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Wien — das einst grüne

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„Das ,soziale Grün' wird das Stadtbild wieder völlig umgestalten müssen: Die heute bestehenden Gärten, Parks und Grünflächen sind seine Kristallisationskeime ..

Stadtrat Leopold Thaller, 1957

Man wird heute nicht müde, die moderne Grünflächenpolitik der rücksichtslosen Verbauung in der Gründerzeit gegenüberzustellen. Gewiß mit gutem Recht! Der Fortschritt aber der letzten Jahrzehnte gibt uns längst kein Recht zu großem Gepränge. Denn die Sünden, die nach der Stadterweiterung (1857) an unserem Stadtbild begangen worden sind, nicht zuletzt und ganz besonders durch Verbauung fast aller Vorstadtgärten, sie sind so groß, daß sie sich , kaum je werden einigermaßen wieder gutmachen lassen. Das verbietet sich ja auch durch das ungeheure Anwachsen der Bevölkerung, die eben den Raum, wo früher zweigeschossige Vbrstadthäuser ständen und weite Gärten geblüht haben, für sechs- bis neunstöckige Wohn- uijd Bürohäuser braucht. Wit können heute auch bei bestem Willen und mit reichsten Mitteln nicht das Gartenglück neu schaffen, das unsere Urgroßväter genossen haben.

Wenn daher versichert wird, daß „der Durchbruch der Natur in den Stadtkern, eine systematische Auflockerung durch immer mehr Grünlandzonen, Parks und Gärten … eine der wichtigsten Aufgaben des Städtebaus dieses Jahrhunderts geworden ist", so müssen wir diesen Worten mit einigen Zweifeln begegnen.

Nach unserer Ueberzeugüng handelt es sich gär nicht 'so sehr darum, n e u e. Gärten zu schaffen, sondern, in letzter Stunde, die bestehenden Gärten zü schützen: also die Haus- gärten in den wenigen, noch einigermaßen erhaltenen Vorstadtgassen, die ehemals herrschaftlichen Parks und, selbstverständlich, die von der Gemeinde Wien selbst angelegten öffentlichen Gärten. Was aber sehen wir? Die jose- •phtmscheri,'’- Empire-’ lind i Biedermeierhäu errrwer- der Spefeilatii5nrderh;nttibn'iGrümä'er?‘ aufgefressen, und mit ihnen sterben ihre Gärten. Die herrschaftlichen Gärten aber werden von der Gemeinde selbst verbaut: der Czarto- ryskipark in Weinhaus, der Arenbergpark in Hacking (Hochhaus!), der Garten des Wiedner Krankenhauses (Czernin), die Gärten in Unter- Döbling und auf der Hohen Warte, um nur wenige zu nennen. Und ein gar nicht so kleiner städtischer „Beserlpark", der Schuhmeierplatz, in einem der dichtest bevölkerten Teile Wiens, ist neuerdings fast gänzlich verbaut worden.

Diese wenigen Beispiele mögen genügen, um darzutun, wie sehr man mit sich selbst im Widerspruch ist. Es kommt doch gar nicht darauf an, ob Wien viele „Grünflächen“ hat. Philosophisch gesprochen, ist es bloßer Nominalismus, wenn die Stadt jeden Quadratmeter Rasen, also auch die Rasenzwickel um die Brunnen vor der Oper oder das, was die Straßenbahn beim Ringturm, auf dem Aspernplatz und an der Mariahilfer Kreuzung nicht in Anspruch nimmt, in ihren Statistiken als „Grünflächen" ausweist, oder die dürftigen Rasenflächen auf dem Gelände des ehemaligen Pferdemarktes in Margareten oder zwischen den Neubauten an der Lainzer Straße. Solche von Grashalmen bestandenen und zum Teil von Coloniakübeln beanspruchten; Flächen sind gewiß keine Erholungsflächen, geschweige denn Gärten.

