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Verbesserung der Agrarstruktur

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Darüber besteht kein Zweifel: Österreichs Landwirtschaft wird noch bedeutende Anstrengungen unternehmen müssen, um für eine Assoziierung mit der EWG entsprechend gewappnet zu sein. Mechanisierung, Rationalisierung, Qualitätsverbesserung — das sind Voraussetzungen, von denen heute auch schon die Jungbauern in den ländlichen Fortbildungsschulen Bescheid wissen. Zu den dringend notwendigen Aufgaben am Vorabend eines großen europäischen Marktes gehört aber auch die Verbesserung der sogenannten Agrarstruktur. Hier muß dem landwirtschaftlichen Siedlungswesen — sowenig es auch in der Öffentlichkeit Beachtung findet — ein besonderer Platz eingeräumt werden. Geht es doch da um die Schaffung neuer, zeitgemäßer Produktionsstätten oder um die Verbesserung der Produktionsgrundlagen. Und wie neue Fabriken meist billigere und bessere Produktion garantieren, so kann auch ein moderner Landwirtschaftsbetrieb die Qualität seiner Produkte heben und die Herstellungskosten senken. Beispiele — vor allem in Bayern — zeigen, daß durch Verbesserung der Agrarstruktur der Zeitaufwand bis zu 40 Prozent reduziert werden kann. Gerade aus diesem Aspekt heraus darf das bäuerliche Siedlungswesen nicht vernachlässigt werden. Scheint es doch vernünftiger, durch Senkung der Produktionskosten das Realeinkommen der Bauern zu heben — als durch Preiserhöhungen. (Man vergleiche nur die Preise unserer landwirtschaftlichen Güter mit denen in den EWG-Staaten.)

Neulandgewinnung im Rheindelta

Österreich verfugt nicht über Neulandreserven wie Kasachstan und Sibirien — bei uns wird jedes Fleckchen Erde bewirtschaftet. Nur in Vorarlberg gibt es noch eine Neulandgewinnung. Im Rheindelta wird der Natur noch ein schönes Stück Neuland abgerungen. Hier werden in Bälde einige bäuerliche Siedlungen entstehen.

Auch im übrigen Bundesgebiet werden jährlich eine Reihe neuer Höfe geschaffen: hier einige Beispiele:

• im Grenzland der Südweststeiermark hat der Herzog von Croy Grund abgegeben, so daß vier Bauernhöfe errichtet werden konnten;

• in Stams hat vor nicht langer Zeit das Stift Grund verkauft, hier entstanden sieben kleine Tiroler Höfe;

• in Marchegg (Niederösterreich) haben sich auf ehemaligem Grund des Grafen Pälffy vier Flüchtlingsbauern aus Siebenbürgen eine neue Heimat geschaffen.

Aussiedlung von „Stadtbauern“

Es gibt heute in Österreich kaum eine Stadt mittlerer Größe, in der sich nicht - am Rande versteckt oder gar in der Nähe des Rathauses - noch Bauernhöfe befänden. Sehr zum Arger der Stadtplaner, die den Raum für ein schönes Wohnhaus dringend benotigen würden. Außerdem, nichts gegen einen Düngerhaufen, aber in das Weichbild einer Stadt paßt er nicht hinein. Auch der Bauer selbst merkt, daß sein Hof ein Fremdkörper Im Trubel der aufstrebenden Städte und auch der Märkte ist: Es fehlt ihm an Raum, um den Hof den modernen Erfordernissen entsprechend auszubauen, die Zufahrtswege zu den Feldern sind lang, die Produktionskosten hoch. i>o merkwürdig das klingt, auch in manchen Dörfern sieht sich der Bauer derselben Situation gegenüber: auch hier ist durch die Einengung jede Entfaltungsmöglichkeit sehr oft unterbunden. Die sogenannte Aussiedlung einzelner Bauern schafft da zugleich Raum für den Nachbarn.

In Bayern, vor allem im Raum von München, haben seit 1955 rund tausend Landwirte ihre alte, räumlich beengte Hofstelle in Stadt oder Dorf verlassen und sich inmitten ihrer arrondierten Felder niedergelassen. In Österreich wurden seit Kriegsende 174 Höfe ausgesiedelt. Erst kürzlich hat das Land unter der Enns die Initiative ergriffen: 50 Bauernhöfe werden in Sommerein, zwei in Markersdorf und einer in St. Pölten ausgesiedelt. Von den 19 im Burgenland ausgesiedelten Bauern stammt der Großteil aus kleineren Orten.

