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Tschechoslowakische Moderne

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Die tschechoslowakische Architektur des 20. Jahrhunderts wuchs wie die österreichische und insbesondere die Wiener Architektur aus gemeinsamen Wurzeln. Das politische und ökonomische Band der Völker des mitteleuropäischen Beckens war bis zum Ende des ersten Weltkrieges die natürliche Ursache dieser Entwicklung. Daher erschien um das Jahr 1840 in Prag der Name Peter de Nobile beim Ausbau des neugotischen Altstädter Rathauses, oder zu Beginn der Secession der Name des naturalisierten Wieners Friedrich Ohmann. Brünn baute an seinem Stadtring zur selben Zeit, als in Wien die Ringstraße zu wachsen begann. Beim Brünner Ring bauten van der Null, von Siccardsburg, Theophil Hansen und auch noch andere Künstler.

Der Einfluß Otto Wagners

Die erste Phase der modernen tschechoslowakischen Architektur repräsentierten durchwegs Schüler Otto Wagners. Wien wurde damals zu einem der Zentren der modernen Weltarchitektur. Ein Schüler Wagners war auch Jan Kotera, der Begründer und führende Künstler dieser Entwicklungsphase. Ferner waren es tschechische Architekten aus der Wiener Schule, wie Antonin Engel, Bohumil Hübschmann, Pavel Janäk, Vlastislav Hofman und andere. Auch der slowakische Architekt Dusan Jurkovic studierte an der Kunstgewerbeschule in Wien. Später dann kam Josef Plecnik nach Prag, der zunächst Professor an der dortigen Kunstgewerbeschule und nach 1920 erster Architekt der Prager Burg wurde. Die Entwicklung der modernen Architektur gestaltete sich bei uns so jäh, daß sie schon im Jahre 1910, als sich unter den heimischen Architekten vor allem auch Josef Gocär und Otakar Novotny hervortaten, ein europäisches Niveau erreichte. In diesem Zeitraum realisierten Jan Kotera das Lemberger-Palais in Wien und umgekehrt Leopold Bauer und Hubert Gessner ihre Bauwerke in Brünn.

Einzelfall einer kubistischen Architektur

Die tschechische Moderne versuchte im Jahre 1910 den Utilitaris-mus der Wagnerschen Schule durch die Gründung einer tschechischen kubistischen Architektur weiterzu-

entwickeln, die offensichtlich an die Entstehung der kubistischen Malerei in Paris anknüpfte. Es war ein beachtenswerter, in Europa einmaliger Kunstausdruck, der im Jahre 1920 mit dem Versuch zur Herausbildung einer nationalen Architektur endete.

Gegenüber dem um das Jahr 1920 entstehenden europäischen Purismus haben bereits im Jahre 1914 Josef Chochol und in seinen Erstplänen Jift Kroha im Jahre 1917 seine Merkmale formuliert. Vor der vollen Geltendmachung der puristischen Prinzipien, wie sie später in der funktionalistischen Architektur entwickelt wurden, hatte die tschechoslowakische Architektur noch eine kurze Etappe des Strukturalismus der holländischen Architektur durchzumachen. Starken Anklang fand bei uns — dank den persönlichen Beziehungen und Kontakten — vor allem das Schaffen der De Stijl-Gruppe. Die Entwicklung schritt freilich weiter voran.

Im Jahre 1928, als in Brünn die Jubiläumsausstellung der zeitgenös-

sischen Kultur veranstaltet wurde, war auf der Ausstellung geradezu ein Defile der modernen Architektur zu sehen, realisiert in einem großen Ensemble. Eine Reihe von Namen, mit denen wir auf dieser Ausstellung vertraut gemacht werden, bleibt auf die Dauer mit dieser Entwicklungsphase verbunden. Ich erlaube mir darauf hinzuweisen, daß die Brünner Architektengruppe im ersten Dezennium der modernen Architektur eine entscheidende Rolle gespielt hat. Dies ist auf den bedeutsamen Ausbau der Stadt nach dem ersten Weltkriege, auf die Bereitschaft der jungen und elastischen Stadtverwaltung und schließlich auf die Entstehung eines neuen Kulturzentrums zurückzuführen. Ein häufiger, gern gesehener Gast war hier der bekannte Wiener Architekt und Brünner Landsmann Adolf Loos, der mit der Möbelindustrie zusammenarbeitete. Im Jahre 1930 hat hier in Brünn Mies van der Rohe die Villa Tugendhat erbaut, die als bedeutende Entwicklungsstufe der Weltarchitektur gilt.

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