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Wir demolieren Wien

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Abgeschlagene Palaisfassaden, geschmacklose neue Portale in Kunststein und Glas an Ringstraßenpalästen, unharmonisch in alte Architekturensembles eingefügte, schlechte Neubauten, ein aller Atmosphäre beraubter Stadtkern, ein grauer Bezirkekranz zwischen Bing und Gürtel... Soll das Wien Anno 2000 sein? Der Demolierung Wiens zur Großstadt um die Jahrhundertwende folgt nun die Zertrümmerung alten Kulturgutes im Zeichen des geschickt getarnten Provinzialismus. Der Geschmack traditionsloser Mittelstädte hat sich hier etabliert, zerstört Wiens kostbares historisches Stadtbild, verwüstet es sinnlos. Verkehr und kurzsichtig betriebenes Profitgeschäft sind das Maß aller Dinge geworden. Ob die Fremdenverkehrsattraktion Wien dergestalt auf ihre Gäste noch ihren vielgerühmten Beiz ausüben wird?

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Abgeschlagene Palaisfassaden, geschmacklose neue Portale in Kunststein und Glas an Ringstraßenpalästen, unharmonisch in alte Architekturensembles eingefügte, schlechte Neubauten, ein aller Atmosphäre beraubter Stadtkern, ein grauer Bezirkekranz zwischen Bing und Gürtel... Soll das Wien Anno 2000 sein? Der Demolierung Wiens zur Großstadt um die Jahrhundertwende folgt nun die Zertrümmerung alten Kulturgutes im Zeichen des geschickt getarnten Provinzialismus. Der Geschmack traditionsloser Mittelstädte hat sich hier etabliert, zerstört Wiens kostbares historisches Stadtbild, verwüstet es sinnlos. Verkehr und kurzsichtig betriebenes Profitgeschäft sind das Maß aller Dinge geworden. Ob die Fremdenverkehrsattraktion Wien dergestalt auf ihre Gäste noch ihren vielgerühmten Beiz ausüben wird?

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Denkmalpfleger, Kunsthistoriker, Kunstkenner machen zeitweise durch Entsetzensschrede und Proteste darauf aufmerksam, daß wieder ein kostbares Barockhaus gefallen ist, wieder ein alter Platz seines Flui-dums beraubt wurde. Doch da ist es meist schon zu spät. Wie in der Wollzeile 7, wo allerdings nun die Barockfassade rekonstruiert wird — eine Garageneinfahrt am Stephansplatz wird dafür in Kauf genommen —, wie auch im Falle berühmter Palais in der Argentinierstraße, Prinz-EugennStraße, bei der Flo-rianikirche usw. Die Liste verschandelter oder ganz einfach abgerissener Bauten ist bemerkenswert, ja alarmierend angewachsen.

Landeskanservator Dr. Alfred Schmeller wehrt sich freilich gegen Abbruchwünsche im Falle bedeutender Bauten tapfer. Wer ist heute am Abbruch alter Bauwerke interessiert? „Meist Hauseigentümer, denen ihr bauliches Eigentum nicht genügend lukrativ ist, und Architekten. Längst nicht mehr hingegen die Gemeinde Wien. Im Gegenteil: Sie ist zur Zeit bestrebt, das historische Stadtbild zu retten, möglichst viel zu erhalten. Sie ist großzügig, wenn es darum geht, dieses oder jenes Bauensemble, also eine Gruppe von Häusern, intakt zu halten. Ja, sie fragt sogar an, ob Bauten erhaltungswürdig sind. Gespannte Verhältnisse bestehen dagegen meist zwischen uns und den Architekten, Bauherren, Versicherungen, die oft sogar die besten Baudenkmäler ohne Rücksicht auf Wert und Stadtbild opfern wollen. Es ist ein manchmal geradezu grotesker Wettlauf um Demolierung oder Schutzstellung. Um das Kulturgewissen ist es jedenfalls meist recht arg bestellt.“ Als Beispiele führt Doktor Schmeller die einstige Österreichisch-Ungarische Bank, Herrengasse 14, an, ein hervorragendes Baudenkmal des Ringstraßenarchitekten Heinrich von Ferstel (Dekorationen entwarf Opernerbauer Eduard van der Null), das Palais Hardegg in der Strauchgasse, ein Ringstraßenpalais von Tietz, andere Häuser in der Herrengasse, Kärntnerstraße usw. „Wir im Bundesdenkmalamt müssen stets Feuerwehr spielen. Die Situation ist manchmal nämlich geradezu unglaublich: Man hat den Eindruck, die Architekten möchten am liebsten die Werke ihrer großen Vorgänger ausrotten,“ Auch hier geht es um ein prominentes Beispiel: Gottfried Sempers Theaterkulissendepot in der Lehärgasse, den einzigen erhaltenen Nutzbau dieses vielleicht wichtigsten Architekten des Historimus. (Er hat bekanntlich die Neue Burg und die Museen in Wien errichtet.) Die Technische Hochschule will den Bau auf jeden Fall abreißen lassen, ohne Rücksicht darauf, was er für die Wiener Architekturgeschichte dokumentiert ... Und auch Robert Oeries Auersperg-Sanatorium ist ständig bedroht: Die Herren des Studentenheims sind sich gar nicht bewußt, welche Bedeutung dieser Bau hat, und runieren ihn. „Sie sehen, wir müssen fast täglich nachschauen gehen, ob irgendwo etwas passiert. Wir müssen achtgeben, daß der Bestand all der Bauten gesichert ist. Früher wurde in dieser Hinsicht viel zuviel aufgegeben — wie zum Beispiel das Geyling-Haus in der Windmühlgasse —, wofür die Denkmalpfleger heute Prügel bekommen. Man war häufig viel zu nachgiebig. Ich sage in den meisten interessanten Fällen von vornherein: ,Nur über meine Leiche.'“

