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Unser Hohes Haus

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In der Reihe der nach Fallen der alten Umwallungen des Stadtkerns errichteten Monumentalbauten kommt dem Parlamentsgebäude eine ganz besondere Bedeutung zu. Nach einem Entwurf von Theophil von Hansen, einer der stärksten Persönlichkeiten unter den Baumeistern der Ringstraße, wurde dieser Prachtbau in gräzisierender Art („griechischer Renaissance’) mit einem besonderen Formenreichtum errichtet. An einem überaus günstigen Punkt, der von Hansen selbst ausgesucht und durchgesetzt wurde, gelegen, zeigt sich von beiden Seiten der Ringstraße dem Besucher ein un- gemein reizvolles Bild der großen Gebäudeanlage. Hansen löste die schwierige Aufgabe, Herrenhaus und Abgeordnetenhaus in einem gemeinsamen Gebäudekomplex unterzubringen, auf eine geniale Weise, indem er in die Mitte zwischen die beiden Baukörper eine große Säulenhalle stellte. Um den architektonisch reichgegliederten oberen Gebäudeteil entsprechend hervorzuheben und dem Gebäude einen eingeschossigen Charakter zu geben, wie dies bei den antiken Bauten üblich war, hat er dem ungegliederten Untergeschoß das formenreiche Obergeschoß, das einer Akropolis ähnelt, aufgesetzt, zu welcher breite halbkreisförmige Rampen, die ein Bassin mit dem Athenebrunnen umschließen, hmaufführen und den Besucher durch einen auf Säulen ruhenden Portikus in das Vestibül der zentral gelegenen großen Säulenhalle leiten.

Durch den zweiten Weltkrieg hat auch das Parlamentsgebäude bedeutende Schäden erlitten. Der ringseitig gelegene Kanzlei- und- Archivtrakt sowie der Restaurationstrakt waren gänzlich ausgebrannt. Die große Säulenhalle wurde durch einen Bombenvolltreffer schwer beschädigt. Der Eckbau des Gebäudes am Zusammenschluß der Reichsratstraße und der Stadiongasse wurde vollständig zerstört. Der Herrenhaussaal wurde durch einen Bombenvolltreffer mit einem nachfolgenden Brand in ein wüstes Chaos verwandelt. Die durch die Kampfhandlungen verursachten Schäden erreichten ein Gesamtausmaß von mehr als 33 Prozent des Gebäudekomplexes.

Aber bereits im Mai 1945 wurde mit den Aufräumung - und Sicherungsarbeiten begonnen, um dieses Monumentalgebäude vor weiteren schweren Bauschäden zu bewahren. Unter den denkbar schwierigsten Umständen mußte das große Werk in Angriff genommen werden. Schon die Entfernung des Ruinen- und Bauschutts erschien bei den damaligen außerordentlichen Transportschwierigkeiten als ein schwer lösbares Problem und erforderte von den staatlichen Baudienststellen ein besonderes Maß an Entschlußfreudigkeit und Tüchtigkeit, um die erforderlichen Arbeitskräfte und vor allem die notwendigen Treibstoffe zu beschaffen. Auch die Kontingentierung der benötigten Baustoffe erreichte nicht das Ausmaß, das für einen zügigen Baufortschritt notwendig war, so daß wiederholt Terminverschiebungen für die einzelnen Bauabschnitte vorgenommen werden mußten. Besonders ungünstig machte sich der Mangel an Kupferblech fühlbar, das für die Eindeckung zur Sicherung des Innenausbaues unbedingt erforderlich war. Da die beschädigten Bauteile wieder in den ursprünglichen Zustand versetzt werden sollten, waren besonders umfangreiche Steinmetz-, Bildhauer- und Stükkolustroarbeiten erforderlich. Die reichgegliederten Steinprofilierungen und die Polychromierung verlangten nicht nur kunstgewerbliche Detaillierung in Entwurf und Ausführung, sondern vor allem fachliche Erfahrung, gewerbliche Tüchtigkeit und besondere Gewissenhaftigkeit für die Ausführung dieser schwierigen Arbeiten.

Die eigentlichen großen Wiederaufbauarbeiten wurden in vier Bauabschnitte gegliedert:

1. Wiederaufbau des Kanzlei- und Archivtraktes sowie des Restaurationstraktes;

2. Wiederherstellung der durch Bombentreffer schwerst beschädigten großen Säulenhalle;

3. Wiederaufbau des Eckbaues Reichsratstraße-Stadiongasse.

4. Wiederherstellung des Herrenhaussaales.

Die Wiederaufbauarbeiten der Bauabschnitte

T bis 3 beschränkten sich auf die Wiederherstellung des alten Zustandes, während der Bauabschnitt 4 nach dem heutigen Formempfinden vollständig neu gestaltet wurde. Hier hätte der ganze klassische Prunk mit seinen vielen Säulenordnungen, den zahlreichen Giebeln und Figuren in Marmor und Holz sowie der reichen Vergoldung einen Kostenbetrag erfordert, der mit dem Erfolg nicht mehr in Einklang zu bringen war. Dank der Tüchtigkeit und des Fleißes der mit den Wiederaufbauarbeiten beauftragten staatlichen Baudienststellen war es möglich, den Abschnitt 1 bis Ende des Jahres 1951 und die Abschnitte 2 und 3 bis März 1953 fertigzustellen, wobei der Transport und die Aufstellung in der großen Säulenhalle von zwei Säulen aus Salzburger Marmor, die als Monolithe in einer Länge von 9 m hergestellt werden mußten, besondere Schwierigkeiten verursachten.

