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Säulen im Raum

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Um 1250 hat sich, in der ersten Generation auf Frankreich beschränkt, dann aber ganz Nordeuropa ergreifend, eine Umwälzung der kirchlichen Kunst vollzogen, die eine neunhundertjährige Tradition umstürzt. Im Widerstand gegen die hochkirchliche Kunst Frankreichs, die in den Kathedralen aus dem Kirchengebäude ein überwältigendes Gesamtkunstwerk, Abbild des Himmels auf Erden, gemacht hatte, greifen die „modernsten" unter den Reformern des Kirchengebäudes — die Dominikaner —, ganz bewußt auf Formen, die die Kirche einem Profanbau angleichen sollen. Hier in den Hallen klösterlicher Kapitel-, Schlaf- und Speisesäle, in Burgund Ratssälen, Spitälern und Speichern hatte sich, in den gewölbten Steinbau übertragen, der urtümliche Gedanke der „Säulen mitten im Raum" in Nord- und Westeuropa gehalten. Im Sakralbau war er seit den dorischen Tempeln nicht mehr dagewesen. Römischer Tempel, altchristliche Basilika, romanische Dome und gotische Kathedralen haben bęi innerster Verschiedenheit doch eines gemeinsam: daß Säulen und andere Gliederungen an oder in die Wand zurückgenommen sind, daß .ihr Hauptraum frei von Körpern ist. Das muß man sich zu Bewußtsein bringen, um durch die allgemein „gotischen“ Einzelformen hindurch zu erkennen, daß diese spätmittelalterliche Kirchenform der Zeit von 1250 bis 1520 auf anderer, viel älterer Grundlage ruht als die Baukunst des ganzen übrigen Europa.

Das Wesentlichste an dieser neuen und zugleich so alten Form der „Halle“ ist nicht die gleiche Höhe der Schiffe, auch nicht das allen Schiffen gemeinsame hohe Dach, das bezeichnend genug bleibt, sondern eben die Tatsache, daß die Traget der Wölbung nicht zur Wand gehören, sondern allseitig frei inmitten des Raums stehen. Das ist am deutlichsten bei den zweischiffigen Hallen, deren Pfeiler den Blick auf den Altar verlegen, aber es ist nicht anders bei der reinen Form der dreischiffigen Halle, die sich sdjon etwas früher über ganz Europa verbreitet. So kann es geschehen, daß im selben Bau eine zweischiffige Halle in eine dreischiffige übergeht, wie in der Walseerkapelle von Enns oder der Kirche von Pöllauberg. Am allerreinsten erscheint der Gedanke in jenen kurzen zweischiffigen Kirchen, wo — wie einst in englischen Kapitelhäusem — eine einzige Säule in der Mitte des Raums aufwächst. Hier ist es dann ganz klar, drß solch ein Raum nicht von der Mitte her erlebt werden kann: der Mensch ist aus der Raummitte verwiesen.

Die zweischiffigen Hallenkirchen kommen aus Südfrankreich: in Toulouse war die erste Niederlassung des Dominikanerordens, dort erhob sich die erste mächtige Kirche dieser Art. Um 1280 erscheinen sie in Österreich: die Bauten der Dominikanerinnen in Imbach bei Krems und der Klarissinnen in Dürnstein zeigen diese „ecclesia modemą“ in kompromißloser Größe. Rasch wird der Gedanke auch von Pfarrkirchen übernommen und verbreitet sich so, daß in manchen Landschaften Nieder- und Oberösterreichs fast die Hälfte aller Kirchen zweischiffige Hallen sind. Dreischiffige Hallen folgen oder gehen nebenher und schließen in der sogenannten „Staffelkirche“ einen Kompromiß mit der gewöhn-

teren Form der Basilika. Zugleich aber steigt schon um 1300 die Bettelordenshalle in den höfischen Bereich auf. Man „adelt“ sie durch die reinen Verhältnisse und gewählte sparsame Gliederungen, die man aus der Kathedrale entlehnt. Die Hofkirche der neuen Dynastie, die Augustinerkirche in Wien, ist eine Bettelordenshalle, die Kapelle der Herren von Walsee an der Minoritenkirche von Enns ein wahres kleines Wunder dieser verfeinerten Schlichtheit. Es ist die Zeit Meister Eckhardts.

