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...wie Cholera und Pest

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Die Mechanisierung des modernen Lebens, die Hauptursache des Lärms, vor allem auf den StraBen, sei eine wahre Bedrohung für die Familie, besonders für die Geborgenheit des häuslichen Heimes, erklärte kürzlich Papst Pius XII. vor dem lahreskongreB des italienischen Verbandes für Lärmbekämpfung. Deswegen wünsche er lebhaft, daß die öffentliche Meinung ein immer größeres Bewußtsein der Notwendigkeit der Lärmbekämpfung gewinnen würde, besonders dann, wenn es sich um grundlos und zwecklos hervorgerufenen Lärm handle. Oft würden ein wenig Aufmerksamkeit, Höflichkeit und Rücksicht genügen, fuhr der Papst in seiner höchst zeitgemäßen Ansprache fort, den Lärm zu vermeiden. Jeder sollte achtgeben, den Nächsten nicht durch übermäßigen und unnützen Lärm zu stören. Die Vermeidung des Lärms wirke sich nicht nur für die Gesundheit und die geistige Arbeit günstig aus, sondern helfe auch dem Menschen, innerlich zu leben, die geheimnisvolle Stimme des in der Seele seiner Kreatur gegenwärtigen Gottes zu hören, der sich ihm mittęilen möchte.

Eines Tages muß die Menschheit den Lärm ebenso bekämpfen wie die Cholera und Pest, sagte Robert Koch vor 76 Jahren. Die Leute haben heimlich geschmunzelt und geflüstert: Geräuschasket, Utopist. Heute sind diese Worte ein aktuelles Problem geworden. Wir leben unter der Despotie des Lärms. Es ist ein Tribut, den wir der Zivilisation zu zollen haben.

Zwanzig Prozent aller Großstadtmenschen sind lärmkrank, melden nüchtern die Aerzte. Prof. Ferletti, der Erfinder des Elektroschocks, berichtete, exzessiver Lärm könne zum Irrsinn führen, zur Zerstörung von Gehirnzellen, zu Taubheit und Arteriosklerose; Seit einigen Jahren nimmt auch ständig die Zahl jener Patienten zu, die die Aerzte mit Magenbeschwerden, Kreislaufstörungen, Herzkrankheiten und Erschöpfungszuständen aufsuchen. Keine Manager — Opfer des Lärms. Nach einer wissenschaftlichen Erklärung des Direktors des Instituts für Arbeitsphysiologie ist schon das Lärmgeräusch von 65 Phon gesundheitsschädlich. Die experimentelle klinische Forschung bewies, daß selbst der nachts verminderte Lärm gefährlich sei. Das während des Schlafes wache Ohr teilt dem Gehirn alle Störungen von außen mit, ohne daß der Mensch sich dieses Einflusses bewußt wird. Dies alles hat zu einer heftigen Reaktion, weit über die nationalen Grenzen hinaus, geführt, zur „Lärmbekämpfung".

Wie schwierig diese Bekämpfung aber in der Praxis ist, geht aus der grundlegenden Schrift Prof. Oftingers „Lärmbekämpfung als Aufgabe des Rechts“ (Schulthess & Co., Zürich) hervor. Ihre Grundtendenz ist: Es gibt kein Recht auf

Von der Technik her hat man sich alle Mühe gemacht. Die Erfolge der Lärmdämpfung sind beachtlich: Schallschutztechnik, Entdröhnung, Isolierung sind in steter Entwicklung. Nach einem Urteil des Deutschen Bundesgerichtshofes kann eine zu geringe Schallisolation im Wohnbau künftig Schadenersatzansprüche des Bauherrn gegen den Architekten auslösen. Bei der Lärmherabsetzung müsse man sich aber, so wurde im Essener „Haus der Technik" hingewiesen, vorher über den erwünschten Mindesterfolg im klaren sein, eine sogenannte „Geräuschdiagnose" sei unerläßlich, besonders im Straßenverkehr. Die Bewohner einer verkehrsreichen Straße würden z. B. die Herabsetzung des Geräuschpegels auf 60 Phon als angenehm empfinden, die Bewohner eines ruhigen Vorortes als unerträglich. Man sieht, die „orts-

Lärm, wohlaber eines auf Ruhe. Die Technik veifüge zwar über die Möglichkeiten zur Lärmbekämpfung, doch lehre die Erfahrung, daß sie erzwungen werden müsse, deshalb' sei sie Aufgabe des Rechts, im einzelnen aber Sache des Bürgers, der sich an seinem Ort zu wehren habe und die Behörden zum Einschreiten veranlassen solle. Für den Straßenverkehr fordert Prof. Oftinger drastische Maßnahmen: Herabsetzung der Lärmgrenze, unnachsichtiges Verbot zu lärmiger Fahrzeuge, Ueberwachung der Fahrweise, Sperrung einzelner Gebiete, örtliche Geschwindigkeitsbegrenzung, Nachtverbot für Mo- toiräder, energische Anwendung der strafrechtlichen Bestimmungen über die Nachtruhestörung. Die meisten dieser Forderungen finden sich in österreichischen Gesetzen bereits vor.

