6664153-1960_23_21.jpg
Digital In Arbeit

Wiederaufbau und Umbau

Werbung
Werbung
Werbung

Mit Genugtuung kann wohl jeder Wiener heute feststellen, daß der Wiederaufbau seiner Stadt nach den schweren Zerstörungen des zweiten Weltkrieges praktisch als abgeschlossen bezeichnet werden kann. Die Überwindung der einzelnen Engpässe, wie die Wiederingangbringung der Energiewirtschaft und des Verkehres und' die wegen der Baustoffschwierigkeiten notwendige Bewirtschaftung der Baustoffe war nur durch die umfassende Koordinierung aller politischen, sozialen, wirtschaftlichen und kulturellen Kräfte möglich.

Neben dieser großen umfassenden Aufgabe aber hat sich schrittweise eine neue, wesentlich anders geartete Problemstellung vorgeschoben, die sich anschickt, zur generalen Aufgabe für die nächsten Jahrzehnte zu werden: man muß sie als die Periode des „Umbaues“ von Wien, die Umwandlung des bisher gültigen alten Maßstabes in einen anderen durch Technik und neue Erkenntnisse großräumiger werdenden Maßstab bezeichnen.

Die sich laufend verändernde technisch-wirtschaftliche Situation in Struktur und Produktion, die ständig wachsenden Einzelbedürfnisse, die zwingenden Erfordernisse zur baulichen Sanierung überalteter Stadtviertel, die gebieterisch drängenden Erfordernisse wegen der überstarken Motorisierungswelle, und — ganz allgemein — der Ausbau des Versorgungsnetzes, verlangen einerseits eine Reihe von umfangreichen baulichtechnischen Maßnahmen; anderseits erfordern aber auch die städtebaulichen Erkenntnisse von der Notwendigkeit einer Differenzierung und Intensivierung der in vielen Teilen Wiens amorphen Wohnzonen, vor allem der ehemaligen Proletarierviertel der Gründerzeit, eine schrittweise Umstrukturierung des Stadtkörpers zu überschaubaren, gesunden Einheiten von menschlichem Maßstab.

In der kommunalen Programmatik der Wiener Stadtverwaltung mußten darum in den letzten eineinhalb Jahren alle jene grundsätzlichen Gesichtspunkte städtebaulicher Art zur Grundlage von bauverwaltenden Maßnahmen werden, die eine systematische Auflockerung des überdichten

Stadtgefüges, eine schrittweise Entmischung der unguten Gemengelage von Wohn- und Produktionsstätten, eine Entwicklung neuer zentraler Brennpunkte in den zu wenig gegliederten Stadtteilen zur Folge haben.

Die Bauleistungen der letzten 15 Jahre auf dem bauverwaltenden kommunalen Gebiete können im allgemeinen in zwei wesentliche Über-siebtsgebiete eingegliedert werden: in die Periode des Wiederaufbaues und in die Entwicklungsaufgaben des „Neuen Wien von morgen“. Unsere zeitgenössische Generation steht mitten in diesem grundlegenden Umwandlungsprozeß.

Es wäre unmöglich, die vielfältigen Leistungen, die die Wiener Bevölkerung unter Führung ihrer Gemeindeverwaltung in den Jahren des Wiederaufbaues erbracht hat, im einzelnen anzuführen. Dabei ist besonders erfreulich, daß alle diese Leistungen ohne eine kommunale Verschuldung erreicht werden konnten; der Haushalt der Stadt Wien ist schuldenfrei und die generale Bilanz hoch aktiv.

Im Wohnungsbau, nach wie vor die Aufgabe Nr. 1 in Wien, wurden im Rahmen des gemeindlichen sozialen Wohnbauprogramms bis zum“ Mai 1960 rund 66.000 Wohnungen in Bau genommen, von denen bisher bereits rund 58.000 Einheiten an die Bevölkerung übergeben wurden. Ihre Qualität stellt — wohnkulturell — zweifellos eine Verbesserung gegenüber den kommunalen Wohnbauten der Zwischenkriegszeit dar, denn ihre Wohnungsgröße beträgt gegenwärtig rund 57 mä gegen über rund 43 ms in der Zwischenkriegszeit, und der Austattungsgrad liegt höher als damals. Es liegt im Zuge der Zeit, daß sich um die Mitte der fünfziger Jahre dieses Jahrhunderts immer stärker die Erkenntnis Bahn brechen konnte, daß der soziale Wohnungsbau auf eine breitere Basis gestellt werden müsse und. daß der kommunale soziale Wohnungsbau gemeinsam mit der öffentlichen Förderung des genossenschaftlich-gemeinnützigen s o zi al en Bauens erst die volle Ausnutzung der Baukapazität der Wiener Wohnbauwirtschaft möglich machen; so konnten durch die Wohnbauförderung des Bundeslandes Wien für nicht kommunale Wohnbauten und die neue Wiener Wohnbauaktion noch rund 8700 Wohnungseinheiten zusätzlich mitfinanziert werden.

