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Wasserkraft und Landschaft

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In der „Furche“ vom 7. Juni 1947 ist ober Lösungsmöglichkeiten zur gegenwärtigen Energiekrise in Österreich von fachlicher Seite geschrieben worden. Die dort gemachten Vorschläge werden wahrscheinlich vom technischen- Standpunkt aus zutreffend sein. Aber: Gibt es zu diesem Thema nicht auch andere Gesichtspunkte, die unter einer gesamtösterreichischen Betrachtungsweise, auch volkswirtschaftlich gesehen, andere Schlußfolgerungen ermöglichen? Hiemit ist die Gefahr für Fremdenverkehr und Landschaftsbild gemeint.

Es gibt Stauanlagen und Überlandleitungen, die in ihrer Art auch ästhetisch schön sind und sich harmonisch in die Landschaft fügen. Der Tauernmoos-See (Stubach-Kraftwerk) in der Granatspitzgruppe bei Zell am See ist hiefür ebenso ein Beispiel wie etwa ein Träger der Überlandleitung auf dem Berggipfel des Wirt nächst dem Arlberg-paß. Daneben freilich mußten wir es schon bisher erleben, daß durch derartige Anlagen größte Kostbarkeiten österreichischer Landschaft vernichtet wurden. So ist beispielsweise die in ihrer An einmalige Gletscherlandschaft der S i 1 v r e 11 a durch die Stauanlagen am Unteren See bei Parthenen, die Schrägaufzüge von Tromenir und vor allem durch die greuliche Arbeitersiedlung von Silvrettadorf auf wahrscheinlich unbestimmte Zeit verunstaltet worden. Alle Einwände, daß nach Beendigung der Arbeiten (also ohnehin erst im Daseinsbereich der nächsten Generation) die Grasnarbe wieder zuwachsen und ein harmonisches Bild entstehen würde, werden problematisch, wenn man beispielsweise den nun schon lange fertiggestellten Stausee von Barbe-r i n e. in den Savoyer Grenzalpen (Schweiz) betrachtet, der noch immer einen trostlosen Anblick bietet, obwohl seine Meereshöhe beträchtlich unter jener der Silvretta-anlagen liegt. An der F u r k a paßstraße in der Schweiz hat sich auch heute, nach vielen Menschenaltern, keine neue Grasnarbe gebildet. Höhen über 2000 Meter haben offenbar andere botanische Gesetze all Talniederungen. An der Glocknerstraße hat man mit Fachleuten ersten Ranges solche Schäden vermieden. Dort galt es, das Landschaftsbild und die Pflanzenwelt dem Fremdenverkehr zu erhalten. Bei Stauseen und Kraftwerken pflegt man wenig nach solchen Erwägungen zu fragen.

Diese Erfahrungen zusammen mit den tatsächlichen Gegebenheiten lassen für einen Großteil der vom Techniker Zvanetti gemachten Energieauswertungsvorschläge schwere Gefahren voraussehen, die unserer Landschaft drohen. Sein Vorschlag, die Lieser in den Millstättersee zu leiten, um die achtzig Meter Gefälle vom heutigen Seespiegel östlich Döbriach zur Sohle des Drautales bei Ferndorf auszunützen, erinnert lebhaft an ähnliche Pläne der Jahre 1919 und 1920, welche die Drau nächst Sternberg zum Wörthersee leiten wollten, um von dessen Ostufer aus das Gefälle bei Maria Rain ausnützen zu können. Die hohen Kosten einerseits wie die Empörung aller Kärntner Fremdenverkehrsgemeinden andererseits haben dies damals verhindert. Lediglich die großartigen Gletscherschliffe und Gletschertöpfe in Klagenfurt-See, die mit dem Luzerner Gletschergarten wetteiferten, sind damals den Technikern durch Sprengung zum Opfer gefallen, um einem Sportplätze zu weichen. Der Millstättersee ist fast noch mehr als' der Wörthersee durch den Zauber seiner unberührten Ufer berühmt geworden, die nur durch die wenigen Badeorte im1 Norden und Osten belebt werden. Er ist nach Meinung vieler der schönste Badesee Österreichs. Sein Wasser erreicht im Sommer Temperaturen von 25 bis 28 Grad Celsius und ist von absoluter grünlicher Klarheit. Die Lieser hingegen ist ein reißender Bergstrom, der alljährlich nach den Tauernunwettern ungeheure Schuttmassen mit sich führt und als Gletscherabfluß von eisiger Kälte ist.

Der Vorschlag, den Leopolsteinersee, dieses Kleinod der Eisenerzer Alpen, für ein Speicherwerk heranzuziehen, wird wohl mit nicht weniger Widerspruch aller am Naturschutz interessierten Kreise zu rechnen haben, während man ähnliche Vorschläge bezüglich des Riesachsees, der stei-rischen Salza und des Sölkbaches wohl wird diskutieren können.

Schon vor 1938 stieß auf weitreichende Ablehnung der nun wiederum zur Forderung erhobene Vorschlag, das ganze G e-s i u s e vom Gesäuseeingang bis Weißenbach/St. Gallen zu einem Riesenkraftwerk heranzuziehen. Die „sausenden Wasser“, die dieser grandiosen Talschlucht den Namen gaben, sollen verschwinden, Österreich um eines seiner Prachtstücke ärmer gemacht werden.

Da wohl anzunehmen ist, daß sich der Techniker von Argumenten künstlerischer oder naturerhaltender Art nicht beeindrucken läßt, ist zu diesem Standpunkt zu bemerken, daß der Fremdenverkehr schon früher einen entscheidenden Faktor in der gesamtösterreichischen Wirtschaft dargestellt und zur günstigen Devisenlage des Landes vor 1938 wesentlich beigetragen hat. Irgend-einmal wird dieser Zeitpunkt wiederkommen, vorausgesetzt, daß die Naturschönheiten, die der Fremde in Österreich suchte, noch vorhanden sind. Wenn der Millstättersee noch acht Grad Sommertemperatur hat, wird niemand mehr dorthin gehen. Dann hat man vielleicht etliche Zehntausend Kilowatt Ausbauleistung gewonnen, aber wertmäßig ebensoviel wieder verloren. So bestechend vom technisch-wirtschaftlichen Standpunkt diese naturzerstörenden Lösungen auch sein mögen, so haben sie auf die Dauer doch nicht den erhofften wirtschaftlichen Wert. Der Ausbau des Ybbs-Persen-beug-Werkes, mag er auch mehr Zeit kosten, wird auf die Dauer doch wohl wichtiger sein. Auch verdient der Ausbau der ött-taler Kraftwerkgruppe gründliche Aufmerksamkeit; zwar ist der schon weit fortgeschritten gewesene Ausbau des Hauptwerkes (S t u i b e n b a c h) durch den restlosen Abtransport der gesamten Anlagen seitens der Besatzungsmacht weit zurückgeworfen; aber immerhin sind wenigstens die Umfassungsmauern der baulichen Anlagen, wenn auch ohne Bedachung, der Druckstollen, die Trasse der Hangleitung und andere Terraingestaltungen geblieben, wodurch sich wenigstens die beträchtlichen Kosten für diese Arbeiten ersparen lassen. Sicher wird es auch noch eine Reihe anderer Möglichkeiten geben, Energiequellen ohne Schaden für die Landschaft zu erschließen. Die warnenden Beispiele des verschwindenden Kesselfalls, des abgesenkten Lünersees und der verwundeten Silvretti sollten zu besonderer Sorgfalt bei allen technischen Überlegungen für neue Kraftwerke mahnen.

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