6765228-1968_31_21.jpg
Digital In Arbeit

Textilland Vorarlberg

Werbung
Werbung
Werbung

An der wichtigen Nord-Süd-Handelsstraße Ulm—Chur-Splügenpaß—Mailand gelegen,

herrschte in Vorarlberg schon dm Mittelalter ein r-eger Durch zugsverkehr. Die internationalen Handelsströme vom Norden nach dem Süden weiden heute zwar zu einem erheblichen Teil auf anderen Routen abgewickelt, der internationale Tourismus schätzt aber nach wie vor die Verkehrswege entlang des Rheins bis hinauf zu den Bündnerpässen und von dort weiter in den Süden. Vorarlberg ist im Fremdenverkehr aber nicht nur Durchzugsland, Zehntausende von Gästen finden hier im Winter ebenso wie im Sommer an den Gestaden des Bodensees oder in der herrlichen Bergwelt Erholung und Entspannung. Wie viele von ihnen wissen, daß sie sich zwar in einem typischen Fremdenverkehrs-, gleichzeitig aber auch in einem hochentwickelten Industrieland aufhalten? Tatsächlich ist es das höchst industrialisierte unter allen österreichischen Bundesländern; von den insgesamt rund 66.000 nichtselbständig Beschäftig-

ten der gewerblichen Wirtschaft dieses Landes stehen rund 33.000 in den piensten heimischer Industriebetriebe. Das sind — obwohl auf Vorarlberg nur ein 3,6prozentdger Anteil an der österreichischen Gesamtbevölkerung entfällt — gut 5 Prozent aller Industriebeschäftigten Österreichs. Auch an Hand der Produktionswerte läßt sich leicht der Nachweis führen, daß Vorarlberg nicht zu Unrecht als da® industriedichteste aller Bundesländer gilt. Sein Anteil an der Gesamtproduktion der österreichischen Industrie beläuft sich auf gut 5 Prozent. Die Kopfquote im Export liegt hier ebenfalls weit über dem Bundesdiurchschnitt.

Fremdenverkehr und Industrie sind mit der Elektrizitätswirtschaft nach wie vor die tragenden Säulen der Wirtschaft des Landes, wobei innerhalb der Gesamtindustrie der textilen Fertigung besonderes Schwergewicht zukommt. Von allen Industriebeschäftigten sind rund 20.000 in der Textilindustrie tätig; 38 Prozent der gesamtösterreichischen Textilkapazität sind in diesem kleinen Land behei- ‘ t tet.

Es ist schon oft die Frage gestellt worden, wieso es gerade im äußersten Westen des Bundesgebietes zu einer derartigen Konzentration der Textilindustrie gekommen ist. Tatsächlich war sie in ihren Grundzügen schon längst festgelegt, bevor noch die ersrte der altbekannten Firmen gegründet wurde. Die Kargheit des landwirtschaftlichen Bodens — nur 3 Prozent der gesamten Landesfläche dienen dem Ackerbau — zwang die bäuerliche Bevölkerung schon sehr früh, sich im Stik- ken, Spinnen und Weben Nebenverdienste zu suchen. Lohnaufträge kamen aus dem benachbarten Ausland, an der Hausindustrie konnte sich jeder beteiligen, der über einen Spinnoder Webstuhl verfügte oder Kenntnisse im Färben besaß. Damit liegen auch schon die typischen Wesensmerkmale dieser Industrie offen zutage. Das Erzeugen von Garnen und Geweben hat in Vorarlberg eine jahrhundertealte Tradition, noch heute ist dies einer der vorherrschenden Erwerbszweige. Das Spinnen und das Weben hat sich auf ganz natürliche

Art in die kleinbäuerliche Wirtschaft ednge- fügt. Es gehörte zu den selbstverständlichen Berufstätigkeiten, weshalb sich in der Folge auch die Fabriksarbeit ohne Mühe eingebürgert bat. Die Streuung der Aufträge über das ganze Land ließ überall fachkundige und unternehmerisch befähigte Menschen heranwachsen.

Auf diese Weise vorgeformt trat unser Land vor mehr als 150 Jahren in die Periode der Industrialisierung ein. In einer zweiten Gründungsepoche, die die letzten Jahrzehnte des 19. und das erste Jahrzehnt des 20. Jahrhunderts umfaßte, entstanden Wirkereien, maschinelle Stickereien, Koppeleden, gleichzeitig kam auch die Wall- und Seidenverarbeitung zu Bedeutung. In einer weiterer Epoche, die auch die Zeit nach 1945 umfaßt entstanden vor allem die Bekleidungsindustrie und eine recht bedeutende Strumpf- arzeugung.

