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„Wir sind von allem etwas”

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Der Landeshauptmann über die schillernde Identität seiner Landsleute, die Chancen einer Grenzregion und die Beben in der politischen Landschaft.

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Der Landeshauptmann über die schillernde Identität seiner Landsleute, die Chancen einer Grenzregion und die Beben in der politischen Landschaft.

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OIeFurche: Wo steht das Burgenland heute entwicklungsmäßig? Landeshauptmann Kam, Stix: Wir haben Bereiche, wo wir ohne Überheblichkeit sagen können, da sind wir österreichweit Spitze. Beispiele: unser grenzüberschreitender Naturpark Neusiedlersee. Da ist uns etwas gelungen, um das andere noch ringen. Dann haben wir eine Weinwirtschaft, wo burgenländische Winzer nicht nur zur österreichischen, sondern zur europäischen Spitze gehören. Auf der anderen Seite gibt es Bereiche, in denen wir immer noch aus der Entstehungsgeschichte des Burgenlandes leiden - die Städte, die geistig-kulturellen Zentren, sind damals in Ungarn geblieben. Daher hatten wir einen Nachholbedarf. Mit den Mitteln der Ziel-1 -Förderung, des Struktur-fonds der EU, sind wir dabei, auch hier moderne Strukturen zu schaffen, zum Beispiel einen in Europa auch nicht ganz alltäglichen grenzüber-schreitenden Industriepark zwischen dem ungarischen Szent Gotthard und dem bur-genländischen Heiligenkreuz. Das ist ein Beispiel, wie's gehen soll. Im Tourismus-Bereich haben wir mit Bad Tatzmannsdorf-Stegersbach ein Zentrum des Tiefentourismus in Entwicklung, zu dem die Fachwelt heute „Wellness” sagt. Bad 1 atzmannsdorf-Stegersbach soll eine Leitfunktion für eine größere Region haben, die über Südburgenland hineinreicht nach Ungarn, Slowenien und in die Oststeiermark. Nicht der Kranke soll eingeladen werden, hierher zur Genesung zu kommen, sondern hier wird Prophylaxe geboten. Wenn uns das gelingt, werden wir ein Zentrum für eine Tourismusangebotsgruppe haben, die von der Größe und Spezifität her in Europa etwas ist, das auch in Japan vermarktet werden kann. Denn die außereuropäischen Gäste kommen nicht ins Burgenland oder nach Ungarn, die kommen nach Europa. Und wenn wir dann mit einem Golfzentrum in der genannten Region hier Golf und Management verbinden und in Stegersbach eine Golfhandelsakademie errichten - es gibt ein solches von Pädagogen ausgearbeitetes Projekt-, dann könnte daraus etwas werden, wo wir europäisch zu den Spitzenläufern gehören.

DIEFURCHE: Was macht die Identität des Burgenländers aus? Lange genug hatte er einen Minderwertigkeitskomplex. Der Politologe Norbert Leser, ein Burgenländer, vertritt die Ansicht, daß der Burgenländer schon von Anfang an ein ausgeprägtes Landesbewußtsein entwickelt hat stix: Ich schätze Professor Leser sehr, glaube aber, daß er das Burgenland nicht wirklich kennt. Wenn ich mir die Landesausstellung „Reitervölker aus dem Osten, Hunnen und Awaren” (furche 17/1996, Anm. d. Red.) anschaue, dann habe ich den Eindruck, wir sind von allen ein bißchen etwas. Und daher wird man so generell den Burgenländer nicht definieren können; es ist nicht der kroatisch oder ungarisch sprechende Burgenländer, auch nicht der katholisch oder evangelisch Bekennende - es gab auch das Jüdische im Burgenland. Im Burgenland ist eigentlich in jedem Dorf eine eigene Identität entstanden. György Sebestyen hat das am besten beschrieben: Wo sich die Wege kreuzen. Und Fred Sinowatz beschreibt die Burgenländer als Grenzwächter, die sich bei immer neuen Wellen von außen in ihre'Dörfer zurückgezogen haben, aus denen sie wieder hervorgekommen sind, wenn der Sturm vorbei war. Dabei haben sie manches aufgenommen, sich aber auch gegen manches gewehrt. Das Minderwertigkeitsgefühl kam vor allem nach der Burgenland-werdung, weil man nicht glaubte, ohne Preßburg, Ödenburg, Güns, Steinamanger oder Sankt Gotthard auskommen zu können. Der Burgenländer mußte erst glauben lernen, daß er ohne die Städte, zu denen er tausend und mehr Jahre gehörte, leben kann.