Der Herrenhaussaal des Abschnittes 4 wurde nach den Plänen von Professor Max Feilerer und Architekt Eugen W ö r 1 e vollständig neu, in zeitgemäßer Ausführung und allen modernen Anforderungen entsprechend, errichtet. Grundsätzlich blieb das Halbrund von früher erhalten, jedoch wurden die Couloirs durch Unterfangungen und durch den Abbruch verschiedener Mauerteile wesentlich erweitert und damit auch besser belichtet. An den Couloirs liegen die notwendigen Nebenräume, wie kleine Konferenzzimmer, Telephonzellen, Garderoben und so weiter. Das Forum, amphitheatralisch aufgebaut, weist 192 Sitze auf, die in sechs Sektoren gegliedert sind. Durch die Neuanlage von zwei Galerien besteht nunmehr die Möglichkeit, 240 Zuhörer (180 Sitze und 60 Stehplätze) unterzubringen, die den Gang der Verhandlungen verfolgen können. Der Sitz des Bundespräsidenten ist in der Mittelachse des Saales auf dem ersten Balkon vorgesehen. Daneben befinden sich die Logen für die Diplomaten und die Ehrengäste sowie 46 Sitze für die Mitglieder der Presse. Für Rundfunk und Fernsehen wurden verglaste Kabinen eingebaut. An der Stirnseite des Saales befindet sich der Sitz des Präsidenten des Nationalrates. Seitlich wurden Sitze für die Parlamentsdirektoren und die Beamten verschiedener Zentralstellen angeordnet. Vor dieser Sitzgrruppe steht die Regierungsbank, so daß die Mitglieder der Regierung nunmehr die Möglichkeit haben, direkt von ihren Sitzen zu sprechen. Das Rednerpult, von dem aus der Redner spricht, befindet sich nicht mehr hinter der Regierungshank. sondern in der Mitte des Rondos. Für den Berichterstatter wurde ein eigenes Rednerpult vorgesehen, während dieser bisher vom allgemeinen Rednerpult aus sprechen mußte.

Aus akustischen Gründen wurde für den Fußboden der Abgeordnetensitze eine steilere Schräge gewählt. Die Wände wurden mit einer Holzvertäfelung aus vertikalen Stäben - verkleidet, wobei durch Isolierung der Verkleidungsunterkonstruktion mit Glaswolle und dem dazwischenliegenden Luftpolster die Nachhallzeit auf das gewünschte Maß gebracht werden konnte. Andere Stellen wiederum, die schallreflektierend sein müssen, wurden mit Marmorflächen aus weißem Carraiamarmor und österreichischem Alpengrün versehen. Die Fußböden sind der Schalldämmung wegen mit grünem Velour verschiedener Dichte bespannt. Vor dem allgemeinen Rednerpult befindet sich im Saalboden ein marmorner Schallspiegel, während die oberste Decke aus akustischen Gründen gerillt wurde. Die Zierlichte wurde bedeutend vergrößert und mit wärmeisolierendem Glas versehen, so daß eine wesentlich bessere Belichtung als früher erzielt werden konnte. An der Stirnwand des Saales befindet sich über der Türe des Präsidenten des Nationalrates das aus Stahl getriebene österreichische Bundeswappen nach einem Entwurf von Rudolf Hoflehner und von ihm selbst geschmiedet. Oberhalb des Wappens befindet sich noch ein hochgelegenes Fenc’-er, von welchem aus Lichtbildaufnahmen mit dem Blick auf die Sitzreihen der Abgeordneten gemacht werden können. Im ganzen Gebäudeteil des ehemaligen Herrenhauses wurden moderne Heiz- und Klimaanlagen eingerichtet. Mikrophon- und Lautsprecheranlagen sowie zum Teil künstliche Ausleuchtungen an verschiedenen Stellen sind reichlich vorhanden. Aus den im Sitzungssaal vorwiegenden Farben Weiß, Braun und Grün ergibt sich mit dem durch die Aluminiumglastüren durchscheinenden Gelb der Couloirdecken ein harmonischer Farbeneindruck.

Bis zur Fertigstellung des neuen Saales mußten die Sitzungen des Nationalrates im ehemaligen Abgeordnetenhaus abgehalten werden, der mit seinen 516 Sitzen für diesen Zweck viel zu groß war und der außerdem unter einer sehr schlechten Akustik zu leiden hatte. In Zukunft wird dieser große Saal nur noch für gemeinsame Sitzungen von Nationalrat und Bundesrat sowie für Kongresse und sonstige große Veranstaltungen Verwendung finden.

Die Kosten für die gesamten Wiederaufbau- arbeiten im Parlamentsgebäude betrugen rund 73 Millionen Schilling. Besonders zu bemerken wäre, daß sämtliche Bauarbeiten von der Oeffentlichkeit unter reger Anteilnahme verfolgt wurden und die Wiederherstellung dieses repräsentativen Monumentalbaues allseits begrüßt wurde. Am 13. Mai 1956 konnte nach Fertigstellung der Wiederaufbauarbeiten die Konstituierung des neugewählten Nationalrates bereits im neuen Sitzungssaal abgehalten werden. Der Nationalrat ist somit wieder an Jene Stätte aurückgekehrt, die er-schon in dervErsten Republik-iflhegehabb- hatte.

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