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Zum Geleit

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Wer nur flüchtig mit dem sonnigen, schaffensfrohen Land vor dem Arlberg in Berührung kommt, der ahnt nicht, welch gewaltige Umschichtung sich derzeit in diesem Lande vollzieht: Die ständige Ausweitung der Industrie mit ihrem guten Geschäftsgang, die damit verbundene starke Zuwanderung arbeitender Menschen aus den anderen Bun- desländern, das Anwachsen des Fremdenverkehrs — alle diese Gegebenheiten verändern nicht nur das Antlitz der Landschaft, sie stellen auch die Seelsorge vor neue Aufgaben, denen sie trotz fühlbaren Priestermangels gerecht werden soli.

Es ist ein gutes Zeichen für die religiöse Aufgeschlossenheit der Bevölkerung, daß seit Kriegsende in Vorarlberg neun große Kirchenbauten vollendet werden konnten, unter tatkräftiger Förderung durch die bischöfliche Finanzkammer und die Vorarlberger Landesregierung; drei weitere Kichenbauten sind der Vollendung nahe (Attach, Dornbirn-Rohrbach und Gantschier) und für drei weitere Bauten sind die Planungen abgeschlossen (Bregenz-St. Kolumban, Hatlerdorf-Bruder Klaus und Levis). Dazu kommen fünf Kirchenerweiterungeu und zehn Kapellenbauten, eine ganze Reihe von neuen Pfarrheimen und Kirchenrestaurierungen, die zum Teil mit großem Aufwand durchgeführt wurden, darunter auch die Pfarrkirche St. Nikolaus in Feldkirch, die zugleich Bischofskirche ist. Nach Entfernung des häßlichen Ölanstriches, mit dem sie im vorigen Jahrhundert ohne jedes künstlerische Empfinden verunstaltet worden war, kommt sie heute wieder in der erhabenen Schönheit ihrer gotischen Architektur voll zur Geltung.

Diesem äußeren Aufbau entspricht ein innerer Ausbau im Sinne der Richtlinien, wie sie der hochwüdigste Bischof Paulus Rusch in seiner Schrift „Kirche im Gebirge und anderswo” gegeben hat, um eine zeitgemäße Seelsorge unter Mitwirkung aktiver und entsprechend geschulter Laien aller Stände zu ermöglichen. Gewiß hemmt die sinkende Priesterzahl manches Beginnen, aber man soll nicht sagen können, daß die Kirche in Vorarlberg die Chancen, die ihr Der österreichischen Devisenbilanz bringt der Vorarlberger Fremdenverkehr rund 500 bis 600 Millionen Schilling im Jahr ein, wobei nur die übernachtenden Fremden rechnerisch erfaßt werden können. Dazu kommt in Vorarlberg die sehr starke Einreise von Deutschen und Schweizern am Samstag und Sonntag, welche in unseren Gaststätten und bei den Verkehrsunternehmungen stark ins Gewicht fällt, statistisch aber überhaupt nicht zu erfassen ist. Der Vergleich mit den Exportwerten der Vorarlberger Industrie, die rund eine Milliarde Schilling im Jahr erreichen, stellt die Bedeutung Vorarlbergs im österreichischen Fremdenverkehr deutlich unter Beweis.

So wie die Vermehrung der Bevölkerungszahl durch Geburteiyeichtum und Zuwanderung stellt uns auch die wachsende Bedeutung Vorarlbergs als Fremdenverkehrsland vor langfristige Probleme. Ich erwähne nur den Bau des zweiten Bahngeleises, das erst auf dem kurzen, aber überaus stark belasteten Stück zwischen Bregenz und Lauterach verwirklicht ist, die Autobahn, die im Vorarlberger Rheintal schon deshalb geschaffen werden muß, weil die Schweizer mit ihrer Autobahn bereits die österreichische Grenze erreichen und die Deutschen in den nächsten Jahren bis zu unserer Grenze vorstoßen werden, und die Hochrheinschiffahrt, deren Durchführung in erster Linie von Deutschland und der Schweiz abhängt. Es wäre also ganz verfehlt, den Fremdenverkehr als einen mühelosen Verdienst zu betrachten, bei dem sozusagen die Schönheit der Landschaft verkauft wird, er stellt Unternehmer und Angestellte, aber auch die Landesverwaltung vor schwere Probleme und sehr kostspielige Anlagen.

Über Industrie und Verkehrswesen dürfen wir auf keinen Fall den Berufsstand vergessen, der die Grundlage jedes sozialen Aufbaues darstellt, die Landwirtschaft. Bei der geographischen Struktur Vorarlbergs kommen auf dem landwirtschaftlichen Arbeitsgebiet fast ausschließlich die Vieh- und die Holzwirtschaft in Betracht. Die Vorarlberger Milchwirtschaft steht natürlich vor dem Produktiofts- und Absatzproblem, die gegenwärtig der gesamten österreichischen Milchwirtschaft viele Sorgen bereiten. Ich möchte hier nur auf eine Vorarlberger Besonderheit hinweisen. Zum Unterschied von den anderen Bundesländern besteht bei uns freie Teilbarkeit des bäuerlichen Erbes. So besitzen wir viele landwirtschaftliche Betriebe von so geringem Umfang, daß die Familie einen kleinen oder größeren Teil ihres Einkommens aus einer Bestätigung in der Industrie bezieht. Wir haben diesen Zustand, der Brücken zwischen Bauerntum und Industrie schlägt und daher politisch entspannend wirkt, begrüßt. In einer Zeit der industriellen Höchstkonjunktur besteht natürlich die Gefahr, daß das Interesse an der Tierhaltung nachläßt und lieber eine Steigerung des industriellen Verdienstes gesucht wird.

Die jüngste Viehzählung hat allerdings ergeben, daß die Zahl der Rinder und Schweine in Vorarlberg in fortgesetztem Steigen begriff fen ist, ebenso die Zahl des Geflügels und der Bienenvölker; der Rückgang in der Pferde-, Schaf- und Ziegenhaltung ist keine Vorarlberger Besonderheit. Vor allem ist wichtig, daß wir bei Rindern und Schweinen kaum erwartete Zahlen mit 65.000 beziehugnsweise 35.309 zum Stichtag vom 3 Dezember 1960 aufweisen können, obwohl die Zahl der Tierhalter aus Gründen der allgemeinen wirtschaftlichen Entwicklung stark zurückgegangen ist. Es ist also in der Landwirtschaft ein Zug zur Konzentration zu beobachten, der jedeirfalls gesund ist. Bei der starken Verwurzelung des Vorarlbergers in seinen Boden ifet nicht zu befürchten, daß der Aufstieg von Industrie und Fremdenverkehr zu einem Verdorren der Landwirtschaft führe.

In den Wäldern Vorarlbergs betrug der Gesamtjahreseinschlag im Jahre 1960 215.048 Festmeter und hielt sich damit ziemlich genau auf der Höhe der Zuwachsrate. Es haben also trotz Hochkonjunktur und guter Preise keine Überschlägerungen stattgefunden. Auch hier ist bewiesen, daß der Vorarlberger Grundbesitzer der Versuchung hoher, jedoch mit Substanzverlust bezahlter Gewinne nicht erlegen ist.

So bietet Vorarlberg zur Jahresmitte 1961 das Bild einer blühenden Wirtschaft, die aber die Anspannung aller Kräfte, sowohl in der Privatwirtschaft wie in der öffentlichen Verwaltung erfordert.

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