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Siedlung und Landschaft

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Mag der natursuchende Wiener heute über Hütteldorf oder Klosterneuburg ins Grüne ziehen, mag er über Rodaun das Breitenfurter Tal aufsuchen — ja der Alten Donau entlang sowie bei der Lobau: ringsumher drängt eine störende Erscheinung in die Bilderbereiche von Wäldern, Wiesen und Wassern.

Gesundes Baüernland, nach dem Verkauf von geschäftigen Grundstückmaklern in unorganische; Kleinparzellen zerstückelt, saure Wiesen ebenso wie steile, trockene Hangflächen in planlosem Uebereifer zu tausenden eckigen Flecken geteilt.. Schräge Bodenprofile terrassiert und natürliche Graben aufgefüllt; Waldbäume geschlägert, Straßen und Wege rücksichtslos durchs Land gekratzt. Betonpfeiler, Eisenrohre, Profileisen, Maschendraht und Stacheldraht verwehren stellenweise den Ausflüglern Weg, Sicht und Erholungsräume. Tausende Hütten und Häuser schössen aus dem aufgewühlten Boden: Die Veränderungen waren der Naturschönheit um so verderblicher, je planloser, je wilder gesiedelt wurde.

„Wie konnte solch schwerer Einbruch in die Landschaft, solch schreckliches Bauchaos je entstehen?“ werden unsere Nachkommen im Anblick mancher Wienerwaldgebiete anklagend fragen. „Wo war die vielbetonte Liebe der Wiener zu ihrem Wald- und Wiesenkranz, zu dem einzigartigen Naturbereiche, das ihrer Stadt einen Rahmen gab, um den andere Weltstädte sie beneiden durften. Wo waren die Experten des guten Wiener Geschmackes, die Architekten und Gartengestalter? Wo hörte man leidenschaftliche Protestrufe der Künstler gegen den Mord an der Schönheit der Heimatnatur?“

Darüber Rechenschaft zu geben, ist bitter schwer. Ich habe keinen Schöffel gesehen, keinen Mahnruf gehört, als kurz nach dem ersten Weltkrieg die Vorläufer der heutigen Wienerwaldsiedler planlos in den Wrienerwald eindrangen. Häuser um Häuser wuchsen an den Stadträndern, lichter, luftiger, sonniger in den Grünflächen liegend als die Zinskasernen in den alten, engen Straßen. Der Zug der Siedler ließ indessen nicht nach, sondern schwoll vielmehr lawinenartig an, drängte unaufhaltbar aus den Steinschluchtstraßen der Großstadt und bedeckte alle zu erreichenden Landschaftsteile der Wiener Umgebung. Das Siedeln im Grünen entstand wahrhaftig als spontane ■ Volksbewegung; nicht nur bei Wien, auch bei vielen anderen Städten. Die von Großstadtmonotonie künstlich verdrängte Erdverbundenheit der Menschenkreatur brach in leidenschaftlichem Verlangen ins Feld. War der Gefangene der Zinskaserne das Opfer einer ins Extrem verirrten Stadtbauweise, so führte überstürztes, planloses Siedeln im Grün vielenorts zum gegenteiligen Extrem des Hausens in hierfür ungeeigneten Geländen. Viele hastig errichtete Siedlungen erwiesen sich später als Fehlinvestitionen. Durch zu große Entfernungen der Arbeitsstellen, durch sanitäre Mängel, wie fehlende Kanalisation uf?d Trinkwasserleitung, durch Unwegsamkeit des Geländes bei Schlechtwetter, durch stagnierende Bodenfeuchtigkeit 'oder hingegen Grundwassermängel. Ja sogar steile Rutschflächen brachten manchen Uebereifer zum Scheitern. Gerade unser Wienerwald zeigt üble Beispiele solcher Fehlsiedlungen. Daß in seinem Bereiche Gründe zu erschwinglichen Preisen veräußert wurden, hat nicht nur vielen Siedlern, sondern auch ihm selbst viele Nachteile gebracht.