Auf kleinbäuerlichen Anfängen aufbauend hat sich also im Laufe der Jahrzehnte die Vorarlberger Textilindustrie zu ihrer heuti-

gen Bedeutung emporgearbeitet. Selbst bei den größten Textilftrmen handelt es sich durchwegs um Familiengesellschaften, die heute von den Enkeln und Urenkeln jener Männer geführt werden, die sie seinerzeit gegründet haben. Gerade die Bodenständigkeit der heimischen Industrie, die sich aber doch allen Anforderungen modernen Wirtschaftens immer gewachsen zeigte, macht es erklärlich, daß es im Verhältnis zu den Mitarbeitern nie zu unüberbrückbaren Spannungen gekommen ist. Die Fabrikanten haben hier immer ebensolange gearbeitet wie ihre Leute in den Betrieben. Alle miteinander waren entschlossen, sich aus der großen Armut in gemeinsamer Anstrengung herauszuarbeiten. Und heute geht es im Grund genommen um nichts anderes, nämlich mit den Schwierigkeiten und Problemen fertig zu werden, die eine täglich schärfer werdende Konkurrenz diesem Wirtschaftszweig bereitet beziehungsweise die sich aus dem Zusammenwachsen Europas zu einem gemeinsamen Markte ergeben.

Während die österreichische Industrie im vergangenen Jahr nur noch einen Produktionszuwachs von 0,4 Prozent erreichte, erhöhte sich der Bruttoproduktionswert der Vorarlberger Industrie immerhin noch um 1,7 Prozent auf 7681,6 Millionen Schilling. Und während gesamtösterreichisch die Produktion der Textilindustrie gegenüber 1966 in fast allen Zweigen rückläufig war, konnte die Vorarlberger Textilindustrie noch einen Produktionszuwachs um 1 Prozent auf 4916,8 Millionen Schilling erzielen. Innerhalb der Textilindustrie wurden Produktionsrückgänge bei den Baumwollspinnereien und Baumwollwebereien — teils bedingt durch den Ausfall einer Spinmweberei — und bei den Stickereien durch Anstiege bei der Wollindustrie und bei den Wirkwaren- und Strumpffabriken wettgemacht. Der Produktionsanteil der Textilindustrie belief sich im vergangenen Jahr auf 64,02 Prozent. Da dieser 1961 noch bei knapp 68,5 und 1954 sogar noch bei 74,5 Prozent lag, ist offensichtlich, daß eine Umstrukturierung unserer Industrie seit Jahren in vollem Gange ist.

Auch im Vorarlberger Industrieexport dominiert die Textilindustrie eindeutig. Von den industriellen Gesamtausfuhren des vergangenen Jahres in Höhe von 2366,1 Millionen Schilling entfiel ein Anteil von 75,2 Prozent auf die Textil- und Bekleidungsindustrie. Ihre Exportleistung liegt bei 1,8 Milliarden Schulung pro Jahr, das entspricht rund 40 Prozent der österreichischen Textilaustfuhren.

Den größten Anteil an dien Textil- und Bekleidungsexporten des Landes hat die Stik- kerei. Ihre modischen und hochwertigen Erzeugnisse, die in Vorarlberg seit genau 100 Jahren maschinell hergestellt werden, erreichen einen Jahresumsatz von über 650 Millionen Schilling, der fast zur Gänze im Export Absatz findet. In den Verkaufserfolgen unserer Baumwollindustrie, die in den letzten fünf Jahren ihren Gewebeexport auf 530 Millionen Schilling verdoppeln kannte, kommt vor allem die konsequente Abwendung vom Stapelartikel und der Aufbau der betont modisch orientierten Kollektionen zum Ausdruck. Die Strick- und Wirkwarenindustrie, die Erzeugung von Raschelwaren und Strümpfen stellt zwar einen relativ jungen, aber sehr dynamischen und expansiven Bereich dar. Seilt 1962 hat sie ihren Auslandsabsatz beinahe vervierfacht, ihre Exportlieferungen beliefen sich im vergangenen Jahr auf rund 307 Millionen Schilling. Ähnliches gilt für unsere Bekleidungsindustrie, deren straffe Konzentration auf spezielle Sortimente auf dem Gebiet der Sport- und Freizeitbekleidung, aber auch in hochmodischer Damenoberbekleidung einen schnell anwachsenden Exportumsatz ermöglicht.

Es würde den vorgegebenen Rahmen dieses Beitrages sprengen, wenn auch die Vielfalt der Probleme aufgezeigt werden sollte, mit denen — wie schon angedeutet — unsere Textilindustrie heute zu kämpfen hat. Es geht — um dies mit einem Wort zu sagen — um die Erhaltung der Wettbewerbsfähigkeit. Der Rationalisierung der Betriebe und der Intensivierung des Exportgeschäftes wird daher von der Vorarlberger Unternehmerschaft besonderes Augenmerk gewidmet. Es ist nur zu hof- fen, daß die Betriebe initiativ und ihre Erzeugnisse attraktiv genug bleiben, um sich im harten Konkurrenzkampf auf den Auslandsmärkten zu behaupten.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung