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Unfug am Karlsplatz

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Seit Jahrzehnten ist der Karlsplatz das ärgste Sorgenkind der Wiener Städtebauer. Seit Jahrzehnten bildet seine Regulierung ein schon kanonisches Thema für Uebungsarbeiten der Architekturschüler, die hier in der Aufzeigung und imaginären Ausschaltung städtebaulicher und verkehrstechnischer Mängel ihre Phantasie frei spielen lassen dürfen.

Die Karlskirche ist von ihren Erbauern wohlüberlegt auf ihren Platz gestellt worden: Außerhalb der Mauern Wiens, aber vor eines der großen Ausfallstore der Stadt, an die Ufer des Wienflusses, leicht übers Gelände erhoben; in der, der Stadtseite zugewandten, Front der Vorstadt stehend, mit Belvedere, Schwarzenberg-Palais und den Kuppeln anderer Kirchen ein Ensemble von Architekturen weltlicher und geistlicher Macht bildend. Die großartige und bizarre Komposition ihrer Baumassen machte die Kirche weithin sichtbar: so weit, daß der Kaiser seinen

Votivbau von den Fenstern der Burg aus sehen konnte.

Nun, dem heutigen Urbanisten kommen Tränen, wenn er bedenkt, was die Gründerzeit in den Jahren nach der Schleifung der Basteien an Sünden wider das organisch gewachsene Stadtbild begangen, welcher Versäumnisse, Fehlplanungen und Mißgriffe sie sich schuldig gemacht hat. Welch ein unsinniger Gedanke, die — gewiß immer noch von imperialem Geist erfüllte — Ringstraße derart eng der Inneren Stadt anzupassen, daß sie Zentrum und Außenbezirke kaum weniger schmerzhaft voneinander trennt als es die alten Fortifikationen getan hatten! Was für ein Ungeschick, das die breiten lichten Flächen der Glacis nicht in einen Riesenpark verwandelte, sondern auf weiten Strecken mit schematisch aneinandergereihten Hausblöcken besetzte ... Nicht die geringste Folge dieser Willkür war die Zerstörung der natürlichen und künstlerisch geordneten Zusammenhänge um die Karlskirche. Technische Hochschule und Evangelische Schule wahrten immerhin noch in Ausdehnung, Höhe und Anlage den Respekt vor den gegebenen Baulinien. Aber gegen Osten schoben sich quer zur Wien breite Makart-Fassaden in das freie Gelände; riesige Steinungetüme drängten sich im Norden zwischen Kirche und Innere Stadt, während sich im Westen ein planloses Nebeneinander von Häusern auftürmte; die Wienflußregulierung und -ein-wölbung ebnete den nun so entstandenen Platz ein; eine Stadtbahnstation wurde in seine Mitte eingesprengt, Straßenbahnen begannen sich kreuz und quer darüber zu winden, Parkanlagen füllten den verbleibenden Platz nach Belieben aus; und das 20. Jahrhundert vollendete das Chaos, indem es die Südwestecke des „Platzes“ mit Kiosken und Zweckbauten „irgendwie“ abschloß und mit dem Haus des Verkehrsbüros (im übrigen eine bemerkenswerte technische Leistung) die Einmündung der Wientalstraßen gründlich verstopfte.

Was solcherart entstanden war, ist nicht eigentlich ein Platz, sondern ein regelloses Durcheinander von Verkehrslinien, Grünflächen und Leerstellen, in dem die große Kirche nicht einmal Mittelpunkt ist, sondern ein zur Seite gerücktes, schlecht sichtbares und von allen Hauptverkehrsadern abgeschnittenes Denkmal ihrer selbst.

Die Pläne, Projekte und Vorschläge zur Sanierung dieses Zustandcs reichen bis in die ersten Jahrzehnte dieses Jahrhunderts zurück; in der Zeit zwischen den Kriegen war es Thema vieler Diskussionen, in den ersten Jahren nach dem zweiten Weltkrieg auch Gegenstand eines Wettbewerbes. Die meisten Projekte beschränkten sich auf die ohnehin über kurz oder lang notwendige Regulierung der Verkehrsstränge, die Ordnung der Parkanlagen — dergestalt, daß die Kirche wenigstens optisch wieder Zentrum der Umgebung würde — und schlugen vor, irgendwie die leeren Gründe vor dem Freihaus und dem Porr-Haus zu verbauen oder eine — freilich

ebenfalls erst zu schaffende — Wientalstraße mit starker Akzentuierung in den Platz und vor die Stufen der Kirche zu führen. Keiner dieser Vorschläge wurde realisiert: mag sein, daß die zuständigen Stellen angesichts der notwendigerweise umfangreichen Arbeiten resignierten, möglich auch, daß die Projekte an der Frage des Kostenaufwandes scheiterten.

