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Schulversuch und Lehrmiiiel

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Geschäftsführer der Universitas-Lehrmittel-Gesellschaft m. b. H, Wien

Es ist nicht möglich, im Rahmen eines Beitrages, der sich vorzugsweise mit dem Thema Schulversuch und Lehrmittel befaßt, die außerordentliche Bedeutung Österreichs auf dem Gebiet der Naturwissenschaften und der Technik zu würdigen.

Zu den unglücklichsten Wortbildungen der deutschen Sprache gehören die beiden Worte! Geisteswissenschaft und Naturwissenschaft. Ich glaube nicht fehlzugehen, wenn ich annehme, daß die Gegenüberstellung der Begriffe Geist und Natur in einem Lande, das einen so hervorragenden Anteil an führenden Köpfen der Philosophie, Theologie, Literatur, Musik, Architektur und Baukunst aufzuweisen hat, zu einer gewissen Unterbewertung der Naturwissenschaft und in deren 'Folge auch der Technik geführt hat. An dieser Tatsache hat auch die große Zahl österreichischer Nobelpreisträger verhältnismäßig wenig geändert.

Die Bedeutung des naturwissenschaftlichen Unterrichts wird heute weder vom Pädagogen noch vom Staat oder der Wirtschaft verkannt. Eine andere Frage ist die, ob alle dafür maßgebenden Stellen aus dieser Erkenntnis die notwendigen Folgerungen ziehen. Ein bedeutender Physiker, Pädagoge und Industrieller, Carl Ramsauer, Leiter der Technisch-physikalischen Werkstätten der AEG, hat. das Ergebnis seiner Lebensarbeit in einem Buch Physik — Technik — Pädagogik" zusammengefaßt. In einer großen Zahl von Beiträgen, denen Vorträge, Denkschriften, Ausarbeitungen und Eingaben zugrunde liegen, führt er in meisterhafter Form den Nachweis, daß die Pflege des naturwissenschaftlichen Unterrichts im allgemeinen, die des physikalischen im besonderen von überragender Bedeutung für die Volksbildung, für die Wissenschaft und für die Wirtschaft ist. Allen Staatsmännern, Politikern, Schulmännern und Wirtschaftsführern sei das Studium dieses kleinen, äußerlich unscheinbaren, aber inhaltlich außerordentlich wertvollen Buches empfohlen.

Uber die Größe des mit der Lehrmittelentwicklung und Lehrmittelerzeugung zusammenhängenden Arbeitsgebietes macht sich der Außenstehende kaum eine Vorstellung. Die nachstehenden Stichworte sollen nur andeuten, welche Arbeitsgebiete in das Lehrmittelgebiet hineinspielen: Bauwesen (richtige Lage der

Physik- und Chemiesäle sowie der Schülerübungsräume in bezug auf das allgemeine; Schulobjekt), Mobilar (Experimen- tiertis he, Vorbereitungstische, Schülertische, Schülerübungstische, Kartenständer, Wandtafeln, Projektionswände usw.), Versorgung (Stromversorgung, Gasversorgung, Wasserversorgung, Beleuchtung, Verdunkelung, Beheizung, Belüftung, Abzüge), Projektion und Schulfunk (Schattenwurf, Bildband- und Diapositivprojektion, Filmprojektion, Epiprojektion und Horizontalprojektion), Lehrmittel für Physik (Statiivmaterial, Geräte und Bauteile zur Wärmelehre, Mechanik, Schwingungen und Schall, Elektrizität, Optik, Energetik, Molekular- und Atomphysik und Geräte zur Behandlung der einschlägigen Grenzgebiet ), Lehrmittel zur Chemie (allgemeine und physikalische Chemie, anorganische Chemie, organische und physiologische Chemie, Agrikultur- und Nahrungsmittelchemie, chemische Technologie, analytische Chemie usw.). Diese Aufzählungen ließen sich in bezug auf die anderen Fachgebiete des naturwissenschaftlichen Unterrichts, wie Biologie, Botanik, Zoologie, Mineralogie, Astronomie, Geologie usw., beliebig fortsetzen.

Die Pionlertat Ernst Rollers

Kurz nach Ende des ersten Weltkrieges hielt im Rahmen des damaligen Förderungsvereines der junge Salzburger Ingenieur und Physiker Ernst Roller in Wien einen Vortrag, der zum Ausgangspunkt einer neuen Entwicklung auf dem Gebiet der Herstellung physikalischer Lehrmittel wurde.

