständig steigenden zahlenmäßigen Ergebnissen nicht von der Bedachtnahme auf Entwicklungstendenzen und den sich daraus ergebenden fremdenverkehrspolitischen Entscheidungen enthebt. Es zeigt sich aber auch in aller Deutlichkeit, wie weit sich der Bogen der Abhängigkeit des Fremdenverkehrs spannt und wie sehr eine planmäßige Fremdenverkehrspolitik infolge der Verflechtung dieses Phänomens mit allen Lebensbereichen vonnöten wäre.

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