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Stadtplanung oder Planlosigkeit?

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Im Verlaufe des letzten Jahres hat die Wiener Stadtverwaltung die österreichische Architektenschaft zu drei großen Wettbewerben eingeladen, die der künftigen Gestaltung des Stephans- und Karlsplatzes sowie des Kaigeländes galten. So verdienstlich es an sich sein mag, derartige baukünstlerische Wettbewerbe auszuschreiben, so stellten sie eigentlich die teilnehmenden Architekten von vorneherein vor eine schwer lösbare Aufgabe, da eine notwendige Voraussetzung fehlte: eine wirklich großzügige Stadtplanung. Wer den Bau eines Hauses vorhat, wird kaum zuerst einen Innenarchitekten mit der Planung von Innenräumen beauftragen, bevor das Gesamtprojekt des Hauses vorliegt. Dieses gleiche Grundgesetz hat aber auch Geltung für die bauliche Ausgestaltung von Plätzen oder Ufergeländen. Zuerst muß unbedingt eine genaue Stadtplanung des bereits verbauten Stadtgebietes vorgenommen werden, bevor man an den Wiederaufbau zerbombter Stadtteile herantritt. Es wäre ein richtiges Schildbürgerstück, wenn man die Wiederherstellung zerstörter Häuser durchführte, ohne vorher die Trassierung notwendiger1' Ausfallstraßen, entsprechend Grünflächen für, Parkanlagen und Kinderspiel-, platze vorzusehen, ohne die künftigen Hauptbahnhöfe oder die Bahngebäude für eine Schnellbahn festzulegen, die ja doch einmal kommen muß.

Gewiß, eine derartige Stadtplanung ist n:cht eine Angelegenheit, die überstürzt werden könnte. Daß hier Schwierigkeiten zu überwinden sind, liegt auf der Hand. Es gibt kein bestimmtes Rezept für Großstadtplanungen, außer für solche, die man überhaupt erst anlegen will. Denn jede Stadt ist organisch gewachsen und hat daher ihre Sondergesetze. Deshalb besteht auch immer die große Gefahr, durch gewaltsame Eingriffe das gewohnte Antlitz einer Stadt zu zerstören und so den Einwohnern etwas Liebgewordenes zu nehmen. Aber ebenso sicher ist es, daß in jeder Großstadt den Anforderungen des modernen Verkehrs Rechnung getragen werden muß, wenn die Stadt nicht verdorren soll.

So schwer und bitter auch die Zerstörungen sein mögen, die durch die Kriegsereig-nisse unserer Vaterstadt zugefügt wurden, so bieten sie doch die einmalige Gelegenheit, so manche städtebauliche Sünden der letzten hundert Jahre auszumerzen„ das Stadtbild aufzulockern und- Wien schöner zu gestalten, als es bisher war. Im allgemeinen verbindet sich mit dem Begriff der Schönheit Wiens ja -dochtjwiijrdie jErinnerangi anV die isebönep. alten Viertel der Innenstadt, an die Ringstraße, an einige kirchliche und profane Bauten außerhalb der Ringstraße und an die herrliche Umgebung der Stadt. Was aber zwischen Ringstraße und den Wienerwaldbergen gelegen war, stellte doch im großen und ganzen ein unschönes Chaos von planlos angelegten Wohn- und Fabriksvierteln dar, die größtenteils ineinanderlaufen und mit ihren häßlichen Mietkasernen kaum geeignet sind, in den Wienern ein wärmeres Heimatgefühl zu erzeugen, so sehr, sie auch an ihrem engeren Wohnbezirk hängen.

Seit dem erster! Weltkriege ist manch. Wertvolles zur Verschönerung . der .Stadt durchgeführt worden, so manches Elends-, viertel wurde beseitigt, in den neuen Wohn-, gebäuden zur Hebung der Wohnkultur beigetragen. So sehr diese Leistungen anerkannt werden 'ollen, so muß man sich doch vorhalten, daß sie vor allem auf sozialem Gebiete Abhilfe schaffen wollten, ohne sich irgendwie mit den großen städtebaulichen Problemen auseinanderzusetzen. Das gleiche gilt für das zweifellos mächtig emporblühende Siedlungswesen. Solange nicht gleichzeitig mit dem Siedlungsausbau auch eine großzügige Ausgestaltung des Verkehrswesens Hand in Hand geht, bedeutet er eine steigende Belastung und Überlastung der schon bestehenden Verkehrsmittel und gleichzeitig auch eine drückende Belastung für den im Berufe stehenden Siedler, der seine Freizeit zum allergrößten Teile für die Fahrt zu und von seiner Arbeitsstätte aufbraucht und daher sein Heim eigentlich nur als Schlafgelegenheit oder Wochenendhaus benützen kann.