Neben den normalen Standardwohntypen des kommunalen Wohnbauprogramms wurden außerdem — um einen besonders hohen Wirkungsgrad im sozialen Bauen zu erreichen — Duplextypen an Stelle von Barackenwohnungen und eine Reihe von Heimstätten für alte Menschen geschaffen, die berechtigtes internationales Aufsehen erregt haben. Im Zuge der Förderung der Wohnbaugenossenschaften und in direkten Aktionen wurde außerdem die Verwendung von Familienhaus-Flachbautypen sowohl in tradi-neller als auch in vorgefertigter Art möglich gemacht.

Außerdem wurden durch die Beistellung von gemeindlichem Bauland im Wege der Baurechtsvergebung — trotz des enorm angestiegenen Bau- . landmangels fühlbare Erleichterungen den Bauwilligen gewährt.

Auf dem Sektor des Verkehrs mußten die Wiener ganz außergewöhnlich umfangreiche Leistungen erbringen. Vor allem im Straßenverkehr haben die Umschichtung der Verkehrsverhältnisse und die noch immer ansteigende Motorisierungswelle enorme Investitionen notwendig gemacht. Die Entschärfung neuralgischer Schwerverkehrsknotenpunkte im Stadtinnern zwang zur Anlage mehrgeschossiger Verkehrsbauwerke, wie die Opernpassage, den Südtiroler Platz, die bereits in Betrieb sind, bzw. die Schottenkreuzung, die Bellaria und die fcabenberger Kreuzung und andere, an denen derzeit gearbeitet wird und die bereits einen Bestandteil des späteren Generalverkehrsplanes bilden. Auch radikale Umbauten im Straßenniveau, wie am Praterstern, beim Westbahnhof und die Umstellung des Gürtels zur einbahnigen Schwerverkehrsader, weiter die Behebung einer Reihe von Verkehrsengen und, ganz allgemein, die Verbesserung des Straßenzustandes im Stadtgebiet und in den Siedlungsaußenzonen Wiens, und neue Lichtsignalanlagen und anderes haben enorme Beträge erfordert. Auch die Planungsarbeiten zur Anbindung Wiens an die Autobahnen West und Süd, die Schaffung einer neuen Zubringerstraße zum Ölhafen in der Lobau und überhaupt die Verbesserung der Verkehrsverhältnisse an den Ausfallsstraßen sind wichtige Aufgabenbereiche für die Steuerung einer befriedigenden Verkehrsentwicklung im Wiener Raum.

Auch im Luftverkehr hat Wien eine eindrucksvolle Leistung erbracht: die Eröffnung des neuen „Flughafens Wien“ in Schwechat, an dessen Planung, Errichtung und Betrieb das Bundesland Wien mit einem Viertel beteiligt ist, steht vor der Tür.

Am Ausbau der Schnellbahn, welche die nördlichen, jenseits der Donau liegenden Stadtteile mit dem Stadtzentrum und dem Süden Wiens verbinden soll, ist die Stadt in enger Zusammenarbeit mit dem Bundesministerium für Verkehr und Elektrizitätswirtschaft ebenfalls maßgeblich beteiligt; beim Ausbau des Wiener Donauhafens wurden, unbeschadet der ungünstigen Bedingungen während der Besatzungszeit, sehr namhafte Beträge für die Verbesserung des Verkehrs auf dem Wasserwege investiert.

Die zerstörten Brücken im Wiener Raum konnten nahezu alle wiederaufgebaut werden; außerdem wurde noch die neue Hafenbrücke in der Freudenau errichtet, die, in Spannbeton ausgeführt, zweifellos den ingenieurmäßig modernsten Brückenbau in Wien zur Zeit darstellt.

Dem Hochwasserschutz im Raum Wien hat die Stadt in den letzten 15 Jahren ganz besonderes Augenmerk zugewendet; die Liesing-Regulierung und sonstige Hochwasserschutzmaßnahmen erforderten bedeutende Aufwendungen an Steuergeldern und Arbeit.

