6745095-1967_05_05.jpg
Digital In Arbeit

U-Bahn-Diskussion

Werbung
Werbung
Werbung

Daß Wien überhaupt eine U-Bahn braucht und daß sie durch die Innenstadt führen muß, darüber waren sich die Redner der bisherigen Diskussionsrunden im Wiener Rathaus einig. (In vier Gesprächen stellte sich Stadtbauamt, Verkehrs- und Stadtplanung dem Ingenieur- und Architektenverein, der Ingenieur-und Architektenkammer, Fachleuten der Raumplanung, der Handelskammer, der Industriellenvereinigung, der Polizei und anderen Institutionen.) Die vorgeschlagene Gestaltung des Netzes wurde aber in mehreren Punkten bezweifelt und kritisiert, von denen „Die Furche“ (Nr. 43/1966) bereits einige angeschnitten hat.

Mariahilf erstraße

Der Hauptangriffspunkt ist die geplante „Linie 3“ nach Westen, die durch die Burggasse und in Richtung Hütteldorf führen soll. Nach Meinung der Kritiker läge sie wesentlich vorteilhafter unter der Mariahilfer-straße. Es liegt auf der Hand, daß das Geschäftsgebiet der Mariahilfer-straße durch den Entzug der U-Bahn (denn als solchen muß man die Unterlassung des Baues betrachten) eine starke Einbuße erleiden würde. Der Grund für die Burggassen-Planung liegt, wie aus den dafür vorgebrachten Argumenten immer wieder hervorging, in einer unkritischen Übertragung einer bestehenden Straßenbahnlinie in die zweite Ebene: Die starke Frequenz der Linie 49 verleitet dazu, in der Bellaria ein „Einfallstor“ zur Innenstadt zu sehen. In Wahrheit würde der Berufsverkehr aus dem 14. Bezirk auch jeden anderen Weg zur Innenstadt annehmen. (Ein ähnlicher Kurzschluß führte ja letzten Endes zur Tieferlegung der Linie 2, die als bloße Umsteige- und Umfahrungslinie kein Zielgebiet des Berufsverkehrs erschließt.)

Wie viele Entwicklungsgebiete?

Es wäre also leicht möglich, diese von Westen kommende Linie 3 aus der Märzstraße — statt nach Norden zur Burggasse — nach Süden zum Westbahnhof und zur Mariahilferstraße abschwenken zu lassen. (Eine von der Verkehrsplanung ventilierte ÖBB-Verbindungsstraße zwischen West- und Ostbahnhof durch die Mariahilferstraße würde nicht durch die Innenstadt führen und ist deshalb nicht mit dem Münchner Vorbild zu vergleichen.) Aber die Linie 3 enthüllt auch Schwächen der Verflechtung der von außen kommenden Radien in der Innenstadt. Im nordwestlichen Ast sollen Linien aus Hütteldorf, aus Gersthof (in einer Variante sogar eine dritte aus Otta-kring) zusammengeführt werden und in eine einzige Linie nach Südosten, nämlich nach St. Marx, münden. Dieses fehlende Gleichgewicht in der Belastung der beiden Äste der Linie 3 (das betrieblich dringend erforderlich ist), legt natürlich nahe, die Linie von St. Marx aus über die Donau nach Stadlau zu verlängern.

Es sollen also die Entwicklungsgebiete links der Donau zunächst nicht in der Achse der Reichsbrücke, sondern exzentrisch über St. Marx und den Praterstern angeschlossen werden. Es gibt dafür zwar auch das Argument, daß der Straßenbahnbetrieb auf der Reichsbrücke noch verstärkbar ist. Aber eben dieses Argument ist bezeichnend für die Schwäche der Stadtplanung, die es zuläßt, daß sich die Wiener Stadterweiterung verzettelt und schließlich gezwungen ist, die Flecken der Neubautätigkeit mit Straßenbahnprovisorien zu versorgen. Solche Straßenbahnprovisorien sind nicht nur nach Kagran, sondern auch in dem geplanten neuen Stadtteil bei Inzers-dorf vorgesehen.

Gerade die U-Bahn wäre der Anlaß für die Stadtplanung, einen Entschluß für die Hauptstoßrichtung der Stadterweiterung zu fassen und ein konzentriertes Neubaugebiet durch eine direkt ins Zentrum führende U-Bahn-Linie zu erschließen. Nur dann kann ernstlich erwartet werden, daß die Bewohner neuer Stadtteile auf die Benützung des Autos verzichten.

Betreffen schon diese Punkte das Grundnetz sehr wesentlich, so ist auch die Form der Verflechtung im ersten Bezirk selbst anzufechten. Die Zusammenführung aller zentralen Linien in einem einzigen Kreuzungspunkt wurde angezweifelt — aber natürlich nicht, weil man der Station Stephansplatz den Umsteigeverkehr nicht zutraut, sondern weil die einzige Station der Innenstadt, in der mehrere Linien erreicht werden können, ein deutliches Übergewicht über alle anderen erhalten würde. Diese Lösung würde den Stephansplatz für den Fußgeherverkehr gegenüber anderen Gebieten der Innenstadt stark aufwerten und deshalb die Struktur des Geschäftszentrums verschlechtern. Dagegen wurde eine Dreiecksverflechtung (etwa Stephansplatz, Albertina, Freyung) oder eine H-förmige Aufschließung vorgeschlagen.

„Unten“ gilt nicht?

Der bereits wiederholt erhobenen Forderung, der Bau der U-Bahn müsse auch eine baukünstlerische Tat des neuen Wien sein, um den Vergleich mit Otto Wagners Stadtbahn nicht scheuen zu müssen, wurde mit der absurden Behauptung begegnet, man hätte ohnehin immer namhafte Architekten herangezogen. In Wahrheit ist nicht einmal der Architekt der mit großem Propagandaaufwand bedachten 2er-Linie in der Öffentlichkeit bekannt. (Sein Name würde auch kaum interessieren.) Stadtbaudirektor Koller meinte, es handle sich doch ohnehin nur um bescheidene Überdachungen, und verkannte so völlig die Problemstellung. Aber selbst wenn man nur die oberirdisch erscheinenden Anlagen betrachtet, so ist mit einer fortgesetzten Überwucherung unserer Plätze und Straßenbilder mit den gestaltlosen Kisten, als die sich die „bescheidenen Überdachungen“ darstellen, endlich Schluß zu machen. Dies ist ein echtes architektonisches Problem, und ein Wettbewerb, der die Gestaltung der ganzen Anlage zum Gegenstand hat, ist der einzig richtige Weg, es zu lösen.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung