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Unser Tor zur Welt

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WER WEISS DAVON? Einige alte Hasen aus der Pionierzeit der Luftfahrt, die selbst dabei waren. Wenn sie wollen, erzählen sie dir vielleicht: Oesterreich war das erste Land, das einen regelmäßigen Postverkehr durch die Luft einrichtete. Das ist jetzt ein Menschenalter her. Vierzehn Tage später erst waren die Amerikaner soweit, in ihrem Kontinent Post zu fliegen. Und wohin führte die erste Luftpoststrecke? Es klingt sonderbar, ausgefallen, wenn man vernimmt, daß es ausgerechnet Kiew war, das mit Wien verbunden wurde. Wie nahe mag uns die Ukraine damals gewesen sein, vor der Haustür Wiens lag sie. Und wie weit ist sie heute fortgerückt! In solchen Daten leuchtet die historische Funktion Oesterreichs auf. Donauland, Klammer von West nach Ost.

HERRISCH DONNERN DIE MOTOREN des Clippers der PAA auf, und sie dulden kein anderes Geräusch neben sich. Das Getümmel der roten Betriebswagen auf der Abfertigungsfläche des Schwechater Flugplatzes ist abgeflaut. Die Elektrokarren mit den Postsäcken, die anderen, die das Gepäck herangebracht haben, damit es an Bord des Clippers genommen werde, die Motorkarren, die die Stiegen für die Passagiere und jene für das Flugpersonal gravitätisch umherschubsen, haben sich voll Respekt zurückgezogen. Soeben legt der zweite Shell-Elefant, der Tankwagen, der die letzten Liter von 28 Tonnen Treibstoff in die durstigen Tanks in den Tragflächen pumpte, ab.

Ein leitender Mann von der Abfertigung und eine Grand Hostess, die vier Sprachen spricht und in ihrer knappen Uniform unnachahmlich schick ist, verabschieden sich vom Clipper. Der Flugkapitän, mit dem Patent für große Fahrt und vier breiten goldenen Aermelstreifen, legt in der Bugkanzel chevaleresk die Hand an den Mützenrand. Die Motoren heulen jetzt um eine halbe Oktave höher in Dur. Der Riesenvogel, silbergrau, wie vor Kampflust bebend, setzt sich mit königliche Majestät in Bewegung. Keiner von dem Fliegervolk gibt zu: es ist ein feierlicher Augenblick. Auf den Zuschauerplätzen flattern Tücher, winken Hüte, und die Clipperpassagiere grüßen zurück.

In sechzehneinhalb Stunden landet die Maschine in New York. Risiko? Nicht der Rede wert. Wer fliegt, reist sicher wie in Abrahams Schoß. Die Luft hat keine Balken. Gefährlich wird es erst für den, der das Flugzeug verläßt und mit der Bahn oder gar im Auto weiterfährt. Er ahnt vielleicht nicht, daß viele zehntausende Menschen Tag und Nacht in aller Welt damit beschäftigt sind, die Luftstraßen in Ordnung zu halten.

Luftstraßen? Gewiß, doch ohne Asphalt, Beton, ohne Straßenkehrer und Meilensteine. Nicht zehn oder zwölf Meter, sondern achtzehn Kilometer breit, ädern die unsichtbaren Boulevards den Luftraum über den dicht beflogenen Kontinenten. Von Flugplatz zu Flugplatz, von Los Angeles über Paris bis Wien und Istanbul zum Beispiel oder von Shannon/Eire bis Tunis.

Die Straßenmeister, Schrankenwärter, Inspektoren und Generaldirektoren der Eisen- und Autobahnen finden sich wieder im schlichten Personal der Flugsicherung. Kommt etwa eine Maschine der italienischen LAI aus Teheran über Rom zu uns, so wird sie an der Grenze von der österreichischen Flugsicherung in Empfang genommen und sicher wie auf Samtpolstern über die Alpen nach Schwechat geschubst. Wird sozusagen mittels Funk an der Nase gepackt und ruhig auf der Rollbahn abgesetzt.

