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Wirtschaft in Oberösterreich

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Oberösterreich war noch bis zum zweiten Weltkrieg überwiegend ein Land der Bauern und Handwerker und kleiner industrieller Betriebe. Durch die Schaffung und den Ausbau von Großindustriebetrieben kurz vor und während des zweiten Weltkrieges in Linz, Hanshofen, Lenzing und Steyr sowie durch die industriellen Neugründungen nach 1945 wurde die gesamte Wirtsdhaftsstruktur Oberösterreichs dynamisiert; dieser Vorgang vollzog sich auf einem verhältnismäßig kleinen Raum mit allen positiven und negativen Auswirkungen der Industrialisierung. Der Wirtschaftsaufschwung im Lande Oberösterreich ist getragen von einer aufbauwilliigen Bevölkerung, er wurde durch eine zielstrebige innere Wirtschaftspolitik und internationale Hilfen unterstützt.

Das oberösterreichische Wirtschaftswachstum seit dem Ende des Krieges ist verknüpft mit umfassenden regionalen und branchenmäßigen Verlagerungen in der gesamten Wirtschaft des Landes und einer gewaltigen Umschichtung der Arbeitskräfte.

Die nachstehenden Zahlen zeigen die Verlagerungen zwischen den Wirtschaftszweigen in Oberöstenreieh.

Wie überall, wo sich eine Agrargesellschaft zur Industriegesellschaft entwickelt, kommen die Arbeitskräfte für die neuen industriellen, gewerblichen und Dienstleistungsbetriebe ganz überwiegend aus der Landwirtschaft. Von 1951 bis 1961 hat die Land- und Forstwirtschaft in Österreich an die anderen Wirtschaftszweige insgesamt 410.000 Arbeitskräfte abgegeben. In Oberösterreich ist die Zahl der farm lieneigenen Arbeitskräfte in der Landwirtschaft von rund 197.000 im Jahre 1951 auf 114.000 im Jahre 1960 und die Zahl der Fremciarbeitsfcräfte in der gleichen Zeit von 51.300 auf 19.600 gesunken.

Dieser Vorgang ist nicht nur eine „stille Revolution“, die bezeugt, wie sehr mobil und anpassungsbereit unsere landwirtschaftliche Bevölkerung ist, sie bedeutet auch eine große wirtschaftliche und soziale Leistung. In Oberösterreich verzeichneten alle wirtschaftlichen Zentren Wanderungsgewinne. Da die meisten Zuwanderer im erwerbsfähigen Alter standen, wurde durch die Zuwanderung aus der Landwirtschaft der relative Anteil der Berufstätigen in den Einwanderungsorten stärker erhöht als der Bevölkerungsanteid; so stieg voh 1951 bis 1961 in Linz-Stadt die Gesamtbevölkerung durch Zuwanderung um 6 Prozent, die erwerbstätige Bevölkerung aber um 13 Prozent.

Zur beruflichen Umgüederung im Zuge der Industrialisierung eines Landes kommt als typische Erscheinung das zunehmende Pendlerwesen. 1955 wurden in Oberösterreich 83.500 Pendler registriert, 1961 waren es bereits 122.000. Im allgemeinen wird aus einem Gebiet um so stärker ausgependelt, je näher es einem wirtschaftlichen Zentrum liegt. Von der Gesamtzahl der Pendler sind rund 72 Prozent Tagespendler und 28 Prozent Wochenpendler. In 80 Prozent aller oberösterreichischen Gemeinden pendelt mehr als die Hälfte der unselbständigen Erwerbstätigen. Das Pendlerwesen hängt zusammen mit der wirtschaftlichen Konzentration. 1934 gab es in Oberösterreich 309 Mittel- und Großbetriebe in Industrie, Gewerbe und Bergbau mit durchschnittlich 94 Beschäftigten je Betrieb 1952 waren es schon 991 Mittel- und Großbetriebe mit durchschnittlich je 115 Beschäftigten. Im Jahre 1962 gehörten zu 1647 industriellen beziehungsweise gewerblichen Betrieben mit weniger als 100 Dienstnehmern insgesamt 26.845 Arbeitskräfte, wäh-

rend die zehn größten Betriebe Oberösterreichs mit je über 1000 Dienstnehmern 46.182 Beschäftigte zählten.