Man sollte also meinen, daß man die wenigen Gärten, die Wien noch hat. mit allen Mitteln schützen werde. O nein! Der letzte der jose- phinischen Friedhöfe, der, da er die Gebeine Mozarts birgt, im wahrsten Sinne des Wortes weltberühmte St.-Marxer Friedhof, ist ganz ohne Not an der Nordostecke schwer angeschlagen worden (übrigens auch an der Leberstraße). Ganz offensichtlich deshalb, weil man ältere Pläne zugrunde gele„t hat, die die Einmündung der Gürtelstraße in die Leberstraße auf Kosten der Nordostecke des Friedhofes vorgesehen haben. Nun liegt aber die Einmündung der neuen Gürtelstraße in die Leberstraße tatsächlich weiter nordwestlich, in etlicher Entfernung vom Friedhof. Kein Mensch weiß, warum trotzdem der Friedhof verwüstet und die Nordwestmauer geknickt und nunmehr statt in nordöstlicher mehr in östlicher Richtung neu aufgerichtet worden ist. Kein Mensch auch weiß, warum man just in unmittelbarer Nähe des Friedhofes, hinter den Hinterfronten der Häuser auf der neuen Gürtelstraße, noch zwei Wohnhäuser erbaut. Trotz dem Ausbau der Gürtelstraße hätte sich doch wenigstens dies vermeiden lassen, sollte man meinen. Immerhin: Der Augenschein zeigt, daß bei gutem Willen — der muß freilich vorausgesetzt werden — das bisher Geschehene wenigstens einigermaßen wird gutgemacht werden können. Steht doch genügend Raum — das ist es ja eben! — zur Verfügung zwischen dem angeschlagenen Friedhof und den neuen Häusern, um ehestens einen dichten Hain zu pflanzen, damit der historische Friedhof vor Lärm und Sicht geschützt werde, so gut dies eben gehen mag. Man müßte freilich auf die altbewährten Grundsätze der Landschaftsgestaltung zurückgreifen: Dann wird es gelingen, in einem Menschenalter diesen Platz vor dem Sog der Großstadt zu schützen, in den man ihn, ganz unnötiger- und unbegreiflicherweise, hineingestoßen hat. Das ist eine der wichtigsten Aufgaben der Stadtplanung und der städtischen Gartenverwaltung, deren sonstige Meriten nicht in Frage gestellt werden sollen.

Weit schlimmer noch ist die Verwüstung des Schweizer Gartens. Wenn man sich hier nicht in letzter Stunde eines anderen besinnt, so kann die Stadt Wien diesen schönen Garten abschreiben. Und gerade er würde unser aller Schutz verdienen, aus mehrfachen Gründen. Man hat ihn, der zunächst nach der Mutter des letzten Kaisers von Oesterreich„ der Erzherzogin Maria Josefa, benannt gewesen, nąch der Schweiz umbenannt, als dem Lande, das unserer im Jahre 1918 zusammengebrochenen Heimat tatkräftige Hilfe hat angedeihen lassen. Es geziemt sich daher, daß wir diesen Garten in einem Zustand erhalten, in einen solchen zurückversetzen, der diese Ehrung rechtfertigen kann. Zudem ist dieser Garten in den letzten Jahrzehnten in eine besondere Beziehung zum Wiener Kulturleben getreten. Im Oberen Belvedere ist nach dem ersten Weltkrieg eine der wertvollsten Kun stsammhwen Oesterreichs utHereebrach t worden; das nahe Arsenal zeigt wieder die berühmten Sammlungen des Heeresmuseums; und nun soll auf Parkgrund, hart an der neuen Arsenalstraße, aus den Baugliedern des österreichischen Pavillons auf der Brüsseler Weltausstellung, das neue österreichische Museum für moderne Kunst erstehen. Wien wird also mit dem Belvedere und dem Arsenal einen neuen Kulturmittelpunkt erhalten. Das verpflichtet doch, sollte man meinen, es verpflichtet sogar, wie wir meinen, etwas tiefer in die Tasche zu greifen.

Was ist geschehen, was geschieht?