Die Flugsicherung ist „allwissend”. Dazu dienen ihr 2000 Telegramme, die sie auf 22 Fernschreibern täglich in Schwechat empfängt, den funktelegraphischen Dienst nicht gerechnet. Sie weiß, de facto oder rechnerisch, wo jedes Flugzeug sich in jedem Augenblick im Luftstraßenraum befindet. Sie weiß, welches Wetter in den Tauern und in Nordafrika herrscht, doch sie gibt auch Auskunft über die Ladebcstimmungen in Barcelona oder über den Zubringerdienst in Boston. Sie ist in der Welt zu Hause, ihre Nerven umklammern den Globus.

WAS IN SCHWECHAT GELEISTET WIRD, ist atemberaubend. Vor vier Jahren gab es nur einen Fernschreiber, der etliche 20 Telegramme täglich empfing. Wer konnte damit schon im Suppentopf eines nebeligen Novembertages hinreichend umrühfen? Wer konnte damit die Verantwortung über das Leben von Menschen übernehmen? Gegen den zähen Widerstand der Russen (aber auch die Briten waren nicht großmütig) wurde Fußbreit um Fußbreit Boden erkämpft. Heute arbeiten 160 Fachkräfte allein von Schwechat aus für die Flugsicherung. Ueberwältigt stehst du vor dem phantastischen Gewirr von Apparaten, Mikrophonen, Kabeln, Peilgeräten, Sendern, Empfängern.

Alles aus dem Boden gestampft, hineinpraktiziert in einen ehemaligen Hangar. Dort ist auch die gesamte Abfertigung untergebracht, das Verkehrsbüro. Luftfahrtgesellsohaften haben ihre Zelte aufgeschlagen, die Polizei ist da, der Zoll, die Grenzpolizei, die Sanität, die Feuerwehr für ernste Fälle, die hoffentlich niemals eintreten, das Postamt, das Transitrestaurant, all das in lebensgefährlichem Gedränge in und um den Hangar gruppiert. Eine Meisterleistung österreichischer Improvisationskunst!

Soeben reicht ein braungebrannter Flugkapitän der Lufthansa seinen Flight-Plan ein. Er will die Luftstraße nach München in 6800 Fuß Höhe benützen. „Tut mir leid”, antwortet der Mann von der Flugsicherung, der ihn abfertigt, „ist besetzt, gehen Sie doch auf 6200.” — „Also gut”, sagt der Kapitän und unterschreibt die neue Zahl. Das war sein letzter Weg an Land, gleich besteigt er die Maschine, gleich wird sie durch Sprechfunk über das Rollfeld zur Startbahn dirigiert, wo sie warten muß, bis die Starterlaubnis kommt. Die Wartezeit dient dem Cockpitchek, einer letzten Funktionsprüfung der Motoren, Apparate und Geräte der Maschine. Inzwischen landet der „Flying Dutchman” der KLM, wird vom Startmonteur empfangen und mit flaggenähnlichen gelben Kellen zu seinem Standplatz auf der Abfertigungsplatte dirigiert. Jetzt kommt vom Kontrollturm, der Kommandobrücke des Flugplatzes, in englischer Sprache die. Starterlaubnis für den Deutschen. Er schwenkt in die Startbahn ein und ist in kaum einer halben Minute gegen Westen den Blicken entschwunden.

Englisch ist die Verkehrssprache der Fliegerei auf der ganzen Welt, ist die zweite Muttersprache des Personals der Flugsicherung. Alle Meldungen, alle Befehle, der gesamte Wetterdienst rund um die Erdkugel werden englisch abgewickelt. Auch Moskau bildet immer mehr Flugpersonal in Englisch aus, mit Lemberg, Kiew, Sofia, Bukarest verständigt sich die Schwechater Flugsicherung hauptsächlich mittels des internationalen Verkehrsschlüssels. Und mit diesen Orten nur funktelegraphisch, weil der Osten nicht genügend freie Kabel für den FS-Verkehr besitzt, während mit der übrigen Welt hauptsächlich über Fernschreiber verkehrt wird.

