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Wohnwagen mit Eigenleben

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Großes Aufsehen auf Österreichs Campingplätzen erregte im heurigen Sommer ein neues Campingfahrzeug, das „Reisemobil“, wie es, ebenso treffend wie unschön, von der Herstellerfirma Eisner benannt wurde; vorläufig wurde erst ein Prototyp gebaut, der dem Publikum erstmals im März dieses Jahres anläßlich der Campingausstellung im Wiener Messepalast gezeigt wurde. Erst in der Saison 1968 will die Firma das Fahrzeug in größerem Rahmen auf den Markt bringen.

Der Konstruktion liegt eine einfache Idee zugrunde. Was stört einen Wohnwagenfahrer üblicherweise an seinem Gefährt? Doch wohl die Tatsache, daß so ein Anhänger eine etwas unhandliche Angelegenheit ist: Reversieren, Einparken, Uberholen und Ausweichmanöver auf engen Straßen werden zum Abenteuer, jede Seitenwindbö und jede schwache Steigung wird zum fahrtechnischen Problem. Bergstraßen werden manchmal nur mit dampfendem Kühler und rauchender Kupplung bezwungen. Viele Teile des Zugwagens werden extrem beansprucht und unterliegen vorzeitigem Verschleiß. Das alles entfällt, wenn man den Wohnwagen selbst motorisiert, ihn zu einem selbständigen Fahrzeug macht. Dies ist entweder durch die entsprechende Adaptierung eines Kombi, Kastenwagens oder Kleinbusses möglich (was den Nachteil räumlicher Beengtheit mit sich bringt und den Wohn- zum Schlafwagen degradiert), oder durch Kombination eines echten Wohnaufbaus mit einem Transporterchassis.

Letztere Möglichkeit hat nun Eisner in Zusammenarbeit mit dem Wiener Wohnanhängererzeuger Castek realisiert. Man nahm den Aufbau eines serienmäßigen Wohnanhängers aus dem Rekord-Knaus-Programm, versetzte die Radkästen etwas nach hinten und montierte das Ganze mit sechs Schrauben auf den Rahmen eines ebenso serienmäßigen Hano-mag-Transporters F 20. Der Vorteil dabei ist, daß der Wohnaufbau in kürzester Zeit mit Hilfe einer Winde gegen einen normalen Pritschenaufbau ausgetauscht werden kann: eine sehr attraktive Möglichkeit also für Besitzer eines Hanomag-Transporters, die das Fahrzeug sowohl bei voller Abschreibungsmöglichkeit zum Arbeitseinsatz im Betrieb verwenden können, als auch mit dem Wohnaufbau als Zusatz ein ideales Campingfahrzeug zur Verfügung haben. Der Wohnaufbau kommt dabei billiger als ein gleichwertiger Wohnanhänger, weil Fahrgestell und Kupplungsvorrichtungen wegfallen.

Zum Vergleich die Preise: Der Rekord-Anhänger „Austria I Luxus“ etwa kostet 45.000 Schilling. Das gleichwertige „Reisemobil“ (F 20 mit Benzinmotor) kostet 103.000 Schilling beziehungsweise mit Dieselmotor 115.000 Schilling, der F 20 (ohne Pritsche) 64.300 Schilling, so daß der Wohnaufbau auf 38.700 Schilling kommt. Der Campingfreund, der das „Reisemobil“ lediglich für Ferienzwecke verwenden will, muß allerdings dafür soviel auf den Tisch legen wie für einen üblichen Wohnanhänger und einen Wagen der oberen Mittelklasse zusammen; diese Tatsache dürfte einem Massenabsatz des Fahrzeuges wohl im Wege stehen.

Technisch eignen sich gerade die Hanomag-Transporter für die Verwendung als Untersatz von Wohnaufbauten. Es stehen Fahrzeuge mit Nutzlasten von einer bis 1,7 Tonnen zur Verfügung; in den meisten Fällen dürfte jedoch der F 20 für Campingzwecke genügen. An Motoren gibt es einen 1,8-Liter-Vierzylinder-Diesel, der bei 4000 U/min. 50 DIN-PS leistet, sowie einen 1,6-Liter-Vierzylinder von Austin (54 PS bei 4000 U/min). Falls das Fahrzeug lediglich für Campingzwecke angeschafft wird, ist unserer Erfahrung nach unbedingt der Benzinmotor vorzuziehen.

Wir hatten Gelegenheit, das „Reisemobil“ mit Dieselmotor zu erproben: besonders auf den ersten 100 Kilometern zermürbt der „Lastwagen-Sound“ im Fahrerhaus die Nerven des Fahrers. Mit der Zeit allerdings gewöhnt man sich daran. Da mit Wohnwagen kaum mehr' als einige tausend Kilometer pro Jahr zurückgelegt werden, fällt die Ersparnis an Treibstoffkosten nicht so sehr ins Gewicht. Bei den Hanbmag-Transportern ist der Motor unter dem ■„ beziehungsweise im Fahrerhaus untergebracht, sie besitzen durchweg Frontantrieb. Dadurch kann der Bodenabstand des Doppelstahlrohrrahmens gering gehalten und die Länge des Rahmens fast beliebig variiert werden. Die Höhe des „Reisemobils“ übertrifft daher kaum die des entsprechenden Anhängers, so daß die guten Fahreigenschaften des F 20 voll zur Geltung kommen und nicht etwa durch einen zu hoch liegenden Schwerpunkt des Aufbaus beeinträchtigt werden.