Man darf das Wiederaufleben dieser uralten Weise, den Raum zu gestalten, zusammensehen mit dem großartigen Aufblühen der Bildschnitzerei in Holz, die auch eine ältere Kunstübung ist als die Bildhauerei in Stein und die auch lange nur eine untergeordnete Rolle gespielt hatte. Beide — der Gedanke der „Pfeiler mitten im Raum“ und das Schnitzen in Holz — sind ebenso sehr urtümlich wie sie volkstümlich sind.

In diesen nüchtern-klaren Räumen, die wie monumentale Scheunen wirken, treten olle Künste unter neue Bedingungen. Da das

Gebäude selbst sie von sich abstößt, bleibt ihnen nur ein Ort der Entfaltung: der Altar. „Um den Altar herum entsteht das neue Gesamtkunstwerk des späteren Mittelalters. Aus ihm wird eine kleine Architektur, die die Skulptur in sich einfügt und das filigrane Baldachinwerk der Kathedrale an sich aufsprießen läßt." Auf seinem Höhepunkt im 15. Jahrhundert ist der Schreinaltar — das Werk von Schreiner, Schnitzer und Maler — zugleich „Bauwerk und Bild, Bühne und Buch“. Er ist der eigentliche Nachfolger der Kathedrale. Sein Platz im Kirchengebäude ist nun ein kapellenförmiger Raum, der, mit deutlicher Trennung an den fast profanen Versammlungsraum angeschoben, sich lichter, mit zarteren, unwirklicheren Einzelformen von ihm abhebt und den Schrein des Altars wie ein zierliches Gehäuse umschließt.

Diese Formen der Kunst entsprechen neuen Formen des Gottesdienstes und des Gottesverhältnisses. Zu dem nüchternen, wuchtigen Gemeinderaum gehört die Predigt, die das Wort auslegt. Neue, „innigere" Formen der Andacht gehören zu dem Altar, dessen Flügel an den großen Kirchenfesten sich auf goldschimmernde Geheimnisse öffnen wie die Pforten des Himmels, wie die Türen eines Weihnachtszimmers, und sie gehören zu den vereinzelten Andachtsbildern, gemalten und geschnitzten, an Pfeilern und in kleinen Kapellen, mit denen die einsame Seele Zwiesprache hält. Das ist auch für die Kunst von Bedeutung. Denn jetzt, erst jetzt entsteht jenes intimere Verhältnis zum einzelnen Kunstwerk, ein Sich-Versenken in seine Anschauung, das verweltlicht sich bis an die Schwelle unserer Zeit erhalten hat. Der Hauptgegenstand der Andacht aber ist Erniedrigung und Leiden des Gottmenschen, „Stall und Kreuz“, ist der Christus und die Maria humilitatis. Man versteht, daß zu diesen Glaubensgehalten die schlichteste scheunenartige Kirchenform allein paßt. Erst dem Altarraum ist die Verklärung vorbehalten.

Die Renaissance wird das stille Andachtsbild beseitigen und Bauwerk und Bilder in eine einzige Verherrlichung der triumphierenden Kirche verwandelri. Sie wird in die Mitte der Kunst das Bild nicht des erniedrigten, sondern des im Leide verklärten Christus rücken, seine Himmelfahrt und die Apotheose seiner Heiligen. Sie wird aus dem Kirchenraum die Säulen forträumen und die Mitte des Raumes wiederum dem Menschen freigeben. Groß ist der Gewinn, groß aber auch der Verlust.

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