DIEFURCHE: Burgenland hatte besonders nach dem Zweiten Weltkrieg wegen des Eisernen Vorhanges zu leiden Der Zaun ist weg, man hat wieder Zugang zu den alten Zentren. Jetzt ist aber mit der EU-Außengrenze die Gefahr entstanden, daß neue Dämme errichtet werden

STIX: Es ist zwar die Demarkationslinie zweier gesellschaftlicher Systeme weg, geblieben ist aber ein Wohlstandsund Bewußtseinsunterschied. Im Prinzip gibt es dazu ein ambivalentes Verhalten der Menschen in unserer Region. Eine entscheidende Rolle spielt die Sicherung der Grenze, die Ungarn haben das gleiche Interesse, weil sich hier eine ganz neue Art der Kriminalität manifestiert; nicht daß diese hier entsteht, sondern hier wird sie manifest, bei Kontrollen. Das führt zu Besorgnissen. Es gibt Menschenhandel in brutalster Form, Drogenhandel - bis hin zu Nuklearschmuggel. Vielleicht hat's das vorher auch schon gegeben, aber nicht in dieser Intensität. Und je mehr wir jetzt Schengen erfüllen, umso deutlicher wird es. Das ist die eine Seite. Die andere: Dafür gibt es gute Beispiele, nicht nur den Industriepark Szent Gotthard/Heiligenkreuz, sondern auch Ödenburg. Für Ödenburg wird immer deutlicher, daß die großen Handelswege von Budapest über Tatabänya und Györ nach Wien gehen. Györ liegt an zwei großen Flüssen, Donau und Raab, strategisch hervorragend. Ödenburg orientiert sich daher immer mehr nach Österreich und will mit uns vernetzt werden. Mit Hilfe Österreichs hat die private Raaber-Bahn in Ödenburg einen Güterterminal mit der Logistik der rollenden Landstraße errichtet, das funktioniert auch zu unserem Vorteil bestens, weil wir die schweren, technisch zum Teil nicht gut ausgestatteten Brummer von der Straße wegbekommen. Mit Unterstützung Österreichs hat Ödenburg sein Krankenhaus modern ausgebaut. In Eisenstadt haben wir eine moderne Unfallchirurgie, eine Herzkathetermeßstation, sehr bald.werden wir auch die sozialversicherungsrechtlichen Fragen für Ungarn lösen können, damit es dann zu einem Austausch kommen kann. Ödenburg wird sich bald die Frage der ausreichenden Energieversorgung stellen müssen. Ich weiß nicht, ob die nicht bald sagen werden, es wäre gescheit, sich ans burgenländische Erdgasnetz anzuschließen, das jetzt in Siegendorf und in Deutschkreutz steht. Ödenburg wird eine ungarische Stadt bleiben, auch die EU-Grenze wird eine Grenze im rechtlichen Sinne sein, nicht aber im Empfinden der Menschen. Ich bin überzeugt, daß Ödenburg das erste Beispiel sein wird, daß es immer mehr Verflechtung geben wird. Die verstopften historischen Adern werden wieder vitalisiert. d1efurche:politisch tut sich viel im Burgenland. Die Hinwendung vieler Jugendlicher zu den Freiheitlichen ist offenkundig. Gibt es hier einen politischen Mentalitätswandel? stix: Unbestritten gibt es nationale Bevölkerungsschichten, die tendieren aber nicht zwangsläufig zu den Freiheitlichen. Das Problem ist, daß bei uns zwei Parteien eine Regierung bilden und daher 80 Prozent der Abgeordneten für die Regierung sind. Das ist nicht typisch für die reifen europäischen Demokratien. Aufgrund ihrer breiten Struktur hat die Regierung mit ihrer rückgebildeten Sensibilität übersehen, daß es nicht mehr den Bürger der 50er und 60er Jahre gibt, sondern den aufgeschlossenen, über die Medien informierten Bürger. In dieses neue Spannungsfeld fährt Jörg Haider ganz klar hinein, und ungeheuer populistisch nutzt er diese Stimmungslage aus, daß da auch eine junge Generation heranwächst, die in dieser gesamten Veränderung auch verlieren könnte; zwar auf gutem und hohem Niveau, aber doch Verlierer im Sinne von geringeren Zuwachsraten. Dazu kommt noch eine Gruppe, die aufgrund ihrer mangelnden Qualifikation Angst um ihren Arbeitsplatz hat - vor allem, wenn Leute über die Grenze kommen. Alle die spricht Haider ganz bewußt seit einem Jahrzehnt an. Nicht daß man Haider als Bundeskanzler haben möchte, aber nachdem die Politik nahezu jeden Lebensbereich des Bürgers tangiert, sagt dieser, „denen” muß eine kräftige Opposition auf die Finger schauen; das heißt also: keine Ablöse, aber eine starke Kontrolle. Gerade im jüngsten Landtagswahlkampf habe ich sehr stark erlebt, wie sehr das Argument, Stix darf nicht wie Kery die absolute Macht haben -gewirkt hat. Alles das sind Veränderungen, bei denen Haider eine Rolle spielt. Mich stören sein Populismus und sein Rechtsaußen, aber an sich übt er eine wichtige Funktion in der modernen Demokratie aus, er ist Opposition.

