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Als erster der außerhalb des Linienwalls liegenden Stadtteile wurde Favoriten im Jahre 1873 zum selbständigen 10. Wiener Gemeindebezirk erhoben. Wer den Bezirk durchwandert, wird einen älteren Ortskern mit seinen historischen Häusern und engen und krummen Gäßchen, verträumten Plätzen und stillen Gärtchen vergeblich suchen. Er wird ein Straßenbild sehen, wie es für moderne Großstädte charakteristisch ist: lange, breite und gerade Straßen, schachbrettförmig angeordnet, mit zahlreichen schmucklosen Wohnhäusern des 19. und 20. Jahrhunderts sowie vielen Fabrikanlagen. Denn Favoriten geht als einziger Wiener Bezirk nicht auf eine jahrhundertealte Siedlung, eine Vorstadt- oder Vorortegemeinde zurück. War doch noch vor hundert Jahren der Boden des Bezirkes mit Aeckern und Wiesen, Wäldern und einigen Weingärten bedeckt; nur die Züge der drei alten, stark frequentierten Nord-Süd-Straßen durchschnitten das Gebiet, in dem ländlicher Friede herrschte und ganz vereinzelt hölzerne Gehöfte zu finden waren. Einzig an den Südhängen des Wiener Berges wurden seit Jahrhunderten Ziegel gebrannt, und fast alle Häuser unserer Stadt sind aus Wienerberger Ziegeln gebaut.

So kam es auch, daß der zehnte Bezirk nicht — wie es bei den übrigen Wiener Bezirken der Fall ist — den Namen einer alten Ortschaft fortführt, um die sich der Großstadtbezirk entwickelte. Ja, der Name Favoriten leitet sich sogar von einem Gebäude her, das nicht einmal auf dem Boden des Bezirkes stand: in den Jahren 1615 bis 1620 ließ Kaiser Matthias auf den rebenbepflanzten Hügeln der Wieden ein Lustschloß erbauen, das den Namen „die neue Favorita“ erhielt. Doch schon sechs Dezennien später — während der zweiten Türkenbelagerung — mußte das Gebäude von den Verteidigern Wiens aus strategischen Gründen niedergebrannt werden. Vier Jahre später wurde die „Favorita“ von dem bekannten Barockarchitekten Burnacini neu erbaut; 1746 wurde das Palais Sitz der Ritterakademie, die unter dem Namen „Theresianum“ bekannt ist. Der Linienwall, der seit Beginn des 18. Jahrhunderts die Wiener Vorstädte umschloß, trug nun seit alters her in seinem der Favorita zunächst gelegenen Teil die Bezeichnung „Favoritenlinie“, und die alte Straße nach Oedenburg (auch Himberger Straße genannt), die den Linienwall an dieser Stelle in einem Tor durchschnitt, führte ebenfalls seit Erbauung der Favorita den Namen Favoriten-

straße. Das Gebiet außerhalb des Walles trug daher frühzeitig die Bezeichnung „Vor der Favoritenlinie“, und als in der zweiten Hälfte des vorigen Jahrhunderts auf diesen Gründen ausgedehnte Wohn- und Fabrikviertel entstanden, wurde der Name „Favoriten“ allgemein gebräuchlich.

Wenn Favoriten auch auf keine lange Geschichte als Siedlung zurückblicken kann, so ist doch einiges Interessante aus der Vergangenheit dieses