Physikalische Lehrmittel entstanden aus der engen Zusammenarbeit zwischen Uni- versitäts- und Hochschulprofessoren und Institutsmechanikem. Die Geräte dienten teils der Forschung, teils der Demonstration. Neben den Mechanikern standen den Hochschullehrern Assistenten zur Ver fügung, die jeden Versuch gewissenhaft vorbereiteten und seinen Ablauf überwachten. Bei der Herstellung dieser Apparaturen mußte seinerzeit weder auf Zeit noch auf Materialkosten allzusehr Bedacht genommen werden.

Von den Hochschulen und Universitäten nahmen diese Geräte ihren Weg zu den Mittelschulen und später zu den Haupt- und Volksschulen. Den bescheideneren Mitteln dieser Schulgattungen glaubten das einschlägige Gewerbe und die Industrie durch Verkleinerungen und durch Vereinfachungen entsprechen zu können. Im Zuge dieser Entwicklung entstanden jene Geräte, die heute unter dem Begriff der festen Apparatur wohlbehütet in den Glasschränken der Physiksäle aller Schulen zu finden sind und die der Darstellung der physikalischen Erscheinungen in historischer Folge dienen.

Es ist das einmalige Verdienst des Österreichers Ingenieur Emst Roller, die Auflösung der festen physikalischen Apparatur in genormte Bestandteile, die jetzt Bauelemente genannt werden, in die Wege geleitet zu haben. Der Chemiker bediente sich seit jeher dieser Methode, und seit der Zeit Bunsens ist das Bunšen- stativ integrierender Bestandteil jedes chemischen Laboratoriums Die zu gleicher Zeit entstandenen Baukästen sowie scxre- nannte Universalgeräte von Weinhold, Volkmann und anderen haben ohne Zweifel die Arbeiten von Roller maßgebend beeinflußt. Daß es Roller nicht vergönnt war, seine Gedanken in Österreich zu realisieren und daß der kommerzielle Erfolg zunächst Deutschland und dann anderen Ländern Vorbehalten blieb, ist eine für Österreich bedauerliche, hier aber nicht näher zu erörternde Tatsache.

Bezüglich der der Aufbauphysik zugrunde liegenden Gedankengänge gebe ich am besten ihrem Schöpfer (Ing. Roller, Zeitsparende Aufbauphysik, Zeitschrift „Naturwissenschaft und Unterricht", 1. Jahrgang, Heft 1, Mäi 1949, Hippolyt-Verlag) das Wort:

„Die Aufbauphysik hat folgende Vorteile:

1. Der Versuch entsteht schrittweise vor den Augen der Schüler.

2. Verbilligung der Lehrmittel. Die vielseitige Verwendbarkeit der Bauteile rechtfertigt ihre Beschaffung audi dann, wenn sie infolge bester Ausführung teuer erscheinen.

3. Ausbaumöglichkeit der Sammlung. Wo die grundsätzlichen Bauteile vorhanden sind, läßt sich durch Nachbeschaffung weniger Teile die Anzahl der möglichen Versuche erheblich steigern. Die Zahl der Versuche nimmt also schneller zu als die Summe der erforderlichen Geldmittel.

4. Bauteile haben bleibenden Wert. Sie verhindern ein Veralten der Sammlung, Bei der sprunghaften Entwicklung der Naturwissenschaften läßt sich heute noch nicht Voraussagen, welche neuen Gebiete schon in wenigen Jahren „schulreif“ sein werden. Eine mit Bauteilen ausgerüstete Sammlung wird daher durch wenige Neuanschaffungen immer modern bleiben können.

5. Bauteile sind die besten Mittel zur Lehrerfortbildung. Experimentieren lernt man nicht mit fertigen Apparaten, sondern nur mit Bauteilen.

Die vielseitige Verwendbarkeit der Bauteile läßt den Lehrer zu seiner Weiterbildung in seiner Freizeit auch solche Versuche ausführen, die über den Rahmen des Lehrplanes weit hinausgehen. Zahlreiche Vorträge in Ferienkursen konnte ich ausschließlich mit Bauteilen bestreiten.

Wie so oft bei Einleitung einer neuen technischen Entwicklung sind auch in der Anfangszeit der Aufbauphysik Übertreibungen vorgekommen. Die Zerlegung der festen Apparatur wurde auch auf Objekte übertragen, die biefür ungeeignet sind. Im Hinblick auf die beschränkte Zahl von Stunden erscheint es unzweckmäßig, dem Physiklehrer den Zusammenbau einer elektrischen Klingel aus Bauelementen zuzumuten. Aus der Physik in historischer Folge mit Hilfe fester Apparate wurde eine „Schrauberlphysik" die in ihrer Atomisierung vielfach zu weit ging.

Es ist auch hier das Verdienst von Rollet, die Aufbauphyisik auf jenes gesunde

Maß zurückgeführt und der Zerlegung der festen Apparatur jene Grenzen gesetzt zu haben, die für den Unterricht tragbar sind. Unter dem Sammelbegriff „Zeitsparende Aufbauphysik" ist derzeit in Österreich eine elegante und zugleich allen ähnlichen Versuchen überlegene moderne physikalische Schulapparatur im Entstehen, durch die Österreich in die vorderste Front neuzeitlicher Lehrmittelerzeugung rückt. Es erübrigt sich zu bemerken, daß die Realisierung eines derart umfassenden Programms auch unter Berücksichtigung der bereits vorliegenden Erfahrungen sich über Jahre erstrecken wird. Müssen doch von einer universell verwendbaren Muffe bis zur modernen Ultraschalldemonstrationsapparatur so ziemlich alle in der Physik und Technik auftretenden Bauteile und Geräte nicht nur neu konstruiert, sondern auch aufeinander abgestimmt werden. Hiebei ist auf die Tatsache, daß viele Schulen bereits über einen Grundstock an Bauteilen verfügen, Bedacht zu nehmen, da ja die neuen Bauteile in Verbindung mit den alten verwendet werden sollen. Denen, die mit dem Tempo der Entwicklung nicht zufrieden sind, muß entgegengehalten werden, daß kaum ein Gebiet der gewerblichen oder industriellen Fertigung derart verschiedenartige Entwick- lungs- und Fertigungsprobleme zu bewältigen hat wie die Lehrmittelherstellung. Es gibt kaum einen Werkstoff, vom Gußeisen beginnend bis zum modernsten Kunststoff, wie Perspex, der nicht in der Lehrmittelerzeugung verarbeitet wird. Von der Herstellung hochwertigster elektrischer Meßinstrumente, optischer Spezialgeräte bis zur Anfertigung genormter Schul- und Laboratoriumsmöbel müssen so ziemlich sämtliche Herstellungsverfahren beherrscht und für die besonderen Belange der Schule abgewandelt werden. Daß dies nicht nur umfangreiche Laboratorien, Konstruktionsbüros und Versuchswerkstätten, sondern auch leistungsfähige Fabrikationseinrichtungen und vorzügliche Unterlieferanten erfordert, ist selbst-

verständlich.

Fortschritt des Chemieunterrichts

Im Gegensatz zur Physik liegen die Verhältnisse auf dem Geb'et des chemischen Unterrichts insofern einfacher, als der Chemiker die grundlegenden chemischen Erscheinungen mit einem verhältnismäßig geringen Aufwand an Glasgeräten und Chemikalien vorführen kann. Die darüber hinaus erforderlichen Hilfsmittel, wie Abzüge, Gas- und Wasserversorgung, Stativmaterial usw., bilden heute keine technischen Probleme mehr.

Diese Feststellung soll jedoch in keiner Weise .dahingehend gedeutet werden, daß nicht an die Vorbereitung und Durchführung des chemischen Unterrichts hinsichtlich der Person des Lehrers als auch der Hilfsmittel geringere Anforderungen als an den Physikunterricht gestellt werden.

Die Entwicklung der Schulchemie wurde in den vergangenen Jahren durch das Hinzukommen neuer Fachgebiete, wie Chemie der Kunststoffe, Agrikulturchemie, Chemie der Küche und des Haushalts, physikalische Chemie usw., wesentlich beeinflußt. Daß dies eine Erweiterung der chemischen Apparatur erforderlich machte, versteht sich von selbst.

Um auch den Volksschulen, den landwirtschaftlichen Fortbildungsschulen und allen jenen anderen Schulen, die nicht über Lehrsale für Chemie verfügen, die Durchführung einfacher chemischer Schul- versuche zu ermöglichen, wurde eine Reihe von Experimentiergeräten und Chemikaliensätzen geschaffen.

Die außerordentliche Verbreitung dieser Geräte hat ohne Zweifel dazu geführt, daß heute bereits an solchen Schulen einfacher chemischer Unterricht betrieben wird, die früher infolge Mangels an Gerät und Anleitung dazu nicht in der Lage waren.

Fachliteratur lür den Lehrer

Es ist kein Zufall, daß zwischen Lehrmittelunternehmen und Verlagsunternehmungen sowohl in der Vergangenheit als auch in der Gegenwart und nicht nur im Inland, sondern auch im Ausland enge Verbindungen bestehen. Dies hängt nicht nur mit den gemeinsamen Vertriebsinteressen, sondern auch damit zusammen, daß Lehrmittel nur in Verbindung mit der entsprechenden Fachliteratur zu ihrer vollen Wirkung gelangen.