Relikte aus der Gegenreformation

In der Rubrik Siedlungswesen — es wird von der Sektion II des Landwirtschaftsministeriums wahrgenommen —

fällt auch die sogenannte Zulehens-siedlung. Ein Begriff, den man nur in Salzburg, in Tirol und in Kärnten kennt. Drehen wir das Rad der Geschichte um Jahrhunderte zurück. Zur Zeit der „Protestantenaustreibungen“ verließen viele Bauern in den westlichen Bundesländern ihre Höfe. Diese nun leerstehenden Wirtschaften wurden von anderen Bauern übernommen, welche sie als sogenannte Zulehen führten. Sie lagen häufig am Berg und wurden dann als Notunterstände für das Weidevieh oder für die Lagerung von Heu benützt. (Im Laufe der Zeit wurden viele solcher Zulehen als Erbe gegeben und dann wieder selbständig bewirtschaftet.) Eine Reihe dieser „Nebenbetriebe“ existiert jedoch heute noch. Mit Hilfe des Landwirtschaftsministeriums und der Länder wurden in jüngster Zeit bereits eine bedeutende Anzahl der stark vernachlässigten Zulehen zu selbständigen Höfen ausgebaut. In Salzburg haben zum Beispiel mehr als 20 Bauernsöhne in ehemaligen Zulehen eine neue Existenz gefunden.

Eine Bauernküche hat vier Besitzer

Große Schwierigkeiten bereitet den Siedlungsfachleuten die Auflösung der sogenannten „materiellen Teilung“ in manchen Bauernhöfen Tirols und des Burgenlandes. Ein Vierkantbauer aus dem Mostviertel wird folgendes Beispiel vermutlich als Scherz auffassen: In Tirol gibt es heute noch einen Bauernhof, dessen Räume vier Familien unter sich teilen, die Küche ist durch Kreidestriche geviertelt! Das ist natürlich nicht die Regel einer „materiellen Teilung“, doch kommt es sehr häufig vor, daß sich zwei Bauern den Hof teilen müssen. Es ist verständlich, daß dies nicht selten Anlaß für Streitereien und Prozesse ist, außerdem wird dadurch der Ausbau und die Modernisierung des Hofes fast unmöglich gemacht.

Wie kam es nun zu dieser „materiellen Teilung“, die nur in bestimmten Gegenden (in Tirol westlich des Zillertals und im Burgenland im ungarischen Grenzgebiet) anzutreffen ist? Nach alter deutscher Rechtstradition wurde der Hof in der Regel vom Vater einem der Söhne übergeben, nach romanischer Rechtstradition konnte der Hof auch auf die Söhne aufgeteilt werden. Im östlichen Burgenland wurde die Erbschaftsteilung über das ungarische Recht eingeführt. (Dieses war ja bekanntlich sehr stark vom romanischen Recht beeinflußt.) In Tirol war es der Bischof von Chour — er hatte dort umfangreiche Besitzungen —, der romanisches Rechtsdenken ins Land brachte.

Mit Hilfe des Ministeriums für Land- und Forstwirtschaft erfolgt die Auflösung der „materiellen Teilung“. Einer der Bauern bleibt auf dem alten Hof, der andere — oder die anderen — wird ausgesiedelt. Da der Grund auch bei der „materiellen Teilung“ getrennt bewirtschaftet wird, ist dies durchaus möglich.

Mittel aus dem „Grünen Plan“

Die Ursache, warum puncto Siedlungswesen in Österreich seit 1945 nicht überwältigend viel geleistet wurde, hat verschiedene Wurzeln:

• Die gesetzlichen Grundlagen entsprechen nicht ganz den Erfordernissen. Das „Reichssiedlungsgesetz von 1929“, in Österreich seit 1938 in Gültigkeit, ist novellierungsbedürftig. Von den Bundesländern haben zu diesem Grundsatzgesetz bis dato nur Tirol, Vorarlberg und Oberösterreich Ausführungsgesetze erlassen.

• Die finanzielle Hilfe seitens des Bundes war bis vor kurzem relativ gering. Erst durch den „Grünen Plan“ konnten bedeutende Mittel für das Siedlungswesen flüssiggemacht werden. Der Bau eines modernen Bauernhofes — im Flachland baut man Hakenhöfe mit Balkon — stellt sich heute auf rund 900.000 Schilling. Es ist daher verständlich, daß die hohen Kosten einer Aussiedlung vom Bauern allein nicht getragen werden können. Im „Grünen Plan“ für 1962 waren Kir die Förderung des bäuerlichen Siedlungswesens rund zehn Millionen Schilling vorgesehen, im ordentlichen Budget des Landwirtschaftsministeriums waren für diesen Zweck 1,8 Millionen Schilling bestimmt. (Im „Grünen Plan“ für 1963 ist eine Erhöhung dieser Beträge vorgesehen.) Außerdem können Agrarinvestitions-kredite (Gesamthöhe 13,5 Millionen) in Anspruch genommen werden.

Der Siedler kann also folgende Beihilfen in Anspruch nehmen:

1. Nichtrückzahlbare Förderungsbeiträge aus Bundesmitteln für den Bau des Wohn- und Wirtschaftsgebäudes in der Höhe von insgesamt 200.000 Schilling sowie Förderungsbeiträge für die Aufschließung des Grundes (20.000 Schilling).

2. Zuschüsse des Landes (sie sind verschieden hoch).

3. Agrarinvestitionskredite mit einer Laufzeit von 20 Jahren bei dreiprozen-tiger Verzinsung.

Allerdings dürfen die Förderungsbeiträge und Kredite zusammen nicht mehr als 75 Prozent der Bausumme ausmachen.

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