Gebietes zu berichten. Seit den ältesten Zeiten ging der starke Verkehr von Wien nach dem Süden über die Triester Straße; die Laxen-burger Straße wurde bereits im 14. Jahrhundert angelegt und auch die bereits erwähnte Favoritenstraße besteht schon seit vielen Jahrhunderten. Wenig bekannt ist, daß an den Hängen des Wiener und des Laaer Berges seit alter Zeit ausgedehnter Weinbau betrieben wurde, den man erst von der Mitte des 18. Jahrhunderts an aufgelassen hatte. Eines der ältesten Wahrzeichen Wiens, das Kreuz am Wiener Berg (bekannt unter dem Namen „Spinnerin am Kreuz“) wird bereits im 13. Jahrhundert urkundlich erwähnt. Während der ersten Türken-

belagerung befand sich das Lager des Großwesirs Ibrahim Pascha auf dem Laaer Berg, während der Ungarkönig Johann Zapolya sich auf dem Wiener Berg festgesetzt hatte. 1683 stand das Zelt Kara Mustaphas auf der Höhe des Wiener Berges bei der Spinnerin am Kreuz. In den dreißiger Jahren des vorigen Jahrhunderts war der Wiener Berg ein beliebtes Ausflugsziel der Wiener.

1840 wurde mit dem Bau der Südbahn be-

gönnen, der Zweitältesten Dampfeisenbahn Oesterreichs; an Stelle des heutigen Südbahnhofes befand sich damals der „Gloggnitzer Bahnhof“, der während der Kämpfe des Jahres 1848 in Flammen aufging. 1846 wurde die Raaber Bahn (heute Ostbahn) erbaut, 1857 folgte die Verbindungsbahn Südbahn—Hauptzollamt, in den nächstfolgenden Jahrzehnten die Donauländebahn und die Pottendorfer Bahn. Seither ist Favoriten von diesen Bahnlinien gleich einem eisernen Ring umschlossen.

Die Besiedlung des Gebietes setzte erst nach dem Sturmjahr 1848 ein. In diesem Jahr verzeichnen die Grundbücher erst fünf Häuser „vor der Favoritenlinie“! In den Jahren 1849 bis 1856

wurde auf einem riesigen Gelände das Arsenal erbaut, die damals größte Festungskaserne Europas. Nach 1850 setzte dann der Bau von billigen, zweckmäßigen Wohnhäusern in großem Stile ein. Besonders intensiv war die spekulative Bautätigkeit und die Gründung von Fabriken zwischen dem Kriege von 1866 und dem Börsenkrach von 1873. In diesem Jahre hatte der Stadtteil vor der Favoritenlinie, der in administrativer Hinsicht noch dem vierten Bezirk angehörte, bereits 386 Häuser mit über 25.000 Einwohnern.

Schon am Beginn des Jahres 1873 hatten Verhandlungen über die Schaffung eines selbständigen Bezirkes Favoriten begonnen. Nach Ueberwindung mannigfacher Widerstände gelang es am 18. Juli 1873 einen Beschluß des Wiener Gemeinderates zu erreichen, in dem der Errichtung eines selbständigen Bezirkes Favoriten im Prinzip zugestimmt wurde. Im folgenden Jahre wurden in Verhandlungen mit den Bezirksvertretungen des 3. und 5. Gemeindebezirkes die Grenzen des neuen Bezirkes festgelegt. Im Jahre 1898/99 erbaute die Stadt Wien den weithin sichtbaren mächtigen Wasserturm — nach der „Spinnerin am Kreuz“ nun das zweite Wahrzeichen von Favoriten. Die weitere stetige Aufwärtsentwicklung und Ausdehnung des Industriebezirkes wurde durch den ersten Weltkrieg und die nachfolgenden Krisenjahre unterbrochen. Eine Ende der zwanziger Jahre einsetzende Belebung der österreichischen Wirtschaft kam durch die bald hereinbrechende Weltwirtschaftskrise für einige Jahre zum Erliegen und wurde schließlich durch die politische Wendung des Jahres 1938 und den Beginn des zweiten Weltkrieges jäh beendet. Gegen Ende dieses großen Ringens erlitt Favoriten viele Schäden an Wohn-und Fabrikgebäuden, die durch Alliierten-Bombenangriffe verursacht wurden.