Wer soziologische Studien liebt, wird sich mit den Siedlern näher bekannt machen und gesprächsweise den tieferen Ursachen und Gründen ihres eifrigen Tuns nachforschen, und er darf, der Gefahr der Einseitigkeit entgegen,nicht nur Auswüchse des Siedeins beurteilen, sondern wird feststellen, daß es unter den Siedlern nach Herkommen und persönlicher Einstellung große Unterschiede gibt. So verschieden Gärten und Häuser, so verschieden sind ihre Besitzer und die treibenden Kräfte ihrer Tätigkeit. Wir sehen jetzt auf steiler Höhe neue Prachtbauten, deren Architektenentwürfe von vermögenden Nachkriegsgewinnern honoriert scheinen, die ihren Bau als Kapitalanlage aufführen ließen. Wir sehen daneben mitunter Geschäftsleute, die so tun, als ob sie ihr „Weekend“ als „Hobby“ pflegten. Sie hegen aus verspielter Romantik heraus konfektionierte Pflanzen, setzen und wässern die landschaftsfremden amerikanischen Blaufichten und postieren knallige Gipszwerge, rote Gipsschwämme und weiße Gipshündchen' vor ihren Budenzauber hin. Sie spielen Gärtner, spielen mit Miniaturburgen, spielen Anstreicher oder spielen Nacker-patzel; wenn sie nicht Karten spielen oder ihre Leiber in Liegestühlen dem Sonnenbrand aussetzen, wobei sie Radio spielen und mit infernalischen Jazzrhythmen die Waldstille zerreißen.

Diese Erscheinungen dürfen nicht als typisch hingestellt, nicht verallgemeinert werden, sie sind, gottlob, Minderheit. In der Mehrheit der Siedler lernen wir umgängige, fleißige, opferwillige Leute kennen, die unter oft größten Schwierigkeiten und Entbehrungen* das selbstgesteckte Ziel verfolgen, sich und der Familie aus eigener Kraft ein Heim im gesunden Grün zu schaffen. Lobe du seinen Apfel am Baum, den er dir stolz schenkt, und du hast einen Menschen minutenlang überglücklich gemacht I Wirklich ist es erstaunlich, was manche emsige Siedlerfrau mit ihren rauhgearbeiteten Händen dem Boden an Blumen oder Gemüsen abringt und damit Tisch und Familienhaushalt bereichert. Das große Plus des Siedeins ist dort, wo Kinderaugen im grünen Blattgewirr die Reinheit aufblühender Blumen bestaunen, wo sie das Werden und Vergehen in der Natur bewundern und im Heranwachsen Wert und Würde des Lebens schätzen lernen. Wenn die Eltern dieser Kinder, einst in lichtlosen Mauern aufgewachsen, durch ihr Siedlerwerk dem hohlen Vergnügungstrieb der Großstadt entzogen, fernab von Kino, Wirtshaus und Fußballplatz Lebensinhalt und Freizeitgestaltung gefunden, dann ist ihr Siedeln als Fortschritt zu werten. So betrachtet, könnte das Siedeln, bei sinnvoller Lenkung, zur Kultur werden.

Kultur ist dort, wo sich Kunst mit Natur verschwistert. Hieraus wartete der Siedler die schwerste Aufgabe. Gerade der oft wahrnehmbare Mangel baulichen Geschmacks hat die Siedlerbewegung in manchen Kreisen diskreditiert. Die Mehrzahl der Siedler hat sich längst in Verbänden zusammengefunden. Vereinsobmänner, Obstbaumwarte und freiwillige Funktionäre wachen über die nötigsten Gartenpflegemaßnahmen. Viele Zeitschriften belehren den Schneider, den Beamten, den Kaufmann, den Maschinenarbeiter, kurzum, den Nicht-gärtner, wie man zweckvoll Pflanzen kultiviert. In den Vereinslokalen werden Vorträge gehalten, die ein aufmerksames Publikum finden. Nirgends aber wurde von der privaten Siedlerbewegung das erste, wichtigste Problem erörtert oder gelöst: die Planung, die Einordnung der Siedlungen in den Landschaftsraum der Heimat! Ein weiteres Problem, jenes der baulichen Formgebung der Siedlungshaus er, wurde bisher auch sehr vernachlässigt.

Wir haben im Süden unserer Stadt riesige Räume, deren planvolle Aufschließung wertvoll sein könnte. Dort würde die intensive Spatenkultur der Siedler den Boden vor Versteppung schützen. Von den Ziegelteichen an verliert sich der Blick in der Dürftigkeit des Geländes. Hier wäre der Ort; wo die gesammelte Energie der Siedler bei zielvoller Lenkung schöpferische Taten vollbringen könnte. Die Ziegelteiche selbst würden nach naturhaft gärtnerischer Ausgestaltung, nach Baum- und Strauchpflanzung, sehr gewinnen. Nichts unlogischer, als Hügel und Hänge des Wienerwaldes zu besiedeln, solange in Nord und Süd der Stadt weite Ebenen kultivierbar sind. Da der Wienerwald durchaus die Harmonie einer gesunden Wald- und Wiesenlandschaft besaß, waren Eingriffe in seine Gebiete nur abträglich.

Die Erkenntnis der Gefahren für das biologische Gefüge unseres Waldes drang spät, sehr spät an die Oeffentlichkeit; sie wurde durch eine Gruppe von Akademikern in einer Ausstellung mit Wort und Bild verbreitet: Der Wienerwald in Gefahr!

Wenn sich nun mehrere Expertengruppen, das Institut für Naturschutz, der Konsulentenverband für Landschafts- und Gartengestaltung sowie die Arbeitsgemeinschaft für Raumforschung und Planung, zu einer Aktions-gemeinschaft zusammengeschlossen haben, um für die Erhaltung des Wienerwaldes geeignete Maßnahmen einzuleiten, dann entspricht das durchaus dringenden Zeitaufgaben, denen wir als Erben einer hohen landschaftlichen und baulichen Kultur verpflichtet sind. Die Aufgaben sind um so aktueller, als mit dem geplanten Bau der Autostraße eine neuerliche Gefahr des Versiedelns weiterer Teile des Wienerwaldes auftaucht. Mit dieser Ausfallstraße kann unendlich viel gut oder unendlich viel schlecht gemacht werden.

Durch die Rückkehr von Wiener Randgemeinden zum Land Niederösterreich sehen sich viele Ortsvorsteher vor die baulichen Probleme des Wienerwaldes gestellt. Endlich sollen Flächenwidmungspläne die Grenzen der Be-siedelung abstecken. Wo sich der Grüngürtel mit den Wassern der Donau vereinigt, bei der Alten Donau und bei der Lobau, wäre ebenfalls vieles gutzumachen. Die landschaftlichen Möglichkeiten dieser Gebiete wurden zuwenig erfaßt. Ein verschlammter Rummelplatz, dessen Badeufer von einer Minderheit mit Hütten und Gitterzäunen gegen die übrige Stadtbevölkerung abgesperrt werden, kann nicht Ziel und Ende der Alten Donau sein. — Ein in seiner Stadtnähe von Verbauung besonders schmerzlich betroffenes Grüngebiet ist der Prater. Könnte unser Waldmüller hier noch einmal die Stellen sehen, wo seine Künstlerhand prächtige Bäume in Gemälden verewigte, er würde ob der baulichen Veränderungen entsetzt fliehen. Sie sind stellenweise den wirren Flecken auf den Bildern entarteter Supermaler ähnlich. Betroffene sollen diese Worte verstehen, die* aus dem Herzen eines Mannes kommen, der die Natur der Heimat so liebt wie Kunst und Gartenbau und also darum ruft: Schluß mit der Atomi-.sierung der Landschaft!Siedeln? Jawohl! Aber planvoll und mit Vernunft.

Ich wünsche der Siedlerbewegung den Platz, den sie verdient. Ich wünsche ihr eine große Zukunft. Sie möge, betreut und getragen von Idealisten, frei von Bodenspekulation, Manager-tum und Kitschistengeschmack das Volk zur Heimaterde führen, zur Gesundheit, zur gesunden Schönheit!

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