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WERK UND WORT VON ADOLF LOOS

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Adolf Loos wurde am 10. Dezember 1S70 in Brünn (Mähren) geboren. Sein Vater war Steinmetz und Bildhauer. Nach Absolvierung des Gymnasiums und der Gewerbeschule studierte er drei Jahre lang an der Technischen Hochschule in Dresden. Dreiundzwanzigjährig ging Loos nach Amerika, wo er lange Zeit als einfacher Maurer tätig war. Für diesen Beruf den Freibrief erhalten zu haben, hält er später für wichtiger als sein Studium am Polytechnikum. Drei Jahre später kehrt er nach Europa zurück und läßt sich in Wien nieder. Hier beginnt er seinen Kampf gegen das Ornament. 1897 bis 1900 erscheinen in der „Neuen Freien Presse" und an anderen Orten Aufsatzreihen, zusammengefaßt in „Ins Leere gesprochen“ (Paris, Edi- tion Georges Cres et Cie. 1921). 1903 gab er, zuerst in Anschluß an Peter Altenbergs Zeitschrift „Die Kunst“, später gesondert, ein Blatt unter'dem Titel j;Dä's Andere-; eine Zeitschrift zur Einführung abendländischer' Kültür in Österreich“ heraus, von dent zwei Nummern erschienen, später in „Trotzdem“ (Brennerverlag, Innsbruck 1930) wiederabgedruckt. Loos’ erstes größeres Werk in Wien war das Cafe Museum (1899). Zwischen 1900 und 1910 hat er in Wien eine große Anzahl Wohnungen eingerichtet. 1904 entstand sein Haus am Genfer See und 1910 seine erste Villa in Wien, das Haus Steiner. Im selben Jahr begann er mit dem Haus am Michaelerplatz, dessen Bau auf Befehl der Behörde eingestellt werden mußte und erst nach langen Verhandlungen fertiggestellt werden konnte. Ohne staatliche Unterstützung gründete Loos 1906 seine Bauschule. Nach dem Kriege hielt er in seinem Seminar für junge Architekten und auch öffentlich zahllose Vorträge über alle Fragen der äußeren Kultur. Zur selben Zeit hat er im Verein mit Arnold Schönberg und anderen Freunden die „Richtlinien für ein Kunstamt“ ausgearbeitet. 1920 bis 1922 war er Chefarchitekt des Siedlungsamtes der Gemeinde Wien. Über diese Erfahrungen legte er in der Schrift „Die moderne Siedlung“ Rechenschaft ab. 1923 verließ er Wien und ging nach Paris, wo er das Haus für den Schriftsteller Tristan Tzara baute und die Geschäftseinrichtung des Herrenmodengeschäftes Knize schuf. Er wurde Mitglied des Salon d’Automne, eine Ehre, die bis dahin noch keinem ausländischen Architekten zuteil geworden war. Dort erhielt Loos zum erstenmal die Möglichkeit, auszustellen. In Wien und in Deutschland war ihm dies stets verwehrt worden. 1928 kehrte er nach Wien zurück. Bauten von ihm entstanden in Wien, Prag, Pilsen und Paris. 1930 erschienen seine Schriften in Buchform „Trotzdem“ und eine Monographie von Heinrich Kulka (bei Anton Schroll, Wien). Im gleichen Jahr gewährte ihm die Tschechoslowakische Republik als Ehrung und Anerkennung eine Lebensrente. Schwer leidend, arbeitete er bis zum Sommer 1932. Am 23. August 1933 starb er in Wien.

Durch Adolf Loos kam ein wesentlich neuer Raumgedanke zur Welt: das freie Denken im Raum, das Planen von Räumen, die in verschiedenen Niveaus liegen und an kein durchgehendes Stockwerk gebunden sind, das Komponieren der miteinander in Beziehung stehenden Räume zu einem harmonischen untrennbaren Ganzen und zu einem raumökonomischen Gebilde. Wenn man bisher von einem Grundriß sprach, kann man seit Loos von einem Raumplan sprechen. Der Raumplan mit seiner Fülle von praktischen Erfordernissen (Zweck, Konstruktion, Verkehrswege, Introduktion, Möblierung, Harmonie des Raumes usw.) stellt an den entwerfenden Architekten den Anspruch höchster Konzentration. Loos vermochte die unzähligen, einander oft widersprechenden Anforderungen zu einer vollendeten Lösung zu bringen, daß man über deren Selbstverständlichkeit die große Tat fast vergaß. Nicht nur in seinen Schriften und Vorträgen kämpfte Loos gegen das Ornament, sondern weit mehr noch durch seine Beispiele: seine ornamentlosen Räume und Möbel, neben denen die Räume und Möbel der Sezessionisten, die zur gleichen Zeit entstanden sind, wie Gespenster wirken, seine Fassaden, die nur die Funktion des Raumplanes widerspiegeln - denn auch eine zu große Fensterfläche ist ein Ornament — oder seine flachen Dächer, denn das moderne Bedachungsmaterial fordert nur eine sehr geringe Dachneigung. Mögen die wenigen Abbildungen sein Wollen illustrieren, doch hören wir auch, was er selbst Grundsätzliches zu sagen hat.