Man wird allzuleicht unbescheiden: die geringe Bodenfreiheit trägt zwar zur guten Straßenlage des Fahrzeuges bei — aber gerade bei diesem Fahrzeug kommt man in Versuchung, damit auch einmal querfeldein ins Gelände zu fahren und den Asphalt möglichst weit hinter sich zu lassen. Und dann bedauert man, nicht ein bißchen mehr Boden-

freiheit zur Verfügung zu haben, und vielleicht ein wenig größere Räder (serienmäßige Reifengröße: 6,70 — 13). Was man sich noch wünschen würde, wären eine stabile Stoßstange und Rückfahrscheinwerfer am Heck. Beides hatte das „Reisemobil“ nicht, genausowenig wie die üblichen Wohnanhänger,

schließlich fährt man > aber damit anders als mit einem Wohnwagengespann.

Das „Reisemobil“ hatte eine harte Probe zu bestehen. Wir droschen es stundenlang mit Vollgas über die Autobahn (Spitze etwa 95 km/h) und über die bei Wohnwagenfahrern berüchtigten österreichischen Alpenpässe und Bergstraßen; spielend wurden Steigungen bis zu 22 Prozent überwunden. Nur höchst selten mußte der erste Gang zu Hilfe genommen werden. Kein Wunder, wenn man bedenkt, daß das „Reisemobil“ eigentlich übermotorisiert ist: der F 20 besitzt eine Tragkraft von einer Tonne, während der Aufbau (Rekord Austria I Luxus) nur 360 kg wiegt. In fahrtechnischer Hinsicht trat nicht das geringste Problem auf. Nur einen Schnitzer leisteten sich die Hanomag-Techniker: die seitlichen Blinkerleuchten wurden (wegen der Breite des Aufbaus) auf Auslegern befestigt, deren Länge derart gut auf die Frequenz der Motorvibrationen abgestimmt war, daß die Lebensdauer der Lämpchen ungefähr 300 km betrug. Ein konstruktiver Fauxpas, der sich leicht beheben läßt.

Die Manövrierfähigkeit des Fahrzeuges ist hervorragend. Wer je die Straße von Mayrhofen zum „Ende der Welt“, nach Hintertux, bei starkem Gegenverkehr mit einem Wohnwagengespann gefahren ist (die Straße ist sehr schmal und kurvig, einbahnig mit Ausweichen), würde die Vorteile des „Reisemobils“ zu schätzen wissen. Der Fahrkomfort ist fast an Personenwagenmaßstäben zu messen (der F 20 besitzt Einzelradaufhängung, Teleskopstoßdämpfer und Torsionsstabfederung an allen Rädern), allerdings gilt dies nur für das Fahrerhaus. Die Federung hinten ist offenbar auf die volle Nutzlast von einer Tonne abgestimmt und daher zu hart. Da der Aufenthalt im Wohnraum des „Reisemobil“ während der Fahrt erlaubt ist — ein ganz wesentlicher Vorteil gegenüber den üblichen Wohnanhängern, besonders auf langen Strecken — sollte man auch darauf Rücksicht nehmen. Zugelassen ist das „Reisemobil“ für sechs Personen. Maut- und Campinggebühren sind daher um einiges niedriger als für ein Wohnwagengespann. Im Fahrerhaus finden während der Fahrt drei Personen Platz; während des Campingaufenthaltes kann es praktischerweise als geräumiger und versperrbarer Abstellraum benützt werden. Das „Reisemobil“ wird zwar als Wohnwagen für fünf Personen angeboten, bei der Ausführung mit dem Aufbau Austria I ist es jedoch nicht zu empfehlen, mit mehr als drei Personen zu rechnen. Manche Campingfreunde wird es interessieren, daß das „Reisemobil“ auch den Vorteil bietet, etwa einen Motorbootanhänger mitführen zu können.

Es hätte dem neuen Fahrzeug gut getan, wenn man doch nicht nur einfach einen Serien-

mäßigen Wohnwagenaufbau auf einen serienmäßigen F-20-Rahmen gesetzt hätte, sondern durch einige kleine konstruktive Änderungen, die fast nichts kosten, auf die besonderen Probleme und Möglichkeiten einer solchen Kombination Bedacht genommen hätte. Wie erwähnt, ist der Wohnaufbau auch während

der Fahrt „bewohnbar“. Tische und Polsterung sind verschiebbar; während sie in einem Wohnanhänger während der Fahrt verstaut und irgendwie verankert werden, weil sie ohnedies so nicht gebraucht werden, stört es im „Reisemobil“ einigermaßen, wenn die Einrichtung in jeder Kurve der Zentrifugalkraft folgt. Eine einfache Verriegelung würde Abhilfe schaffen. Weiters ist zwischen Fahrerhaus und Wohnraum eine Verständigung nur per Zeichensprache möglich. Auch das nur schlecht, denn unverständlicherweise ist kein serienmäßiger Innenrückspiegel vorgesehen.

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