Schwieriger als das Erhalten ganzer Bauwerke ist es, Portale von Geschäften, Tore, Kaffeehäuser usw. zu bewahren. Besonders wenn sie noch nicht unter Denkmalschutz stehen. „Wir kommen wirklich kaum nach, alles zu schützen, überall rettend einzugreifen. Ganz zu schweigen davon, welche Summen das verschlingt.“

Immerhin, Dr. Schmeller zeigt imponierende Bezirkskarten, auf denen genau eingezeichnet ist, welche Objekte bereits geschützt sind, und welche wert sind, erhalten zu werden: „Es ist kostspielig und bedeutet ungeheuer viel Arbeit, bei jedem Bauobjekt den kunsthistorischen Wert oder den für ein ganzes Bau-

Wilhelm Mrazek: „Denkmalschutz? ... In einer Periode materiellen Wohlstands ist man nur am Profit interessiert“ ensemble sowie Erhaltungszustand und Sanierungskosten festzustellen. Bisher wurde übrigens erst ein einziges Ensemble assaniert, das Blutgassenviertel ... Die Schönlaterngasse, das Viertel um Maria am Gestade, der Spittelberg stehen bevor. An der gesamten Innenstadt wird intensiv gearbeitet... Nun, welche Zonen sind zu schützen? Zuerst einmal die gesamte Innenstadt, deren historischer Charakter gewahrt werden muß. Dabei müssen wir immer unterscheiden zwischen geschlossenem Baugebiet mit vorwiegend künstlerisch bedeutsamen Objekten, den Ensembles, und Altfassaden, die zu-pindest erhaltenswert sind. Der zweite Komplex sind die Ortskerne, also Nußdorf, Alt-Grinzing, wo wir gerade dabei sind, Pläne für eine systematische Instandsetzung auszuarbeiten (sie werden sich auch auf die Details, wie die Beleuchtung, erstrecken), ferner Salmannsdorf, Altmannsdorf; oder das Kahlenbergerdorf, wo mit Unterstützung durch die Fassadenaktion vierzig Häuser hergerichtet wurden. Umfangreich ist auch die Arbeit an den Bezirken innerhalb des Gürtels: Für dieses Gebiet wurden bisher genaue Pläne für den 7., 8. und 9. Bezirk erstellt. Für die anderen fehlen allerdings noch die Details. Schließlich ist noch ein Sonderkomplex moderne Architektur' zu betreuen, der alle Schöpfungen Otto Wagners, Villen-erasembles, wie im Cottageviertiel, Privattbauiten von Loos, Hoffmann, den berühmten Jugendstilarchitekten umfaßt. Im ganzen ein riesiges Arbeitsfeld, für dessen möglichst rasche Bewältigung wir viel zuwenig Beamte und Sachverständige haben.“

„Mangel an Kulturgewissen“ wirft auch Dr. Wilhelm Mrazek, Direktor des Museums für angewandte Kunst, den Hauseigentümern und Architekten vor. „Es gab einmal eine Zeit, da wollte jeder sein Haus möglichst rasch unter Denkmalschutz stellen lassen. Heute, in einer Periode materiellen Wohlstands, ist man jedoch nur am Profit interessiert.“ Nicht ganz freisprechen von jeder Schuld an dieser Situation kann Dr. Mrazek die Wiener Stadtverwaltung, wo „Konzeptlosigkeit herrscht, keiner weiß, was er will“. Mrazek vermißt jede Koordination in Sachen Stadtplanung: „Dabei könnten die Herren sehr wohl in Köln, Hannover, London studieren, wie man kulturelle Zentren saniert, sie lebendig erhält und im Leben der Stadt integriert.“ Daß jeder heute im Grunde doch bauen kann, wie und was er will, daß alte Hausportale verschandelt werden und just vor Monumentalbauten wie der Länderbank Tankstellen entstehen, daß mutwillig Reklamen überall dort montiert werden dürfen, wo sie elegante Fassaden am meisten stören, daß alte Parkgitteranlagen, wie im Fall des Stadtparks, durch häßliche und geschmacklose, vorfabriaierte Betonplatten ersetzt werden, das alles trägt zur Zerstörung des Stadtbildes bei. „Warten wir erst einmal ab, wie die U-Bahn-Station Stephansplatz projektiert wird. Vielleicht so, daß vom Riesentor von St. Stephan wegen der Abgänge nicht mehr viel zu sehen sein wird. Und warten wir ab, was von Otto Wagners Stadtbahnpavillons erhalten bleibt, wie der Karlsplatz aussehen wird ...“ Die Liste seiner Befürchtungen scheint nach der geplanten Garage in der Wollzeile 7 mit Abfahrt vom Stephangplatz aus wohl doch nicht ganz unbegründet zu sein.

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