Der Karlsplatz blieb weiterhin das Stiefkind der Stadtplaner. Immerhin blieb aber auch das Bedürfnis nach einer Sanierung, ja es wird sogar infolge des von Jahr zu Jahr zunehmenden Verkehrs immer dringender. Und zweifellos hat sich aus den vielen Plänen wenigstens in groben Umrissen ergeben, worauf es bei der Neugestaltung des Platzes eigentlich grundsätzlich ankommt.

Nun aber geschah das Ueberraschende: Vor wenigen Wochen gab der Wiener Gemeinderat bekannt, daß die Wiener städtischen Sammlungen ein (längst und un-abweislich notwendiges) neues Haus erhalten sollten. Und wenige Tage später zierte die grüne Rasenfläche, die vom östlichen Teil der Kirchenfassade nur durch Straßenbreite getrennt ist, eine Tafel, die verkündet, daß das Museum bald an eben dieser Stelle errichtet würde. (Die Kritik weist nach, daß auf diesem Baugrund schon einmal ein Kommunalbau hätte stehen sollen — eben zu oder kurz nach jener unglückseligen Gründerzeit —, daß aber bereits damals die Proteste Einsichtiger und, außerdem, die ungünstige Bodenbeschaffenheit das Vorhaben verhindert hätten.)

Man muß sich die tolle Inkonsequenz dieses Vorganges vor Augen halten: Da wird in jahrzehntelanger, mühsamer und sehr kostspieliger Arbeit die Regulierung und Sanierung einer umfangreichen städtebaulichen Fehlleistung geplant, durchdacht und wenigstens in den Grundzügen auch festgelegt. Und

dann wird, plötzlich, zufällig, improvisatorisch, der Plan gefaßt, in das noch unregulierte Gebiet einen Großbau hineinzustellen, der alle diese jahrzehntelangen Vorbereitungen mit einem einzigen Schlag sinnlos und vergeblich machte.

Denn stünde das Museum einmal auf dem vorgesehenen Platz: Die Umgebung der Karlskirche hätte sich abermals gänzlich verändert und die Probleme ihrer Regulierung wären — bis ins Detail — neue und erst recht verwirrende. Abermals würde ihr Schwerpunkt verlagert und die Kirche vollends in eine tote Ecke gedrängt; die Dreiviertelansicht vom Schwarzenbergplatz aus verschwände zur Gänze; das Größenverhältnis zwischen Kirche und benachbarten Häusern, heute schon verzerrt, würde unerträglich — auch dann, wenn das neue Museum maßvoll dimensioniert wäre. Gebäude wie etwa die Technische Hochschule, die dazu gar nicht geeignet sind, erhielten unvermittelt die Bedeutung von Blickzentren; die Regulierung der Verkehrslinien würde noch schwieriger oder auch hoffnungslos werden. Wie immer man aber dieses Bauvorhaben betrachtet: Es erweist sich als ein — man verzeihe das harte Wort — grober Unfug, als ein schweres Vergehen wider jede mögliche Neugestaltung eines der wichtigsten Wiener Plätze.

Die Frage drängt' sich auf: Warum kann man das Museum — das nun einmal gebaut werden muß — nicht auf den Gründen der Freihausruine oder auf der Schuttstätte vor dem Porr-Haus errichten? Dort beeinträchtigt es weder den Platz noch die Karlskirche, dort ist Raum genug vorhanden; dort könnte zugleich die von den meisten Projekten vorgeschlagene Schließung der Westseite des Platzes erreicht werden, ohne daß zugleich die zukünftige völlige Konsolidierung durch ein fait accompli beeinträchtigt oder gar unmöglich gemacht würde. Dort sind auch die Verkehrsverhältnisse gut; und weniger repräsentabel ist dieser Bauplatz gewiß auch nicht.

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