Da die sich selbst überlassene Wirtschaft keineswegs, wie der Wdrtschaftslibaralismus angenommen hatte, automatisch zum wirtschaftlichen Ausgleich und zur sozialen Harmonie führt, bedarf es einer überlegten und vorausschauenden Wirtschaftspolitik; um das Wirtschaftsgeschehen zu steuern; besonders in einer Zeit starker wirtschaftlicher Veränderungen hätte ein wesentlicher Teil der Wirtschaftspolitik bewußte Strukturpoldtik zu sein.

Wo sich eine Agrargesellschaft zur Industriegesellschaft entwickelt, ist die Abwanderung aus der Landwirtschaft notwendig, aber sie sollte nicht wie eine Sturzflut in den sozialen Raum einbreehen, sondern gelenkt und sorgfältig vorbereitet werden. Wenn die „Landflucht“ ganze Landstriche auslaugt, ent- siedelt und zu Notstandsgebieten macht, treffen diie Folgen schließlich auch die Gesamtheit. Auch das Pendeln ist im Industriestaat in einem gewissen Umfang unvermeidlich und soweit es sich um Nahpendeln handelt, kaum bedenklich; anders verhält es sich mit dem Fempendeln, das jedenfalls problematisch ist und sicherlich muß das gegenwärtige Ausmaß des Pendlerwesens als ein Ausdruck für die Unausgeglichenheit des Arbeitsmarktes gelten.

Jeder strukturpolitischen Maßnahme muß eine Analyse der Grundlagen der Wirtschaft sowie der Gründe vorangehen, die den Strukturwandel bestimmen. Die Grundlagen des Aufbaues und der Entwicklung der Wirtschaft sind einmal die natürlichen Voraussetzungen, sodann der Mensch, die Bevölkerung und schließlich die überkommene geschichtliche Struktur der Wirtschaft.

Oberösterreich umfaßt drei verschiedene Großlandschaften, die sich in der Wirtschaft entscheidend ausgeprägt haben. Im Norden liegt das Mühlviertel, ein Granithochland mit rauhem Klima; von Natur aus ein Waldland, dem der Boden für einige widerstandsfähige Ackerfrüchte wie Hafer, Roggen und Kartoffeln abgenmgen werden mußte; es ist dünn besiedelt, neben meist kleinen Orten konnten sich nur in den klimatisch milderen Senken der Mühl und der Aist einige größere Ansiedlungen wie Freistadt und Rohrbach entwickeln. Das Alpenvorland Oberösterreichs ist eine vielfältige, durch Gletscher und deren Ablagerungen geformte Landschaft mit mildem, niederschlagsreichem Klima und zum Teil sehr fruchtbaren Böden, die einen ertragreichen Ackerbau ermöglichen. Auf den ebenen, wasserdurchlässigen Schottarablagerungsflächen konnten sich große Siedlungen und Industrien entfalten. Das Alpenvorland ist außerordentlich „verkehrsdurchlässig“, also verkehrsgünstig gestaltet. Mit dem Städtevdereck Linz, Wels, Steyr und Enns bildet es den industriellen Kemraum Oberösterreichs.

Die Zone des oberösterreichischen Alpenraumes ist ein Hochgebdrgsland, das im Dachstein seine höchste Erhebung hat; es ist waldreich, verkehrsungünstig und dünn besiedelt. Neben der Forst- und Viehwirtschaft ist in diesem Landesteil nur noch der Fremdenverkehr von Gewicht.

Während flächenmäßig das Mühlviertel und das Alpenland zusammen größer sind als das Alpenvorland, ist dessen Wohnbevölkerung mehr als doppelt so groß als in den beiden anderen Großlandschaften; allein der industrielle Kernraum des Städtevierecks mit nur 9,6 Prozent der oberösterreichischen Gesamtfläche zählt mehr Menschen als Mühlviertel und Alpengebiet zusammen.