Heute zählt Favoriten — nach den Ergebnissen der Volkszählung 1951 — nur 111.000 Einwohner (gegenüber 162.000 im Jahre 1934). Interessant ist die Entwicklung der Bevölkerungsdichte in den letzten fünfzig Jahren. Im Jahre 1900 entfielen in Favoriten 59 Einwohner auf ein Hektar, 1910 71, 1934 gar 75 (Höchststand), im Jahre 1951 aber nur 52. Von den über 4300 Häusern des Bezirkes (1951) sind rund 200 vollständig zerstört, über 1400 beschädigt; rund 800 Häuser wurden seit Ende des zweiten Weltkrieges in Favoriten erbaut, gegenüber 1400 in der Zeit von 1919 bis 1944 und 1700 Häusern, die bis zum Jahre 1919 erbaut worden waren.

Zahlreiche große und bedeutende Industrien haben in diesem Bezirk seit dem vorigen Jahr-

hundert ihren Sitz oder sich in den letzten Jahrzehnten hier angesiedelt. An erster Stelle sind die Wienerberger Ziegelwerke zu nennen, die den Lößboden des Wiener Berges ausnützen und seit 1820 bedeutend ausgestaltet wurden. Die Werkt sind über zwei Kilometer lang und ein Kilometer breit. Aufzüge, Stahlmöbel und vor allem die weltberühmten Wertheimkassen stellt die über hundert Jahre alte Firma Wertheim-Werke AG. her. Die im Jahre 1891 gegründete Ankerbrotfabrik ist heute die größte Brotfabrik Europas. Auf dem Gebiet der Konfekterzeugung blickt die Firma Heller auf eine mehr als sechs Jahrzehnte umfassende Tradition zurück. . Wa die zukünftige Entwicklung und bauliche

Ausgestaltung von Favoriten betrifft, so sieht die Wiener Stadtplanung wie in allen übrigen Bezirken eine allmähliche Trennung von Wohngegenden und Industrievierteln bei gleichzeitiger Ostwärtsverschiebung der letzteren, Auflockerung der Verbauung durch Errichtung von Grünflächen an Stelle von kriegszerstörten oder durch Abbruch frei werdenden Gebäuden sowie die Regulierung und Modernisierung der Hauptverkehrsstraßen vor. Der Haupteingang des Bezirkes jenseits des Südbahnviaduktes, gegenüber dem Südtiroler Platz, soll später einmal durch einen die Favoritenstraße quer überspannenden mächtigen Hochhausblock mit Durchfahrtsöffnungen für den Verkehr in monumentaler Weise betont werden. Ein anderes Projekt plant die Verlängerung der Stadtbahn von der Station Gumpendorfer Straße über den Margaretengürtel mit Unterfahrung des Matzleinsdorfer Frachtenbahnhofes zum Meidlinger Südbahnhof, wobei eine spätere Weiterführung des Schnellbahnverkehrs über die Pottendorfer Linie oder gegen die Philadelphiabrücke zu leicht möglich

wäre. Der Wald-und-Wiesen-Gürtel Wiens soll durch Wiederaufforstung und teilweise gärtnerische Ausgestaltung des Südrandgebietes (Wiener und Laaer Berg) erweitert werden. In etwas weiterer Ferne dürfte die Verwirklichung des Wiener Untergrundbahnprojektes, das auch eine Linie von Hernais über Schottentor—Messepalast—Wieden nach Favoriten vorsieht, sowie die Gründung einer Tochterstadt im Raum zwischen Inzersdorf und Vösendorf liegen. Auch eine neue Trassenführung der einmal auszubauenden österreichischen Autobahnen im Süden der Stadt wird vorgeschlagen.

So blickt Favoriten zwar nur auf eine Geschichte von hundert Jahren zurück, davon achtzig als Wiener Gemeindebezirk, steht aber noch lange nicht am Endpunkt seiner Entwicklung. Weisen doch das Tempo des Wiederaufbaues, die durch die zahlreichen Kriegsschäden und die großen unverbauten Flächen noch bestehenden großen Entwicklungsmöglichkeiten zusammen mit der geschilderten Raumplanung richtunggebend in die Zukunft.

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