Zur besseren Versorgung, der Großstadt wurde der große unterirdische Trinkwasserspei-oher im Zuge der ersten Wiener Hochquellenleitung am Steinfeld gebaut, der ein Novuin im Bau und Betrieb von geschlossenen Trinkwasserbehältern darstellt; er zählt mit einem Fassungsraum von 600 Millionen Litern zu den größten der Welt und hat das größte Interesse der internationalen Fachwelt erregt. Außerdem errichtete die Stadt Wien am Wienerberg einen neuen Gasometer und baut gegenwärtig die erste Müllverbrennungsanlage in Österreich am Flötzersteig. Mit der Inbetriebnahme dieses Großbauwerkes wird Wien in der Welt ebenso beispielgebend vorangehen, wie seinerzeit im Jahre 1923 mit der Einführung des staubfreien Colonia-Systems für die großstädtische Müllabfuhr.

Auch die Ausbauarbeiten am Kanalnetz stellen einen namhaften Beitrag zu den Bauleistungen Wiens dar: die neue Kläranlage im Süden Wiens, der Ausbau des Kaiser-Ebersdorfer und Leopoldauer Sammel- und der Liesinigtalsammelkanäle sowie die ständige Vergrößerung des Kanalnetzes in den Außengemeinden sind zu bedeutenden Posten für eine gesunde Stadtentwicklung geworden. Erwähnenswert wäre auch der Ausbau der Straßenbeleuchtung: zur Zeit sind mehr als 8 5.000 Lichtstellen in den Wiener Straßen und Gassen in Betrieb.

Im Zuge einer fortschrittlichen Standort-und Industrieförderungspolitik wurde die Um- und Ansiedlung großer Industriekomplexe durch Bereitstellung von kommunalem Boden an geeigneten Stellen, vor allem im Industriegebiet im Liesinger Raum, maßgeblich in den letzten Jahren gefördert.

Natürlich dürfen bei einer summarischen Betrachtung der Aufbauleistungen Wiens nicht die außergewöhnlich großen Arbeiten auf den weiten Gebieten des S o z i a 1- und Gemeinschaftsbaues vergessen werden. Neben dem Wiederaufbau von zerstörtem Schulraum wurden außerdem noch 123 alte Schulen modernisiert, acht Schulen befinden sich noch im Umbau. Den neuen Bedürfnissen in den jungen Stadtteilen entsprechend, wurden außerdem noch 25 neue Schulobjekte, davon acht Bauten als Schulpavillon errichtet; derzeit befindet sich noch eine neue große Schule in Bau. Seit 1945 wurden außerdem 43 Kindergärten und Horte neu errichtet, sechs Anlagen befinden sich noch in Arbeit.

Ein ungemein umfangreiches Bauvorhaben stellt die zur Zeit in Bau befindliche Erweiterung des Wilhelminenspitals um 560 Betten dar; nach Fertigstellung wird dieses Krankenhaus mit nahezu 2000 Betten zu den größten und bestausgestatteten Spitälern Wiens gehören.

Die Vorarbeiten für den Neubau des Wiener Allgemeinen Krankenhauses sind ebenfalls weit gediehen, und die Ausschreibung des großen internationalen Ideenwettbewerbes wird in wenigen Wochen erfolgen.

Eine Reihe modernster Volksbäder an der Donau und am Rande der Stadt, aber auch inmitten dichtverbauter Stadtteile, wie das nach dem Kriege wieder völlig neu aufgebaute Gänse-häufel, das Theresienbad, das Stadionbad und das neue Laaerbergbad sind das Ergebnis einer jahrzehntelangen systematisch-zielbewußten Bäderpolitik.

Unter den Bauten der Gemeinschaft ragt vor allem die neue Wiener Stadthalle als eines der prominentesten Baudokumente des neuen Wien nach 1945 hervor; andere Höhepunkte sind das neue Museum der Stadt Wien auf dem Karlsplatz und die Schaffung von neuen Volksheimen in den Wiener Wohnbezirken, wie das Novy-heim in Kagran, das Volksheim in der Per-Albin-Hansson-Siedlung in Favoriten und die zur Zeit in Bau befindlichen Volksheime auf dem Arthaberplatz, in der Heiligenstädter Straße und in der Sohüttaustraße.

Der Sicherung des Erholungslandes, der Grünflächen und der Freiflächen schlechthin, hat die Gemeinde Wien in den letzten Jahren besonderes Augenmerk zugewendet. Maßnahmen gegen eine weitere Versiedlung des Wald- und Wiesengürtels durch wilde Siedlungen wurden getroffen und der Entwicklung des sozialen Grüns, jener natürlichen Einbettung für das' umfangreiche kommunale soziale Wohnbauprogramm, große Beträge zur Verfügung gestellt.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung