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THEATER IN ISRAEL - HEUTE

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“p\as moderne israelische Theater hat seinen Ursprung in *~r einem Fronttheater der Jüdischen Brigade, die eine selbständige Einheit in der englischen Armee darstellte; nach der Entlassung der Mitglieder dieses Fronttheaters aus dem Militär beschlossen einige, sich zusammenzutun und ein junges, unternehmungslustiges Theater zu gründen. Der Leiter und Regisseur dieser Gruppe wurde Josef Milo, der sich früher mit einem Puppentheater beschäftigt hatte. Dieses neue junge Unternehmen, Kammertheater genannt, konnte nach etwa zwei Jahren seines Bestehens, während des israelischen Befreiungskrieges, seine künstlerische Position begründen. Mit einigen aktuellen Kriegsstücken, mit denen sich die ganze Bevölkerung identifizierte, wurde das Kammertheater zum populärsten israelischen Theater.

Die drei großen israelischen Theater (Habima, Ohel und Kammertheater) wurden als Schauspielerkooperative gegründet, weil dies in der Zeit der' Gründungen die einzige Möglichkeit war, ohne Kapital und Zuschüsse ein Theater zu gründen. Doch das sozialistische Prinzip der völligen Gleichberechtigung zwischen Star und Statisten verfehlte langsam seinen Zweck. Die Schauspieler wurden älter und viele von ihnen verloren den Elan der Jugend; ein Teil dieser Schauspieler sind heute die bedeutendsten Schauspieler Israels. Um nur die wichtigsten zu nennen: Aron Meskin, Hanna Rovina von der Habima, Me'ir Margalith vom Ohel-Theater und Hanna Meron, Oma Porath, Josef Yadin und Salman Leviusch vom Kammertheater.

Mit der Steigerung des Lebensstandards begann sich das israelische Publikum mehr für Kunst und Untenhaltung zu interessieren. Von den zweieinhalb Millionen Einwohnern Israels sind ungefähr eine halbe Million Analphabeten verschiedener Grade, eine weitere halbe Million ist heute noch nicht fähig, schweren Theaterstücken ziu folgen, so daß das Potential der israelischen Theaterbesucher sich nur aus zirka eineinhalb Millionen Personen zusammensetzt. Die israelischen Theater verkaufen jährlich insgesamt etwa drei Millionen Plätze, so daß der Durchschnittsisraeli verhältnismäßig öfter das Theater besucht als der durchschnittliche Mitteleuropäer.

Es stellte sich heraus, daß die drei obengenannten Theater, auch wenn ihre Vorstellungen ausverkauft sind, nicht für das israelische Publikum ausreichen. Vor ungefähr drei Jahren gründete der frühere Leiter und Regisseur des Kammertheaters, Josef Milo, das Städtische Theater Haifa. Dieses Theater erhielt zirka 40 Prozent seines Budgets als städtische Subvention und war das erste Theater überhaupt, das seine Schauspieler nur für ein bis zwei Vorstellungen verpflichtete. Es gelang der Leitung trotzdem nicht, die besten Schauspieler für sich zu gewinnen, da gute Kräfte in Israel meistens Mitglieder der alten Theaterkooperative sind und es vorziehen, im Kulturzentrum des Landes — Tel Aviv — zu bleiben. Trotzdem konnte das Haifaer Theater einen der größten künstlerischen Erfolge in der israelischen Theatergeschichte für sich buchen. Josef Milo inszenierte mit fast unbekannten Schauspielern den „Kaukasischen Kreidekreis“ von Berthold Brecht, und die Vorstellung war so gut, daß das Theater zum Festival nach Venedig eingeladen wurde. Auch hier war dieser Aufführung großer Erfolg beschieden, obwohl die italienischen Zuschauer nicht des Hebräischen mächtig waren.

Die hiesigen Theater gehen mit ihren Vorstellungen auch auf Tournee durch das Land. Die Angehörigen der verschiedenen Kibbutzim, die im ganzen Land verstreut sind, stellen ein dankbares Theaterpublikum mit großen künstlerischen Kenntnissen dar. Doch sind diese Tourneen mit großen Spesen verbunden; kleinere Siedlungspunkte können es sich nicht leisten, große Theatervorstellungen zu finanzieren. Aus diesem Grund war hier ein Platz für kleine, mit niedrigen Spesen arbeitende Theater. Einige junge Schauspieler, die an den großen Bühnen keine ihnen gebührende Anerkennung erhielten, machten sich selbständig und gründeten eine Anzahl kleiner Theatergruppen mit hiesigem und ausländischem Repertoire (Saisontheater, Sutatheater, Savit-theater und die Zweierbühne). Diese kleinen Gruppen spielen hauptsächlich auf Tournee und kommen höchstens ein-bis zweimal nach Tel Aviv, um vor dem städtischen Publikum zu spielen.