Dies alles sind Probleme, die einer dringlichen Lösung bedürfen. Man hätte daher er warten müssen, daß die Stadtverwaltung-' zu allererst darangeht, durch eine gründäiche Beratung aller an der Stadtplanung interessierten Faktoren eine großzügige Lösung aller dieser wichtigen städtebaulichen Fragen anzustreben. Zu diesem Zwecke hätte man' auch ausländische Städtebauer von Rang heranziehen müssen.

Bisher ist von derartigen städtebaulichen? Planungen noch nichts der Öffentlichkeit be kannt geworden, obwohl sie atls primäre Voraussetzung ür weitere Planungen anzusehen wären. Man scheint sich in den verantwortlichen Kreisen noch nicht der . Tragweite einer solchen Unterlassung voll und. ganz bewußt zu sein. Oder kann sich unsere verarmte Stadt den Luxus leisten„, zuerst . Einzelbauten wiedderherzustellen und sie dann der Demolierung zu überlassen, wenn eine später erstellte Stadtplanung es erfordert?

Nehmen wir '1 den-“Einzelfall“ “des- - Wettbewerbes für die Verbauung des Kaigeländes' am Donaukanal! Jeder denkende Mensch ist sich klar darüber, daß der Donaukanal in seinern heutigen Zustände kein'Verkehrsweg, sondern höchstens ein Verkehrshindernis ist. Wäre es da nicht zweckmäßig, durch eine entsprechende Verbreiterurig und Vertiefung des Kanals aus diesem stinkenden Rinnsal einen wirklichen Fluß zu machen; auf dem sich ein großstädtischer “Personen-“' und Lastenverkehr abspielen könnte? Da die Mehrzahl der Gebäude an beiden Kanälufern zerstört ist, würde bei einem Ausbau des Kanals fast kein notwendiger Woh-nungsraum beansprucht werden, das Stadtbild Wiens aber würde dadurch unendlich an Schönheit gewinnen. Sowohl im zwanzigsten wie im zweiten Bezirk könnte schon jetzt die Trassierung moderner Verkehrsstraßen, geplant werden, man könnte auch, die so wichtigen Grünflächen desAugartens und des Praters näher ans Stadtzentrum heranziehen. Alle diese Zukunftsplanungen wären aber von vornherein zum Scheitern verurteilt, wenn man schon jetzt auf Grund eines übereilten Wettbewerbes die neue Verbauung in die Wege leitete.

Welche Grundsätze hätten für die künftige Stadtplanung zu gelten? Die geschichtlich und künstlerisch wertvollen Teile der Innenstadt müssen erhalten bleiben. Gleichzeitig wäre für eine moderne Verkehrsfüh- , rung vorzusorgen, sowie für eine Auflocke--rung und Durchsetzung mit Grünflächen in ienen Stadtteilen, die erst im 19. lahrhundert ausgebaut wurden. Man könnte bei dieser Gelegenheit so manche Bausünde dieser Zeit wieder gutmachen.

Rechtzeitig muß auch an den Ersatz der Straßenbahn, die heute vielfach ein Verkehrshindernis bedeutet, durch zeitgemäße Verkehrsmittel gedacht werden. EKirch die Anlage von zwei oder drei modernen Kopfbahnhöfen würde viel wertvolles Baugelände frei Werden, das bisher durch die restlichen Bahnhofsanlagen in Anspruch genommen wird.

Bevor aber nicht alle diese wichtigen Fragengelöstwerden, die Wiens Antlitz für die nächsten Jahrhunderte entscheidend gestalten werden, sind alle Teilpläne, für die man Wettbewerbe ausgeschrieben hat, zwecklos.

Daß sich die Architekten selbst dieser Tatsache bewußt sind, ergibt sich schon daraus, daß sie entweder großzügig den Demolie-rungskrampen arbeiten lassen oder sich allzu genau an die bestehenden Verhältnisse halten, weil sie-ja selbst nicht wissen, in welchem Ausmaße ein eventueller künftiger städtebaulicher Plan in das Gefüge der Stadt eingreifen wird.

Finanzielle Fragen dürfen bei dieser großzügigen Stadtplanung kein Hindernis darstellen; denn unsere Generation wird das neue Wien noch nicht aufbauen können. Aber die Voraussetzungen für die Ausgestaltung Wiens müssen geschaffen werden, denn ohne sie wäre der Wiederaufbau der Stadt nichts anderes als ein armseliges Flickwerk, das der Tradition Wiens in keiner Weise würdig sein kann.

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