ARCHITEKTUR

Die Architektur gehört nicht unter die Künste. Nur ein ganz kleiner Teil der Architektur gehört der Kunst an: das Grabmal und das Denkmal. Alles, was einem Zweck dient, ist aus der Kunst auszuschließen! Genug der Originalgenies! Wiederholen wir uns unaufhörlich selbst. Ein Haus gleicht dem anderen! Man kommt damit zwar nicht in die „Deutsche Kunst und Dekoration“ und wird nicht Kunstgewerbeschulprofessor, aber man hat seiner Zeit, sich, seinem Volk und der Menscheit am besten gedient — und damit seiner Heimat.

Der Architekt muß den Geist dessen ausdrücken, was er zu bauen hat. Das Zimmer muß gemütlich, das Haus wohnlich aussehen. Das Justizgebäude muß dem heimlichen Laster wie eine drohende Gebärde erscheinen. Das Bankhaus muß sagen: Hier ist dein Geld bei ehrlichen Leuten gut und fest verwahrt. Wenn wir im Walde einen Hügel finden, sechs Schuh lang und drei Schuh breit, mit der Schaufel pyramidenförmig aufgerichtet, dann werden wir ernst und es sagt etwas in uns: hier liegt jemand begraben. Das ist Achitektur.

Man darf nur dann etwas Neues machen, wenn man etwas besser machen kann. Nur die neuen Erfindungen (das elektrische Licht, das Holzzementdach usw.) reißen also Löcher in die Tradition.

Materialfetischismus: Von weit her Material zu bringen, ist mehr eine Frage des Geldes als eine Frage der Architektur. Im holzreichen Gebirge wird man in Holz bauen, im einsamen Karst in Stein. In manchen Gegenden wird Backstein, anderswo Beton billiger sein. Modern ist immer das sparsamste Material. Heute ist der Irrglaube weit verbreitet, nur Beton oder Eisen seien modern.

Unsere Erziehung beruht auf der klassischen Bildung. Ein Architekt ist ein Maurer, der Latein gelernt hat. Die modernen Architekten scheinen aber mehr Esperantisten zu sein.

Seitdem die Menschheit die Größe des klassischen Altertums empfindet, verbindet die großen Baumeister ein Gedanke. Sie denken: So wie ich baue, hätten die Römer auch gebaut. Wir wissen, daß sie unrecht haben. Zeit, Ort, Zweck und Klima, das Milieu machen ihnen einen Strich durch die Rechnung. Aber jedesmal, wenn sich die Baukunst durch die Kleinen, durch die Ornamentiken von ihrem Vorbild entfernt, ist der große Baukünstler nahe, der sie wieder zur Antike zurückführt.

Gute Architektur kann beschrieben, sie muß nicht gezeichnet werden. Das Pantheon kann man beschreiben, Sezessionsbauten nicht. Der beste Zeichner kann ein schlechter Architekt, der beste Architekt kann ein schlechter Zeichner sein.

Die Ebene verlangt eine vertikale Baugliederung, das Gebirge eine horizontale. Menschenwerk darf nicht mit Gotteswerk in Wettbewerb treteh; Det einzelne Mensch ist'ünfähig, eine Form zu schaffen, also auch der Architekt. Der Architekt versucht aber dieses Unmögliche immer und immer wieder — und immer mit negativem Erfolg. Form oder Ornament sind das Resultat unbewußter Gesamtarbeit der Menschen eines ganzen Kulturkreises. Alles andere ist Kunst. Kunst ist der Eigenwille des Genius. Gott gab ihm den Auftrag dazu.

ORNAMENT

Der Weg der Kultur ist ein Weg vom Ornament weg zur Ornamentlosigkeit. Evolution der Kultur ist gleichbedeutend mit dem Entfernen des Ornamentes aus dem Gebrauchsgegenstand. Der Papua bedeckt alles, was ihm erreichbar ist, mit Ornamenten, von seinem Antlitz und seinem Körper bis zu seinem Bogen und Ruderboot. Aber heute ist die Tätowierung ein Degenerationszeichen, nur noch bei Verbrechern und degenerierten Aristokraten in Gebrauch. Und der kultivierte Mensch findet zum Unterschied vom Papuaneger ein untätowiertes Gesicht schöner als ein tätowiertes, und wenn die Tätowierung von Michelangelo selbst herrühren sollte. Das moderne Ornament hat keine Eltern und keine Nachkommen, hat keine Vergangenheit und keine Zukunft. Es wird von unkultivierten Menschen, denen die Größe unserer Zeit ein Buch mit sieben Siegeln ist, mit Freuden begrüßt und nach kurzer Zeit verleugnet.