Die Lärmbekämpfung ist in der Praxis aber wesentlich schwieriger, weil komplexer Natur. Sie kann sich keinesfalls im Verbot erschöpfen. Man muß zuerst dem Wesen des Lärms naherücken. Lärm ist störender Schall, lautet seine bündigste Definition. So wird es also immer auf die „Geräuschsituation“ ankommen, auf die „Lärmquelle“, ob sie vermeidbar, unver-

meidbar, reduzierbar, auf die „Lästigkeit", die abzugrenzen schwierig ist (bekanntlich können miauende Katzen und Hundegekläff in der Nacht störender sein als ein Preßluftbohrer am Tage), auf die „Gewöhnung" usw. Deshalb war einmal die Messung der Lautstärke für die Bekämpfung die Voraussetzung. Das eingebürgerte Maß ist das „Phon“, eine physiologische Größe und schwer handbar. Es seien einige Referenzwerte dieser Phonskala angeführt:

übliche Zumutbarkeit" festzustellen, ist nicht leicht. Interessant ist, daß der Straßenlärm in Deutschland von 1937 bis 195 5 nur um 7 bis 9 Phon zugenommen hat. Es beweist die Anstrengungen der Erzeugerfirmen, ein leiseres ! Arbeiten des Automotors zu erreichen. Der „gleitende Straßenkreuzer“ ist bereits Realität. Das Stadtgebiet von Wien weist eine Verzehn- fachung der Kraftfahrzeuge auf.

Es wird im Straßenverkehr wohl, selbst bei stärkerer Zunahme, weniger einer technischen Lösung bedürfen als vielmehr, was besonders die knatternde Lebensfreude jugendlicher Motorradfahrer betrifft, der Rücksichtnahme.

Ein viel ernsteres Problem stellt aber der

Flugzeuglärm dar. Durch die Presse ging die Meldung, daß Schwechat bei Wien zum Düsenflughafen ausgebaut und der Weltluftverkehr sich bis etwa zum Jahr 1960 auf Düsenflugzeuge umstellen wird. Zwei Meldungen von bedeutender Tragweite, nicht nur wegen des Flugzeuglärms. Selbst wenn man nicht gleich an das Schlimmste denkt, weiß man aus Erfahrung (die besonders Deutschland gemacht hat), daß die Lärmerregung durch fliegende Maschinen auf die Dauer für die Umgebung eine starke physische Belastung bedeutet. Ein Schweizer Ingenieur lieferte einige Phonzahlen: In der Nähe eines startenden Flugzeuges mit Strahltriebwerk verzeichnete er Lautstärken von 110 Phon, die sich beim Zuschalten von Nachbrennern auf 170 Phon steigerten. Noch in einem Startbahnumkreis von 10 bis 20 Kilometern beträgt die Phonstärke 80 und mehr. Niemand wird im „Jahrhundert des Lärms“ (Huxley) das Rad zurückdrehen, doch sollten die Verantwortlichen wissen, wie heftig die Anlage von Düsen flugplätzen in Westdeutschland debattiert worden ist, daß dort Wirtschaft und Wissenschaft in ablehnender Front standen. Lohausen, Wahn, Riem und Fürstenfeldbruck sind heftigst umstritten. Ueber das Lärmkonzert, unter dem die Insel Sylt leidet, wo Begräbnisse durch jaulende Düsenjäger gestört wurden und die Schulkinder automatisch sich die Ohren zuhielten und eine geduckte Haltung einnahmen, sobald es am Himmel röhrte, braucht man gar nicht zu reden. Von Flugfachleuten wird erklärt, die Grenze des Zumutbaren werde trotz emsiger Bemühungen um Schalldämpfung, in der besonders die Swiss- Air Erfolge zu verzeichnen hat, noch immer überschritten. Diese Tatsache kann und darf nicht bagatellisiert werden. Oesterreich hat darin noch keine oder nur geringe Erfahrung, deshalb muß man auf alle Fälle die Konsequenzen aufzeigen, die sich ergeben können. Wenn erst Millionenbeträge investiert sind, ein Fait ac- compli geschaffen ist, dann schafft auch kein Rechtsspruch einen Flughafen aus der Welt.

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