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Zum Wiederaufbau ländlicher Siedlungen

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Ein bedeutender Fachmann auf den weiten Gebieten modernen Städtebaus, der Schweizer Professor Hans H o f m a n n, hat in dieser Zeitschrift („Furche“ Nr. 51) wertvolle Gedanken für die Neugestaltung größerer und mittlerer Städte geäußert und dabei neue städtebauliche Wege aufgezeigt, die seinerzeit der österreichische Architekt Camillo Sitte als erster beschritten hatte. Es soll nun versucht werden, auch über den Wiederaufbau kleinerer ländlicher Siedlungen einiges zu sagen, wobei besonders das Land • Niederösterreich berücksichtigt wird, dag wohl die schwersten Verluste unter allen österreichischen Bundesländern nebst Wien auch in baulicher Beziehung erlitten hat.

Die beste Einstellung zu diesen Problemen gewinnen wir wohl aus der Geschichte des Bauens und Werdens ländlicher Siedlungen. Verfolgen wir ihre Entwicklung zurück, so steht am Beginn das Bauernhaus, das zutiefst mit dem Boden, dem Lebensraum und dem Landbewohner verbunden, eine wirtschaftliche Einheit darstellt, ob es sich, nach einzelnen Landschaften verschieden, um den Typus des Einheitshofes oder um die an den Burgenbau anknüpfenden Drei- und Vierseithöfe, ob es sich um giebel- oder traufseitig zur Straße gestellte oder um andere Hauisbautypen handelt.

Alle diese verschiedenen Arten ländlicher Behausungen fanden Eingang in die geschlossenen Siedlungen und Städte, mögen diese^ aus ..wilder Wurzel“ oder aus dem Dreiecks-anger sich entwickelt haben oder aber nach einem festen Plane gegründet worden sein. Lange blieb, wie bei kleineren Städten heute noch, die Verbindung mit dem umgebenden Lande und die Abhängigkeit des Stadthauses und der „Ackerbürger“ von der Landwirtschaft lebendig, nur daß die zunehmende Bevölkerungszahl in den mauerumgürteten Städten zur Vermehrung der Geschosse und Engerstellung der Häuser führte.

Diese Bodenverbundenheit blieb sogar über das Mittelalter hinaus in der von Süden her vordringenden Renaissance des 16. Jahrhunderts erhalten. Denn auch anscheinend neue Bauelemente, wie beispielsweise die Laubengänge und Erker der Renaissance, waren ja im Keime schon bei gotischen Bauten vorgebildet, nur daß die Waagrechte in steigendem Maße sogar durch vorgeblendete Schauwände betont wurde und der darauffolgende Barock des 17. und

18. Jahrhunderts die Baublöcke zu immer größeren Einheiten zusammenband. Ja sogar der Klassizismus um die Wende des 18. zum

19. Jahrhundert veränderte auf dem Lande die Grundhaltung des Bürgerbaues nur im Sinne größerer Vereinfachung und einer gewissen, im Biedermeier noch gesteigerten Behäbigkeit, wobei allerdings bereits im rückläufigen Sinne eine Beeinflussung des Landes von der Großstadt her einsetzte, die dann mit dem zunehmenden Rationalismus und der Industrialisierung um die Mitte des 19. Jahrhunderts das Ortsbild und die ländli le Stadtsiedlung in verderblicher Weise veränderte. Wieviel schöne Plätze

und Straßenzüge, ja ganze Stadtbilder wurden doch in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts durch das Eindringen von Bauformen städtischer, besonders Wiener Großbauten und Zinshäuser bei Erstellung von Rathäusern, Sparkassen, Schulen und protzigen Bürgerhäusern vernichtet, wie schädlich wirkte sich die städtische Villa dieser Zeit mit ihren Türmchen, Baikonen und kleinlichem Zierkram gegenüber den alten heimatverwachsenen ländlidien Bauten der früheren Zeiten aus, wobei besonders die mißverstandene Nachbildung gotischer oder anderer Stilformen höchste Geschmacklosigkeiten hervorbrachte.

Die Nutzanwendung dieser baugeschichtlichen Erkenntnisse bei der Wiederherstellung oder dem Neubau zerstörter Einzelbauten und Städte liegt auf der Hand. Nicht schwächliche Nachahmung alter. Formen oder sklavisches Festhalten am Uberlieferten trotz neuen Bedürfnissen des wachsenden Verkehrs oder moderner Wohnkultur, am wenigsten aber gedankenlose Übertragung großstädtischer Bauformen auf das Land, können hier helfen, sondern schöpferisches Neugestalten, welches die Kräfte bodenständiger Beharrung mit den Erfordernissen der Gegenwart in harmonischer Weise verbindet. Wie vielen senonen Landstädten hat doch beispielsweise die Nachahmung der Wiener .Ringstraße mit der hier notwendig gewordenen Niederlegung der Festungswälle die alten Stadtmauern und -tore gekostet, während es vorteilhafter gewesen wäre, wie dies bei italienischen Kleinstädten oft in mustergültiger Weise geschah, die neuzeitlichen Verkehrsstraßen unter Schonung der alten Wehrbauten anzulegen.