DIEFURCHE: Zukunfisangst ist ein Stichwort, das Sie jetzt selbst genannt haben Bei aller Aiifbruchsstimmung im Burgenland — die Menschen werden sich im Arbeitsprozeß enorm umzustellen haben

STIX: Wir sind herausgefordert, aus dem eher geschützten, beschirmten Bewußtsein, alles ist Sicherheit, alles ist Bewahrung, heraustreten zu müssen, wenn wir nicht zu den Verlierern gehören wollen. Wir machen ungeheure Veränderungen durch, die regelmäßige, eingeteilte Arbeitszeit wird es in der Form nicht mehr geben

- mit all den Problemen für die Familie. Ich glaube, da ist auch die Sozialdemokratie gefordert, Sozialpolitik neu zu definieren, nicht mehr nur ein bißchen mehr Arbeitslosengeld, ein bißchen mehr Lohn da und dort. Sozialtherapeuten werden von Anfang an dabei sein müssen, wie sich Telekommunikation physisch und psychisch auswirkt. Ganz neue Berufe werden entstehen. Da liegen Herausforderungen und Chancen. Eine Chance ist beispielsweise auch ein neues Verkehrsleitsystem. Warum sind die

Öffentlichen denn so unattraktiv? Weil sie nicht selten dann fahren, wenn man sie nicht braucht. Wir brauchen Fahrzeiten in kleineren Einheiten mit größerer Flexibilität. Wir haben dazu ein Modell entwickelt. Weppersdorf wird der Mittelpunkt sein, wo dieses Verkehrsleitsystem entstehen soll. Dem steht noch die alte österreichische Gewerbeordnung entgegen, wo ein Autobusunternehmer eine Konzession für eine bestimmte Linie hat. Also das werden wir bald ändern müssen, ob es uns paßt oder nicht. Veränderung muß ja nicht zwangsläufig Bedrohung heißen, sondern kann auch Chance sein, wenn man's will.

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