Ebenso wichtig wie die natürlichen Voraussetzungen ist für die Wirtschaft der „Arbeitsmarkt“, die Willigkeit, Fähigkeit und Ausbildung der Arbeitskräfte, die die Bevölkerung eines Landes stellt. Das Angebot an geeigneten Arbeitskräften bestimmt weitgehend die Standortgunst und insbesondere die industrielle Standortlage eines Gebietes. Willigkeit und Fähigkeit der vorhandenen Arbeitskräfte müssen durch eine umfassende grundlegende Ausbildung sowie durch An- lemung, Umschulung und Nachschulung ergänzt werden, um die berufliche Umschichtung bewältigen und die geänderten Arbeits- erfordernisse erfüllen zu können. Allgemein gilt, daß in der modernen Wirtschaft Bil- dungstavestitianen nicht minder wichtig sind als Kapitalsinvestitionen.

Im Rahmen der überlieferten wirtschaftlichen Struktur steht heute die Infrastruktur eines Gebietes im Vordergrund. Bei der gegenwärtigen Dynamik der wirtschaftlichen Entwicklung und des Arbedtsmarktes ist die Infrastruktur nicht bloß eine Gegebenheit, sondern — wie Dr. Gutmann, der kürzlich verstorbene Leiter des oberösterreichischen Arbeitsamtes, treffend bemerkte — eine Aufgabe!

Eine leistungsfähige Infrastruktur ist Voraussetzung für die erforderliche Mobilität der Arbeitskräfte und zunehmend auch der Betriebe, durch die die Pendler besonders in Gebieten starken Auspendelns am Beschäftigungsort seßhaft gemacht werden sollten. Von den 410.000 in den Jahren 1951 bis 1961

von den Agrarräumen in Österreich an die sekundäre und tertiäre Produktion abgegebenen Arbeitskräften konnte nur knapp die Hälfte Arbeitsplätze in einem durch Pendeln erreichbaren Standort finden; 220.000 mußten ihren ländlichen Wohnbezirk verlassen.

Aus gesamtpolitischen Gründein wäre zu prüfen, ob nicht mehr gewerbliche und industrielle Arbeitsplätze im ländlichen Raum, geschaffen werden könnten, als das bisher geschehen ist. So unvermeidlich und sinnvoll eine „dezentralisierte Konzentration“ in der industriegesellschaftlichen Entwicklung sein mag, so schädlich und ablehnend ist jede übermäßige Konzentration der Wirtschaft und einseitige Zusammenballung der Bevölkerung. Hier das richtige Maß zu finden und wirksam darauf hinzusteuern, das wäre die Aufgabe einer regionalen Wirtschaftspolitik und einer Raumordnung, die wir noch nicht einmal in Ansätzen haben. Regionale Wirtschaftspolitik, Landesplanung und Raumordnung hätten das Wirtschaftswachstum zu fördern und zugleich sozialpolitische und staatspolitische Gesichtspunkte zur Geltung zu bringen.

Zu einer regionalen Wirtschaftspolitik in diesem Sinne würde der Ausbau zentraler Orte als regionale Schwerpunkte, verbunden mit einer aktiven Arbeitsmarktpolitik ebenso gehören wie der Ausbau der Infrastruktur des flachen Landes und insbesondere die Schaffung ausreichender Bildungsmöglichkeiten. Zur Regionalpolitik gehört aber auch eine Einkommensverteilung, die die allzu großen Einkommensunterschiede zwischen den industriellen Zentren und den ländlichen Randgebieten milderte; in den meist agrarischen natürlichen und politischen Grenzzonen werden auch gleichartige wirtschaftliche Tätigkeiten erheblich schlechter entlohnt als in den begünstigten Zentren.

In einer entwickelten Gesellschaft sind übermäßige berufliche Disparitäten auf die Dauer ebenso wenig wirtschaftlich vorteilhaft und sozial zu verantworten wise regionale Disparitäten.

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