Die Aufgabe dieser Fachliteratur ist eine doppelte: dem auf dem Gebiet der Experimentierkunst unerfahrenen Lehrer soll sie Hilfsmittel sein ua d ihn vor Miß erfolgen bewahren. Dem erfahrenen Experimentator soll durch ihre Verwendung die Vorbereitungszeit für seine Versuche abgekürzt und unnötige Schreibarbeit erspart werden. Begabte Schüler können den experimentierenden Lehrer mit Hilfe von Versuchsblättern wesentlich bei der Vorbereitung der Versuche entlasten. Ein erfahrener Schulmann hat einmal festgestellt, daß ein Physik- und Chemielehrer etwa ein Drittel seiner Arbeitszeit auf die Vorbereitung und Erprobung von Sdrnl- versuchen aufwendet. Bei dreißigjähriger Lehrtätigkeit sind das immerhin zehn Jahre.

Für Versuchsanleitungen hat sich heute die Loseblattform, nach einer Dezimal- klassdfikation geordnet, durchgesetzt. In Paranthese zur Auflösung der festen Apparatur in Bauteile könnte man hier von einer Auflösung des gebundenen Buches in lose Blätter sprechen. Diese Form hat den Vorteil, daß der Autor und auch der Benutzer die Versuchskartei stets ergänzen kann, zumal auch er die weitere Entwicklung eines bestimmten Teilgebietes genau so wenig übersehen kann, wie beispielsweise der Konstrukteur eines Bauteiles von Anfang an alle möglichen Anwendungen seines Erzeugnisses übersieht.

Mit besonderem Stolz können das österreichische Schulwesen und der herausgebende Verlag auf die nunmehr im drit- ten Jahrgang erscheinende Zeitschrift „Naturwissenschaft und Unterricht" blik- ken. Nicht einmal die einschlägigen Zeitschriften der reichen österreichisdi-ungari- schen Monarchie und auch nicht die auf diesem Gebiete führenden deutschen und amerikanischen Zeitschriften reichen in Bezug auf Niveau und Ausstattung an diese einzige österreichische Zeitschrift für den neuzeitlichen physikalischen und chemischen Unterricht heran.

Wünsche und Anliegen

Die vorstehenden Ausführungen mögen allen an der Förderung des naturwissenschaftlichen Unterrichts Interessierten zeigen, daß von seiten der Lehrmittelhersteller systematisch und verantwortungsbewußt die Lösung aller derzeitigen und künftigen Probleme angestrebt wird. Bleibt die Frage zu erörtern, welche Maßnahmen zu treffen sind, um die Zusammenarbeit der Lehrmittelhersteller zu intensivieren und die Unterstützung der zuständigen Behörden und privaten Kreise zu erlangen.

1. Bessere Dotierung der Schulen zum Zwecke der Ergänzung oder des Neuaufbaues ihrer Lehrmittelsammlungen.

2. Maßnahmen, durch welche gewährleistet wird, daß vom Steuerzahler bereitgestellte Mittel auf jeden Fall sinnvoll verwendet werden. Beratung der Lehrerschaft und der einkaufenden staatlichen Stellen in bezug auf Qualität und Zweckmäßigkeit von Lehrmitteln.

3. Förderung aller Bestrebungen, die auf eine Verbesserung des naturwissensdiaff- lichen Unterrichts, auf eine bessere Ausstattung der Lehrmittelsammlungen, auf eine Ausgestaltung der Lehrerbildung und der Lehrerfortbildung und eine Gewinnung der Öffentlichkeit für die Angelegenheiten des naturwissenschaftlichen Unterrichts hinzielen.

Stichwortartig seien hier genannt: Verein zur Förderung des physikalischen und chemischen Unterrichts; Arbeitsgemeinschaft der Mathematiker und Physiker an den Mittelschulen; Arbeitsgemeinschaft der Mathematiker und Physiker an den technischen und gewerblichen Lehranstalten. Dazu kommen zahlreiche Arbeitsgemeinschaften, Zweigvereine, Förderungsvereine usw., die sich über das ganze Bundesgebiet verteilen.

4. Durchführung von Ferienkursen als beste Institution zur Lehrerfortbildung.

5. Zusammenschluß der österreichischen Lehrmittelhersteller und gegenseitige Interessenabgrenzung, um unter Ausschaltung von Parallelentwicklungen im Inland auf große Stückzahlen zu kommen und dadurch eine Preisgestaltung zu erzielen, die österreichische Lehrmittel auf dem Weltmarkt konkurrenzfähig macht.

Den technischen und wirtschaftlichen Schwierigkeiten auf dem Gebiet des Lehrmittelwesens steht die erfreuliche Tatsache gegenüber, daß dieses Gebiet von politischen Einflüssen unabhängig ist. Es ist daher zu hoffen, daß die bereits angebahnte Entwicklung durch äußere Einflüsse nicht so leicht unterbrochen werden kann.

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