Die einzige Theaterkunst, die in Israel fehlt, ist das Kabarett, das Revue- und satirische Theater. Bis zur Gründung des Staates gab es in Israel ein ausgezeichnetes satirisches Zeittheater unter dem Namen „Matate“ („Der Besen“). Das Repertoire dieser Truppe bestand aus Stücken, die von hiesigen Verfassern geschrieben wurden und sich in beißendem Humor gegen die englische Mandatsmacht richteten. Das Theater war bei dem Publikum sehr populär, da sich fast die gesamte jüdische Landesbevölkerung mit dem Inhalt der Stücke identifizierte. Diese Situation änderte sich nach der Staafcsgründung. Der Staat war noch zu jung, um gegen ihn zu wettern und dabei populär zu bleiben, die großen Neueinwandererwellen brachten ein anderes Theaterpublikum, das solch einer Art von Satire kein Verständnis entgegenbrachte, so daß der „Matate“ nach einigen weiteren Jahren kümmerlichen Daseins eines natürlichen Todes starb.

Das moderne israelische Theater spielt ungefähr das gleiche Repertoire wie alle großen Bühnen der Welt. Man bringt Brecht, Dürrenmatt, Max Frisch, Wilder, Tennessee Williams, Arthur Miller, Arnold Wesker, Osborne usw. sowie die Klassiker, die zu dem Repertoire jedes guten Theaters gehören.

Die israelische Dramaturgie begann ihren eigentlichen Aufstieg kurz nach dem Beginn des Befreiungskrieges. Ein Stück wie „Er ging durch das Feld“ von Mosche Schamir wurde während des Befreiungskrieges zu einem National-epos. Dieses Stück handelt von einem jungen Offizier einer Kommandoeinheit, der ein Mädchen seines Kibbutzes liebt, sich danach in eine Neueinwanderin verliebt und keinen Ausweg aus dieser Situation findet. Um seine Untergebenen nicht zu gefährden, führt er persönlich eine gefährliche Sprengung einer Feindesposition durch und kommt dabei ums Leben.

Ungefähr zur gleichen Zeit schrieb Igal Mossinsom „In den Steppen des Negev“, ein Stück, das von einem Kommandanten eines Negev-Kibbutzes handelt, der seinen eigenen Sohn auf eine besonders gefährliche Mission schickt, trotzdem er weiß, daß kaum Aussichten bestehen, heil zurückzukommen. Das dritte Stück, von Nathan Schacham „Sie kommen morgen an“, handelte von einer vom Feinde eingeschlossenen Gruppe Soldaten, die ihre letzten Stunden gemeinsam verbringen und dabei um ihr Leben kämpfen.

Nach diesen heroischen Anfängen, deren Wert hauptsächlich in der Aktualität lag und deswegen auch sehr populär wurde, trat eine große Leere ein. Themen des Befreiungskrieges waren nicht mehr populär, und es fanden sich keine Dramatiker, die fähig waren, gute aktuelle Stücke zu schreiben. Interessanterweise gaben auch die Vernichtung der Juden in Europa, das KZ-Lehen und seine Folgen sowie das Zurückfinden in die neue Heimat nach dem KZ jahrelang keinen Antrieb für ein bedeutendes Drama. Benzion Tomer, ein junger Israeli, der selbst einige Jahre im KZ verbracht hatte, schrieb vor ungefähr vier Jahren ein sich darauf beziehendes Drama. Es handelt von einem jungen Mann, dessen Familie durch die Denunziation eines Onkels ums Leben kam und der nun diesen Onkel in Israel wieder trifft. Der Denunziant kann seine Vergangenheit auch nicht bewältigen, währenddessen sein Neffe mit Gewalt versucht, mit seiner eigenen Vergangenheit fertig zu werden und in der Liebe zu einem israelischen Mädchen aufzugehen. Dieses Stück wurde interessanterweise gerade bei der Jugend, die die Nazizeit nur vom Hörensagen kannte, populär, während die ältere Generation, also ehemalige KZ-Insassen, nicht bereit waren, der schweren Vergangenheit noch einmal zu begegnen

Obzwar jedes Jahr eine Anzahl israelischer Dramen aufgeführt wird und einige Komödien, wie zum Beispiel „Sein Name geht vor ihm“ und „Die Heiratsurkunde“ — beides Komödien von Ephraim Kischon —, populär werden, handelt es sich um Stücke ohne großen künstlerischen Wert. Das einzige israelische Drama, das auch im Ausland mit Erfolg aufgeführt wurde und auch von Literaturkritikern als künstlerisch wertvoll angesehen wurde, ist „Grausamer als jeder König“ von Nissim Aloni. Es behandelt die Geschichte des biblischen Königs Rehabeam, der das geeinte Israel als sein staatsmännisches Ideal sah und bereit war, diesem Ideal die Auserwähltheit des Volkes zu opfern.