Die Schnellbahn Floridsdorf—Meidling wird den Garten unterfahren. Das müßte an sich nicht zu dessen Schaden geschehen. Die Stadtbeziehungsweise Vorortebahn unterfährt den Stadtpark, den Kinderpark, unterfährt den Türkenschanzpark. Aber sie ist im Kinderpark nur an dessen wienseitigen Rand auf kaum 60 Meter, im Türkenschanzpark nur auf etwa 100 Meter sichtbar. „Sichtbar"? Kaum, denn die Erbauer der Stadtbahn haben — vor mehr als sechzig Jahren, als man noch nicht so viel redete von Großstadtgrün oder gar von sozialem Grfin iminerhin süleht':dias getan,1 wäs jeffzt1 in dem einst so schönen Schweizer Garten geschieht. Man hat damals nicht die senkrechten Schächte des Aushubs zu flachen Böschungen ausgezogen, nachträglich! Was will das sagen? Das bedeutet, daß der Schweizer Garten, wovon sich jedermann überzeugen kann, in zwei Hälften zerrissen worden ist, so daß etwa von der Ecke Prinz-Eugen-Straße—Gürtel das nordöstliche Objekt des Arsenals fast in ganzer Ausdehnung gesehen werden kann! Das bedeutet, daß die Schnellbahn vom Rondell (in der Achse der Fasangasse), wo einst „des Springquells flüssige Säule gestiegen“ ist, über die wir uns schon auf der „Fasankreuzung“ auf dem Rennweg gefreut haben, bis zu ihrer Einmündung in die alte Strecke der Verbindungsbahn Rennweg— Arsenal gesehen und — gehört werden wird. Das bedeutet, daß der Schweizer Garten sehr, sehr viel kleiner sein wird. Es bedeutet, daß die beiden Teile gerade nur über das Rondell miteinander verbunden sein werden. Das Kinderfreibad im östlichen Teil des Gartens ist einfach durch zwei Miniaturbetonmäuerchen von seinen Zuflüssen abgeschnitten worden. Das Rosarium ge- höxt der Vergangenheit an. Und, die Westflanke, die; wie-ältere Pläne ausweisem mehr'noch als der Rand gegen den Gürtel mit Sträuchern hinjerpflanzt gewesen, sie ist heute gänzlich auf- gerissen. An der Nordwestecke wird der Schnellbahnhof stehen, dann kommt die Schleife der Straßenbahnlinien D, 13 und 69, und dort, wo einst dichtestes Gebüsch gestanden hat, ist heute eine „Gstätten“ mit den Trägern des Brüsseler Pavillons und dem gut zwölf Meter hohen Aushub vom Bau des neuen Bahnhofs, der „Deponie“. Nach wie vor flutet lebhafter Verkehr vom Landstraßer Gürtel über das Rondell zur Arsenalstraße.

Wir dürfen fragen: Was bleibt von dem Schweizer Garten nach Vollendung der Gebäude übrig? Antwort: wenig! Wenn man sich nicht, in zwölfter Stunde, entschließt, eine offensichtliche Fehlplanung zu korrigieren, das heißt, wenn man sich nicht entschließt, den Einschnitt vom Rondell zur Verbindungsbahn zu schließen und das zu tun, was die Erbauer der Wiener Stadtbahn vor sechzig Jahren im Kinderpark und Türkenschanzpark getan haben: die Schnellbahn im Tunnel zu führen.

Aber die Kosten? Die dürfen bei einer so riesigen Aufgabe keine Rolle spielen, .auf Kosten des Erholung suchenden Volkes! Die städtische Gartenverwaltung hat — wir sind froh darüber —, seit sie unter neuer Leitung steht, ein sehr hohes Budget, sechzig Millionen etwa, wenn wir recht unterrichtet sind. Auf die Gestaltung der Uferböschungen am oberen Donaukanal sollen, wie man hört, acht bis zehn Millionen ausgeworfen werden. Gut! Aber sollten da nicht die Mittel aufzubringen sein, um den Einschnitt auszufüllen? Ein großer Teil des Füllstoffes ist da: Man muß nur nicht, wie es jetzt geschieht, die Böschungen weiter ausziehen und man braucht nur den Aushub an der Arsenalstraße herzuführen. Eine kleine Verzögerung des Baues wird man eben in Kauf nehmen müssen. U rn- planen!

Das scheint utopisch zu sein. Warum aber? Muß eine Fehlplanung, wenn sie als solche erkannt wird, um jeden Preis ausgeführt werden, nach dem Gesetz der Trägheit? Die städtische Gartenverwaltung verwende einen kleinen Teil’ ihrer Gelder dafür, einen der schönsten Gärten Wiens wiederherzustellen.

Noch ist es nicht zu spät, daß die Stadt Wien einen ihrer schönsten Volksgärten rette. Sie muß nur wollen.

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