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Sinnbild unserer zweigeteilten Welt

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Mitten durch die Heilige Stadt geht heutzutage eine für die Bewohner der beiden angrenzenden Staaten normalerweise unüberschreit-bare Grenze, so etwa, als würde man Wien zwischen der Zweierlinie und dem Ring durch vier Meter hohe Betonmauern in zwei Staaten aufteilen. Zu Weihnachten gibt es für die fast durchweg arabischen Christen im Staate Israel eine kurzfristige Ausnahme. Ausländer dürfen einmal in einer beliebigen Richtung das „Mandelbaumtor“, den einzigen normalerweise erlaubten Übergang, passieren; sie können entweder von Israel nach Jordanien kommen oder umgekehrt, aber nicht hin und zurück. Es ist also etwas Außergewöhnliches, wenn der Heilige Vater mit seiner Begleitung von der jordanischen Altstadt Jerusalems über Nablus (= Sichern) nach Megiddo, nach Galilea in den Staat Israel, und dann durch das „Mandelbaumtor“ wieder zurück nach Jordanien reisen wird.

Papst Paul VI. wird in Amman landen, dem antiken Philadelphia, an das in Wien noch eine Brücke im 12. Bezirk erinnert. Auf einer modernen, mit amerikanischem Geld erst in den letzten Jahren ausgebauten Autostraße begibt sich der Heilige Vater in Sichtweite des antiken und neuen Jericho am Toten Meer entlang über die Strecke des „Barmherzigen Samaritans“ nach Bethanien (Lazarusgrab) und, den Ölberg im Süden umfahrend, zum Stefanstor in Jerusalem. Vorbei an der Kreuzfahrerkirche St. Anna und an dem aus der Zeit Christi (mitsamt der aus dem Fels herausgehauenen Stiege) noch erhaltenen Teich Be-thesda (Joh. 5, 2) kann der Papst im Auto bis zum Lithostrotos fahren, dem noch gut erhaltenen Vorhof der Burg Antonia. Diese an der Nordwestecke des Tempelplatzes gelegene Festung hatte auf der Stadtseite einen mit großen Steinplatten gepflasterten Platz, etwa im Ausmaß von 30 :50 Meter, der damals höher lag als die benachbarten Straßen und darum „Gabbathä“ (— erhöhter Ort) oder „Lithostrotos“ (= Steinboden) hieß. Wieviel Schutt sich seit der Zeit Christi in Jerusalem angesammelt hat, kann man daraus ermessen, daß dieser „erhöhte Ort“, also der Vorhof des Pilatuspalastes, nun fünf Meter unter dem heutigen Straßenniveau liegt! Hier war der Dialog zwischen den Juden und Pilatus, hier erfolgte die Verurteilung des Herrn.

Die schmale „Via ' dolorosa“ wird an dieser Stelle vom Mittelteil eines dreifachen Tores — des Osttores der römischen Stadt Aelia Capitolina (Name des von Kaiser Hadrian erbauten Jerusalem) — überwölbt, dem sogenannten „Ecce-homo-Bo-gen“. Diese mittelalterliche Benennung erinnert an die Szene, als Pilatus den Heiland nach der Geißelung dem versammelten Volk zeigte und sprach: „Seht da den Menschen!“ (Joh. 19, 5). Beim ..Ecce-homo-Bogen“, oder genauer gesagt: im Vorhof einer daneben befindlichen jordanischen Kaserne, beginnt jeden Freitag der Kreuzweg.

Die Grabeskirche ist das größte Heiligtum der Christenheit, denn hier steht der Pilger am Schauplatz des Erlösungstodes und der Auferstehung Christi. Die Griechen nennen sie deswegen, richtiger als wir, „Anästasis“, d. h. Auferstehungskirche. Zur Zeit Christi lag dieser Ort außerhalb der Stadtmauer, von der aus man in nordwestlicher Richtung einen etwa fünf Meter hohen Felshügel sehen konnte, der etwa die Form eines menschlichen Kopfes hatte; darum nannte man den Platz „Schädelstätte“ (Golgotha). Neben diesem besonders auffallenden Felshügel gab es in einem Garten noch etliche kleinere Felsen, aus denen Gräber herausgehauen waren. Etliche dieser Grabkammern aus der Zeit Christi kann man in der Grabeskirche knapp außerhalb der Rotunde besichtigen; sie haben sich im Originalzustand erhalten.

Josef von Arimathäa, ein Anhänger Christi, hatte sein in diesem Friedhof gelegenes Grab für die Bestattung des Heilands zur Verfügung gestellt: „Nahe der Stelle, wo er gekreuzigt worden war, lag ein Garten, und in dem Garten ein neues Grab, in dem bisher noch niemand beigesetzt worden war. Dort bestatteten sie nun Jesus mit Rücksicht auf den Rüsttag der Juden, weil sich das Grab so in der Nähe befand“ (Joh. 19, 41).

Vor Sonnenuntergang wurden, um die Spuren der Hinrichtung zu verwischen, alle Hinrichtungsinstrumente in eine Zisterne geworfen, die sich etwa 20 Meter nördlich vom Golgothafelsen befand. Diese Stätten mußten im Gedächtnis der jungen Kirche bleiben, weil man ja auch bei der Zerstörung Jerusalems den so charakteristischen Golgothafelsen nicht abtragen konnte. Tatsächlich wurde der Ort des Erlösungstodes Christi schon im ersten Jahrhundert verehrt, und auch nach 70, also nach der Vertreibung aller Juden aus der Stadt, durften die Überlebenden einmal im Jahr an einem bestimmten Tag zur Klagemauer gehen; die inzwischen meist in Galilea angesiedelten Juden und Judenchristen gingen auf dem Weg in die Heilige Stadt vorbei an Golgotha. Ein indirekter, aber deutlicher Hinweis dafür, daß die Christen die Kreuzi-gungssätte aufsuchten, ist eine n-ordnung des Kaisers Hadrian aus dem Jahre 135 n. Chr.: Um jede weitere Andacht an dieser Gedenkstätte zu verhindern, ließ er über dem ursprünglichen Boden eine Terrasse und auf ihr eine Jupiter- und eine Venusstatue errichten. Doch gerade dadurch wurden die heiligen Stätten einerseits intakt gehalten, anderseits hinsichtlich ihrer örtlichen Lage für die Nachwelt endgültig fixiert.

190 Jahre später, als die Mutter Konstantins, die hl. Helena, zur Pilgerfahrt ins Heilige Land kam (325 n. Chr.), brauchte man die heidnische Kultstätte nur wegzuräumen, um Golgotha (= Kaivaria), das Grab und die Zisterne wieder freizulegen. Konstantin befahl, ein würdiges Bauwerk über diesem „wunderbarsten Ort der Welt“ zu errichten; man baute von 326 bis 336 an einer fünf-schiffigen Basilika mit 45 Meter Länge und 26 Meter Breite, dem „Martyrium“. Hinter ihm lag ein zweites, inneres Atrium am Südosteck, welches die Felsplatte von Golgotha bezeichnete, die Kreuzigungsstätte; von diesem inneren Atrium aus betrat man durch drei Tore eine weite Rotunde mit einem Durchmesser von 38 Meter, die das Grab überdeckte, das man mühevoll vom übrigen Felsenhügel gelöst hatte. Doch diese herrliche Anlage Konstantins ging während der Invasion der Perser, 614 n. Chr., verloren. Später versuchte der Mönch Modestus, die Kirche in bescheidenerem Rahmen zu restaurieren. 1009 befahl Kalif Hakim, ebenso wie die anderen Kirchen Palästinas auch die Grabeskirche zu zerstören — es blieb nur das eigentliche Grab mit der Totenbank übrig.

1130—1149 errichteten die Kreuz-fahrer das grandiose Bauwerk, das trotz verschiedener Restaurationen im Inneren in seinen äußeren romanischen Formen auf das 12. Jahrhundert zurückgeht. Unter der kleineren hellen Kuppel liegt die Kreuzigungsstätte Christi (Golgotha), unter der größeren schwarzen Kuppel befindet sich die Rotunde und in ihrer Mitte die Grabeskapelle: Ein marmorverzierter Vorraum („Engels-Kapelle“) führt in die nur zwei Meter lange und knapp zwei Meter breite Grabkammer, in der sich gleichzeitig höchstens drei Personen aufhalten können, weil etwa einen Meter der Breite die Totenbank einnimmt.

Besonders seit dem Erdbeben vom Juli 1927 zeigen sich an der Grabeskirche starke Verfallserscheinungen; wegen akuter Einsturzgefahr ist die Kuppel über dem Grab Christi durch ein mächtiges Holzgerüst abgestützt, zwischen dem man nur mühsam in den Rundbau hineinkommt.

In der Grabeskirche kommt einem die Tragik der zerrissenen Christenheit anschaulich zum Bewußtsein, nicht nur deswegen, weil mohammedanische Soldaten an ihrem Eingang Wache halten, damit die Christen nicht untereinander streiten ...!

Seit der Zeit Christi erhielten sich noch der naturgewachsene Fels der etwa 9 :11 Meter großen Plattform der Kreuzigungsstätte, auf welcher der griechisch-orthodoxe Altar von Golgotha und daneben ein von der Erzdiözese Salzburg gestifteter Marienaltar der Katholiken stehen; ebenso überdauerte alle 1900 Jahre ein Teil des naturgewachsenen Felsens der Grabstätte Christi, vor allem die Totenbank in der jetzt mit Marmor ausgeschmückten kleinen Grabkammer. Es wird mehr als bloß eine symbolische Geste sein, wenn gerade an diesem heiligsten Ort der Christenheit zum erstenmal seit dem 6. April des Jahres 30 der Nachfolger des hl. Petrus kniet und nach 1000 Jahren zum erstenmal wieder ein Papst Seite an Seite mit dem Oberhaupt der Orthodoxen betet, und noch dazu sowohl Paul VI. als auch Athenagoras I. in der aufrichtigen Gesinnung, daß bald wieder „alle eins seien“!

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