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Streß macht krank

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Der Erforschung der Zusammenhänge von Gehirn, Psyche, Hormonen • und Immunsystem ist die Psychoneuroimmunologie (PNI) auf der Spur.

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Der Erforschung der Zusammenhänge von Gehirn, Psyche, Hormonen • und Immunsystem ist die Psychoneuroimmunologie (PNI) auf der Spur.

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Kummer macht krank“ und „Lachen ist gesund“. Zwei uralte Volksweisheiten, die die Sache auf den Punkt bringen: Emotionen beeinflussen irgendwie unsere Gesundheit. Das bedeutet: Zwischen unserem Gehirn und unserem Immunsystem muß es vielfältige Beziehungen geben. Welche? Diesem Rätsel ist eine neue Forschungsrichtung auf der Spur, die Psychoneuroimmunologie, kurz PNI genannt. Sie beschäftigt sich mit der Frage, wie die Kommunikation zwischen Gehirn, Psyche, Hormonen und Immunsystem funktioniert. Ihre Erkenntnisse werden zum besseren Verständnis des Phänomens Krankheit und zu neuen Therapieansätze bei Krebs, Aids, Infektionen und Depressionen beitragen.

Begonnen hat die Geschichte dieser fächerübergreifenden Forschung Mitte der siebziger Jahre. Ein einfaches Konditionierungsexperiment, bei dem Ratten eine Abneigung gegen Zuckerwasser antrainiert werden sollte, endete für die Tiere tragisch. Nach 40 Tagen lagen einige Tiere tot im Käfig. Wie konnte Zuckerwasser tödlich wirken? Zwar war bekannt, daß die Substanz, die den Ratten nach dem Genuß des Zuckerwassers injiziert wurde und die Abscheu vor dem süßen Getränk antrainieren sollte, das Immunsystem schwächt, doch eine einmalige Injektion, wie bei den Ratten, war völlig ungefährlich. Es gab nur eine Erklärung: Die Konditionierung „Zuckerwasser - Übelkeit“ mußte parallel auch den Effekt „Zuckerwasser - Immunschwäche Reaktion“ gehabt haben. Die Ratten hatten „gelernt“, ihr Immunsystem zu unterdrücken.

Dieses Experiment wurde von vielen Wissenschaftlern auf der Welt mit immer gleichem Ausgang wiederholt. Der Beweis, daß Vorgänge im Gehirn das Immunsystem beeinflussen, war damit erbracht.

Eine Studie der Universität Pittsburgh aus dem Jahr 1991 bestätigte, daß diese Erkenntnis auch auf den Menschen zutrifft. Von 394 mit Grippeviren infizierten Versuchspersonen erkrankten 47 Prozent. Alle gaben an, unter großer Streßbela- stung gestanden zu haben. Von jenen Personen, die nur geringem Streß ausgesetzt waren, erkrankten nur 27 Prozent.

Nach einer Reihe von Versuchen, die alle die Körper-Seele-Beziehung bestätigten, wurde dann auch der wissenschaftliche Beweis dafür geliefert. Die PNI-Forscher stellten fest, daß der Effekt auf das Immunsystem über das Streßhormon Cortisol vermittelt wird. Es wird bei psychischer oder physischer Belastung (extreme Streßsituationen) vermehrt in der Nebennierenrinde gebildet. Cortisol - und das ist ganz wichtig — kann sich an Immunzellen binden und unterdrückt deren Aktivität. Ist also über längere Zeit zuviel Cortisol im Blut, werden die Abwehrkräfte geschwächt - langanhaltende Streßsituationen führen zu einer erhöhten Krankheitsanfälligkeit.

Doch vom Streß allein werden wir nicht krank. Krankheiten, so die Er-

kenntnis der PNI-Wissenschafter, entstehen und verlaufen immer in einem bio-psycho-sozialen Zusammenhang. Das heißt, wenn wir krank werden, treffen immer mehrere Faktoren zusammen. Ein biologischer Faktor (eine ererbte Veranlagung oder ein Krankheitserreger), ebenso wie ein psychischer (Schicksalsschläge, Streß oder Persönlichkeitskonflikte) und ein sozialer Faktor (Einsamkeit, die Arbeitssituation oder die Beziehungen zu Freunden).

Wenn Streß nun die Krankheitsanfälligkeit erhöht, was kann dagegen unternommen werden? Wichtig ist ausreichender Schlaf. Wobei der Tiefschlaf, gleich nach dem Einschlafen, für den Organismus am wichtigsten ist. Doch auch bei kurzem Schlaf „holt“ sich der Körper die Ruhe, die er braucht. Sich selbst Streß wegen befürchtetem Schlafmangel zu machen ist daher unnötig.

Bei Schlafstörungen, wie auch allgemein als Mittel gegen Streß, werden Entspannungsübungen empfohlen. Wenn Streß die Ausschüttung

von Hormonen wie Cortisol bewirkt, die erwiesenermaßen die Immunabwehr schwächen, muß das Gegenteil — nämlich entspannen - sich günstig auf das Immunsystem auswirken. Eine Studie bestätigte diese Annahme: aufgrund von Entspannungsübungen wurde ein Anstieg der Aktivität natürlicher Killerzellen sowie ein höherer Immunglobulinspiegel gegen bestimmte Viren beobachtet. Ähnliche Ergebnisse brachten Meditation und Hypnose. Entspannung kann also die körpereigene Abwehrkraft stärken.

Krankheiten mit Entspannungstechniken vorzubeugen, ist eine Sache. Doch gelingt es auch, Krankheiten mit Entspannungsübungen - Suggestionstechniken oder Psychotherapie - zu heilen? Genau weiß das heute noch niemand. Bis dato ist lediglich erwiesen, daß Suggestionsübungen den Krankheitsverlauf günstig beeinflussen. Denn, wer sich wohler fühlt, aktiver mit seiner Krankheit umgeht, weniger Ängste hat, stärkt automatisch sein Immunsystem.

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