Verfallen wir auch beim Wiederaufbau nicht in die schlimmen Fehler eines verflossenen Denkmalschutzes, der die alten Bauten nach ihrem kunsthistorischen Werte klassifizierte und nur die stilistisch bedeutenden als erhaltungswert bezeichnete, während die übrigen Häuser für meist spekulative Neubauten freigegeben wurden, so daß oft ein einziges schlecht proportioniertes, in den Gesamtcharakter eines Platzes sich nicht einfügendes Haus die ganze Platzwirkung schmälern oder zerstören konnte. Reißen wir auch nicht dort, wo der Verkehr es nicht unbedingt erfordert, Löcher in die Geschlossenheit eines Platzes oder einer Häuserzeile durch neue Straßen, und denken wir daran, daß hier Uberbrückung vos Fahrwegen durch Stockwerke oft eine bau-lidie Geschlossenheit schafft, wie dies in vorbildlicher Weise schon im 16. Jahrhundert bei dem Verderber-Haus in Retz geschah.

Was von der Gesamtwirkung der Straßen und Plätze sowie der Einfügung eines Orta-bildes in die Landschaft gilt, gilt auch von einzelnen Bauten. Hier sind kunstgeschichtlich oder auch nur in Verbindung mit anderen Häusern hochwertige Baulichkeiten im Falle kriegerischer Zerstörung soweit als irgend möglich in früherem Zustand wiederherzustellen, womit natürlich nicht gesagt sein soll, daß man im Innern solcher Häuser und Höfe nicht modernen Wohnbedürf-

nissen Rechnung tragen soll. Wurden aber Häuser zerstört, die in kunstarmer und eigennütziger Zeit erbaut, sich einem schönen Gesamtbilde nicht einfügten, so muß man das als einen Glücksfall im Unglück betrachten und beim Wiederaufbau solche Fehler vermeiden.

Was für geschlossene Siedlungen gilt, gilt auch für das Haufendorf, die Rotte und das einzeln stehende Bauernhaus. Immer soll beim W'ederaufbau die heimatverbundene Entwich' ;slinie, die ja erst in den letzten Generationen durch das Eindringen einer fremden, großstädtischen Bauübung unliebsam unterbrochen wurde, wiederaufgenommen werden, wobei besonders die Dach-gcstaltung und das Material von Dächern, die Formung von Fenstern und Toren — man denke an die behaglichen Torbogen alter Hofeingänge — und nicht zuletzt die Zäune und Einfriedungen zu beachten wären. Bei diesen hatte man sich leider von der heimischen Holzbauweise abgewendet und wenig schöne Drahtgitter städtischer Villen übernommen.

Dazu kommen die wichtigen Fragen des

Naturschutzes, besonders solche, die sich anf die Erhaltung wertvoller Baumbestände und der Pflanzung neuer beziehen, die verhindern sollen, daß eine alte Kulturlandschaft sich in eine „Kultursteppe“ verwandelt. Be-i sonders bei den während des Krieges in Industrieorten erbauten zahlreichen Siedlungshäusern wird geschickt verteilte Vegetation auf lange Zeit wohl das einzige Mittel bleiben, um diese von Geistesarmut und Lieblosigkeit zeugenden, nach gleichem, bodenfremdem Schema entworfenen Wohnstätten einigermaßen künstlerisch erträglich zu machen.

Bei der Wiederherstellung und Neuschaffung von Industrieanlagen, Kraftwerken mit Transformatorenstationen und anderen technischen Bauten, vor allem aber bei den in so großer Zahl zerstörten Brücken, ist besonders der aus Gedankengängen liberaler Zeit stammende Irrtum zu bekämpfen, daß der reine Zweckbau schon an und für sich schön und daß der Ingenieur daher von Haus aus ein Künstler sei. Wie schön wirkt in dieser Beziehung beispielsweise doch die vor einer barbarischen Gleichschaltung und Uniformierung erbaute große Innbrücke bei Schwaz in Tirol, bei der die Brückenbau-firma in gemeinsamer Arbeit mit einem führenden Architekten ein Bauwerk geschaffen, das sich in seinen schlichten und zweckmäßigen Formen harmonisch in die Berglandschaft einfügt.

Auch im Zeitalter der Industrialisierung müssen daher beim Wiederaufbau die Fehler der jüngsten Vergangenheit vermieden werden. Die ..Wüsteneien der Bahnhöfe und Fabriksanlagen“, von denen ja so viele zerstört wurden, die dumpfen Höfe der Zinskasernen, die armseligen Viertel der Arbeiterhäuser, die aufdringlichen Vorstadtvillen und häßlichen Stadtrandsiedlungen dürfen nicht wiedererstehen. Hier muß aus bodenverwachsener Tradition heraus ■ und im Geiste des mit dem Menschen untrennbar verbundenen Schönheitswollens Neues gestaltet werden.

Mit so gearteten Wiederherstellungs- und Neubauten dienen wir auch gleichzeitig am besten den praktischen Bedürfnissen eines gesunden Wohnens und Arbeitens eines großen Teiles unseres Volkes und dem ebenfalls notwendigen Fremden verkenn für den gute Straßen und moderne Unterkünfte zwar eine Voraussetzung sind, aber für sich allein keine Anziehungskraft auf den Erholung sowie Schönheit der Landschaft und Architektur suchenden Fremden ausüben.

Nützen wir daher diese aus traurigem Anlasse sich ergebenden einmaligen Gelegenheiten und Möglichkeiten zur Wiedergut-madiung begangener baulicher Fehler und zur Neugestaltung Österreichs, in dem. wie in kulturvolleren Zeiten, Natur und Kunst, Landschaft und Menschenwerk zu untrennbarer Schönheit sjeh vermählen mögen.

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