Ich habe niemals gemeint, was die Puristen ad absurdum geführt haben, daß das Ornament systematisch und konsequent abzuschaffen sei. Nur da, wo es einmal zeitnotwendig verschwunden ist, kann man es nicht mehr wieder anbringen. Wie der Mensch niemals mehr zur Tätowierung seines Gesichtes zurückkehren wird.

Wir haben für die Ornamentik früherer Perioden Herrliches eingetauscht. Das edle Material ist Gottes Wunder.

KUNST

Menschen, die Kunst in den Gegenständen des täglichen Gebrauches verlangen, sind Verbrecher auf dem Gebiet des Geistes. Sie sperren dem Künstler den Weg und vergrößern die' Entfernung zwischen Menschheit und Kunst. Sie sind es, die dafür verantwortlich gemacht werden müssen, daß man von der Kunst verlangt, sie möge schön sein. Denn der, der ein Paar Stiefel und ein Gemälde auf dieselbe Stufe stellt, wird nie imstande sein, die Größe eines Gemäldes zu empfinden.

Die Verquickung von Kunst und Handwerk hat beiden, hat der Menschheit unendlichen Schaden zugefügt. Die Menschheit weiß dadurch nicht mehr, was Kunst ist. In sinnloser Wut verfolgt sie den Künstler und vereitelt das Schaffen des Kunstwerkes.

HANDWERK

Der Weg ist: Gott schuf den Künstler, der Künstler schafft die Zeit, die Zeit schafft den Handwerker, der Handwerker schafft den Knopf. Ein jedes Material hat seine eigene Formensprache und kein Material kann die Formen eines anderen Materials für sich in Anspruch nehmen. Denn die Formen haben sich aus der Verwendbarkeit und Herstellungsweise eines jeden Materials gebildet, sie sind mit dem Material und durch das Material geworden. Kein Material gestattet einen Eingriff in seinen Formenkreis.

Wenn wir einen Gegenstand kopieren, müssen wir ihn genau kopieren. Wer vor der. eigenen Zeit keine Hochachtung empfindet, dem fehlt sie auch vor der Vergangenheit.

Der moderne Geist verlangt vor allem, daß der Gegenstand praktisch sei. Für ihn bedeutet Schönheit die höchste Vollkommenheit, und da das Unpraktische niemals vollkommen ist, so kann es auch nicht schön sein.

Der Hobel aus dem Mittelalter gleicht — siehe Dürers Melancholie — durchaus unserem Hobel. Es gibt keine Entwicklung einmal gelöster Dinge. Sie bleiben in der gleichen Form durch Jahrhunderte, bis eine neue Erfindung sie außer Gebrauch setzt oder eine neue Kulturform sie gründlich verändert.

Ein Ding soll ästhetisch so lange halten, als es physisch hält. Das ist nicht nur eine soziale Tat des Verfertigers, also ein Dienst an der Menschheit, sondern ein Dienst an allem, was Gott geschaffen hat.

Ich behaupte, daß der Gebrauch die Form der Gegenstände schafft. Die anderen, daß die neu geschaffene Form die Kulturform (Sitzen, Wohnen usw.) beeinflussen kann.

Wir sitzen nicht so, weil ein' Tischler einen Sessel so oder so konstruiert hat, sondern dör Tistlilör'mädht den SessbL sqj ' wbil" wir so oder so sitzen wollen.

STIL

Kein Mensch kann ein Werk wiederholen. Jeder Tag schafft den Menschen neu, und der neue Mensch ist nicht imstande, das zu arbeiten, was der alte schuf. Er glaubt dasselbe zu arbeiten und es wird etwas Neues. Etwas unmerklich Neues. Aber nach einem Jahrhundert merkt man den Unterschied doch. Seine Zeit. Jawohl unsere Zeit ist schön, so schön, daß ich in keiner anderen leben wollte. Unsere Zeit kleidet sich schön, so schön, daß, wenn ich die Wahl hätte, mir das Gewand irgendeiner Zeit auszusuchen, ich freudig nach meinem eigenen Gewände griffe. Es ist eine Lust zu leben.

Auszüge aus: „Ins Leere gesprochen“ und „Trotzdem“

Anläßlich des 90. Geburtstages bringt der Herold-Verlag, Wien, die gesammelten Schriften von Adolf Loos heraus. Außer den beiden bereits erschienenen Büchern „Trotzdem“ und „Ins Leere gesprochen“ wird diese von Dr. Franz Glück betreute zweibändige Ausgabe auch den unveröffentlichten Nachlaß vo- Adolf Loos enthalten. SALZBURGER FESTSPIELE 1961

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