WIEN HAT GLÜCK GEHABT. Mehr Glück als Berlin, wo bis ins erste Kriegsjahr hinein der Pharaonenbau des Tempelhofer Flugfeldes in der Mitte der Stadt entstand, mit 1,2 Kilometer

Hallen und 9000 Büroräumen. Mit einer Start- Lande-Bahn von 2 Kilometer Länge. Das aber ist für den kommenden Düserwerkehr um genau 1500 Meter zu kurz. Man müßte zahllose Häuser und Büropaläste fällen, um eine Schneise durch Berlin zu legen. Das ist unmöglich und Tempelhof somit als internationaler Flugplatz erledigt. In Schwechat wird die Startbahn bis zum Jahr 1960 auf die nötigen 3,5 Kilometer ausgebaut sein. Damit beginnt eine neue Aera. Unlängst kamen französische Caravelle-Düsenmaschinen in 1 Stunde und 32 Minuten von Paris nach Wien. Nach New York wird man in fünfeinhalb Stunden fliegen.

Die Schwechater Flugplatz G. m. b. H. wird vom Bund, vom Land und von der Gemeinde Wien getragen. Die gegenwärtige Ausbauphase, die bei den entstehenden modernen Hallen und Zuschauerterrassen bereits das erste Stockwerk erreicht hat, kostet die Kleinigkeit von, 1,30 Millionen Schilling. Am drückendsten empfinden die Fachleute draußen den Mangel an Personal.

„Wir können unsere Radaranlage nicht einsetzen, zuwenig Leute!” murren sie. Sobald die Radaranlage in Betrieb genommen wird, bekommt Schwechat im internationalen Flugverkehr die Note I a. Die Note I wurde in rasantem Tempo von den genialen technischen Improvisatoren, vielfach in barackenähnlichen Räumen, erobert. Sobald die Position jeder anfliegenden Maschine automatisch auf dem Radarschirm aufleuchten wird, werden die Techniker zufrieden sein.

VIELLEICHT SCHON 1959 wird ein schneller Hubschrauberdienst die wichtigsten Städte Oesterreichs mit Schwechat verbinden. Oesterreich up to date ist die Devise der Fliegerei. Schon als Marcus Aurelius 180 nach Christi in Vindobona starb, kreuzte sich hier die Römer-? Straße mit dem Wasserweg der Donau, war Wien Verkehrskreuz West-Ost/Süd-Nord. Daran hat sich nichts geändert. Die PAA der Amerikaner trifft hier die Aeroflot der Sowjets, die BEA der Briten die LAI der Italiener. Die Lufthansa ist ebenso in Schwechat zu Hause wie die JAT der Jugoslawen, die ÖSA der Tschechen, die „Lot” der Polen, die „Tapso” der Bulgaren. Die SWR der Schweiz, die KLM der Holländer, die SAS der Skandinavier geben sich ein Stelldichein mit irakischen, libanesischen, belgischen, israelischen Maschinen.

SCHWECHAT IST DAS TOR DER WELT FÜR ÖSTERREICH. Bob Hope, der unlängst ankam, hätte zwar kaum mit Mikojan ein Shakehand gewechselt, eher schon mit Gina, die vor ihm da war, oder mit dem Prinzen von Kambodscha, der sich Wien nicht entgehen lassen wollte. Dennoch, so schmal die Luftbrücke nach dem Osten auch ist, sie ist eine Realität, die über Wien führen muß. Und wenn die tüchtigen Funker der österreichischen Flugsicherung die Wettermeldungen aus dem Osten abnehmen, so ist das eine Signalbrücke aus der anderen Hemisphäre. Man kann sie nicht mit Händen greifen, doch sie führt unter den Sternen, dem Mond und der Sonne im Bereiche der Funktelegraphie durch den Luftraum. Sie zeigt die Richtung an, in der die Völker Zusammenarbeiten müssen. Wenn nicht heute, so werden sie es doch wohl bis zum Jahr 2000 gelernt haben.

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