Das weitaus erfolgreichste Stück der diesjährigen und vergangenen Theatersaison ist das Musical „My Fair Lady“. Dieses Stück wurde von einem Privatproduzenten aufgeführt, der die amerikanische Originalaufführung mit Hilfe des amerikanischen Regisseurs auf der israelischen Bühne vollkommen kopierte. Bisher wurden dreihundert ausverkaufte Vorstellungen gegeben, und bisher ist noch kein Absetzen vom Spielplan vorauszusehen. Vom künstlerischen Standpunkt aus war der größte Erfolg dem Ohel-Theater beschieden. Der verstorbene Robert Postec (er ertrank beim Baden) inszenierte das moderne Stück „Victor“ von Vitrac. Eine brillante Inszenierung und das ausgezeichnete Spiel des Hauptdarstellers, Oded Tehomi, machten dieses Stück auch zu einem Kassenerfolg.

In Isarael hat im allgemeinen jedes gut inszenierte und gut gespielte Stück Aussichten, auch zu einem Kassenerfolg zu werden. Das Habima-Theater bringt bereits in der zweiten Saison „Photo Finish“ von Peter Ustinov, wobei sich der Hauptdarsteller Schraga Friedman besonders hervortat. Das Stück wurde bereits (unter Regie von Abraham Aseo) zweihundertmal gespielt. — Auch in dieser Saison hatte die Habima einen großen Kassenerfolg. Es handelt sich zwar um eine mittelmäßige Inszenierung des „Stellvertreters“ von Rolf Hochhuth, aber das Thema als solches und die Diskussion um dieses Stück erregten das Interesse des Publikums.

Das Kammertheater konnte diese Saison auch mit einem Kassenschlager beginnen. Der Komponist Sascha Argov, der Dichter Nathan Altermann und der Regisseur Schmuel Bunim bearbeiteten die Komödie von Sammy Gronemann „Der König Salomon und Salmai, der Schuster“ zu einem Musical mit bunten Tanzszenen. Die Theatertcarten zu diesem Stück sind für Monate im voraus ausverkauft. — Das Städtische Theater Haifa begann seine Saison mit „Frank V.“ von Friedrich Dürrenmatt. Die Regie führte der bekannte polnische Regisseur Professor Alexander Bardini. Man bemängelte hier das allgemein niedrige Niveau der Schauspieler, doch die gute Inszenierung machte dies teilweise wieder wett, und auch diesem Stück scheint Erfolg beschieden zu sein.

Obwohl Israel das Land der Bibel ist, hatten im allgemeinen biblische Stoffe kein großes Glück. Die Stadt des Tempels, Jerusalem, die in nächster Zeit ein eigenes städtisches Theater erhalten wird, versuchte einige Male mit Hilfe von staatlichen Subventionen, ein biblisches Theater zu errichten (ähnlich wie ein Shakespeare-Theater in England). Doch das israelische Publikum legte hierfür wenig Interesse an den Tag, so daß man nun nach langem Zögern dazu überging, auch in Jerusalem ein zeitgemäßes Theater zu gründen. ' Hl Ml- * . •“&#9632; &#9632; : *<-Jj t i**

Jüdische Dramatiker und jüdische Schauspieler sind an vielen großen Bühnen Europas und Amerikas führend; doch gerade im Staate Israel herrscht ein akuter Mangel an guten Schauspielern. Ein Regisseur preist sich glücklich, wenn er für alle Hauptrollen gute Schauspieler bekommt. In den meisten Fällen muß er sich mit ein bis zwei guten Darstellern begnügen, dagegen sind alle Nebenrollen von nur mittelmäßigen Kräften besetzt. Auch das israelische Drama leidet an akuter Blutarmut. Es wird viel geschrieben, wobei aber bis heute der große israelische Dramendichter trotz großer Literaturpreise noch nicht entdeckt worden ist. Heute wird das Theater in Israel dank der regen Nachfrage oft sogar zu einer finanziellen Attraktion für Unternehmer. Eine Anzahl Geldgeber und Unternehmer planen private Theater zu gründen und suchen ihren Nachwuchs hauptsächlich bei den entlassenen Mitgliedern der Fronttheater und den Schülern der Dramaschule von Ramet Gan. Es ist anzunehmen, daß beim Anhalten der heutigen Situation, in der das Interesse des Publikums für Theater in dauerndem Wachsen begriffen ist, das Niveau der Schauspieler und der israelischen Dramatiker steigen wird.

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