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Zur Ehre und Mahnung

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AUF EINEM DER SCHÖNSTEN PLÄTZE der steirischen Landeshauptstadt, an der Südostseite des Karmeliterplatzes, entsteht gegenwärtig das monumentale Ehren- und Mahnmal für die Toten der Weltkriege. Vor sieben Jahren hatte die Stadtgemeinde Graz einen Wettbewerb für ein Ehrenmal ausgeschrieben, an dem sich dreißig Architekten und Künstler beteiligt haben. Die Jury konnte sich für kein Projekt entscheiden, weil die Wahl des Platzes — die für ein Denkmal heute entscheidende Grundbedingung — verfehlt war und eine befriedigende Lösung nicht zuließ. Den zweiten Wettbewerb für den nunmehr idealen Platz an der Südostseite des Karmeliterplatzes — zunächst nur für Architekten ausgeschrieben — gewann Architekt Dipl.-Ing. F. Leitmeier, Graz. Im Jahre 1958 wurde sodann ein dritter Bewerb veranstaltet, der die künstlerische Gestalt der Leitmeier- schen Architektur betraf. Eine Jury, bestehend aus fünfundzwanzig Persön lichkeiten, Vertreter der Stadtgemeinde und der Landesregierung, des Bundesdenkmalamtes, der Architekten- und Künstlerschaft, des Vereins für Heimatschutz, der Kameradschaftsverbände, der Kirchen und anderer Körperschaften, entschied sich für den Entwurf des akademischen Bildhauers Professor Alexander Silveri, Graz. Drei weitere Jahre mußten vergehen, bis die finanzielle Grundlage zur Errichtung des wohl größten Mahnmals in Österreich gegeben war. Während dieser Zeit reifte der erste preisgekrönte Entwurf Silveris aus. Am 21. Juni 1961 lud die Stadtgemeinde Graz als Bauherr abermals einunddreißig Persönlichkeiten „zur Besichtigung“ des letzten, nunmehr endgültigen Modells von Professor Silveri ein. Wenige Tage darnach begann die Arbeit.

MAN HAT ES SICH ALSO nicht leicht gemacht. Und hat recht getan. Denkmäler haben ein langes Leben und sollen über den flüchtigen Augenblick eines Menschenalters hinaus bestehen können. Das Zeitlassen ist dem künstlerischen Ethos zugute gekommen. Professor Silveris Gestaltung des schwierigen Themas, das sich so leicht mit der Patina der Wohlgefälligkeit, der trägen Erinnerungsfähigkeit und dem idealisierenden Verklären umkleidet, stellt eine Aussage dar, die zeitlos gültig ist und in der Weltkunst bestehen kann. Als kündender Künstler geht er von der modernen Situation aus, stellt sich den Leiden und Fragen der modernen Welt und flüchtet nicht in eine ideale Welt, die außerhalb der Schrecken des Daseins, unseres Daseins, liegt. Er macht sich Augustins Wort zu eigen: „Das Schöne ist der Glanz des Wahren.“

GEGEBEN IST eine 12,5 Meter lange. 2,80 Meter hohe und 40 Zentimeter tiefe Wand, die aus zwölf Kalksandsteinblöcken des St Marga- rethner Steinbruchs — zwölf Kubik meter Stein im Gewicht von fiinfund- dreißig Tonnen — zusammengefügt ist. Diese Wand steht auf einem Betonsockel, so daß vom Fuß dieses bis zum oberen Rand der Wand sich eine Höhe von 3,60 Meter ergibt. Die Anlage fügt sich in die bestehende, nun aber eigens verstärkte Mauer zwischen Gendarmeriekommando und Grazer Druckerei harmonisch ein, ist weithin sichtbar und hat vor sich den weiten Platz und den begrünten Aufbau des Schloßbergs mit dem Uhrturm im Hintergrund. Vor der Wandtafel, auf ihrer rechten Seite, steht der Mensatisch, auf dem die einzige Schrift des ganzen Denkmals eingemeißelt steht: „DEN TOTEN ZUR EHRE, DEN LEBENDEN ZUR MAHNUNG." Die breite Wand wird nun eine epische, sinnbildhafte Darstellung in fünf Bildern aufnehmen. Der Bildhauer gestaltet, in Mulden eingebettet, fünf Hochreliefs, die sich von links nach rechts, wie eine Inschrift, lesen lassen. Die Darstellung verbleibt im Gegenständlichen, das freilich in jedem Fall zum Symbol wird Die Themen sind dem allgemeinen und dem eigenen Kriegserleben auf der Insel Kreta entnommen.

DAS ERSTE RELIEF stellt in der

Form eines Panzers, dem Züge eines dämonischen Wesens innewohnen, den Moloch Krieg dar, dessen Kettenräder den Nackten auf dem Boden zermalmen: das Lebendige. Daneben erhebt sich als zweites Relief die hoch- aufgerichtete Gestalt des Kriegers, in abwehrender Gebärde, dem unfaßbaren Mechanismus des Krieges ausgeliefert: der geschändete Mensch, die Hände zu Fäusten geballt. Die Mitte der Tafel nimmt das dritte Relief ein. Es zeigt die Ruinenlandschaft, die leblose, ausgehöhlte, sinnentleerte Welt, das Bild der totalen Vernichtung, das Werk des Mannes. Doch in der Trostlosigkeit dieser Landschaft bildet sich das Kreuz ab, das Aufbrechen des Heilenden. In der stark stilisierten Frau und dem Kind, dem vierten Relief, ist das Leben bewahrt und die Liebe. Die Mutter hält eine Ikone als Zeichen der verborgenen göttlichen Wirklichkeit in Händen. Während der Krieger, der Mensch des zweiten Reliefs, sich dem

Dämon Krieg zuwendet, ist die Mutter, der Mensch des vierten Reliefs, schon der fleischgewordenen Liebe, wie sie im krönenden fünften Relief dargestellt ist, zugewendet. Wie Maria auf der Schlange steht der fleischgewordene Logos, der sieghafte Gottmensch, umgeben von zwei Sonnen, dem Vater und dem Heiligen Geist, auf dem Stierkopf, dem Sinnbild des Opfers in der ambrosianischen Deutung, dem stierköpfigen Minotauros der griechisch-kretischen Sagenwelt, dem die ionische Jugend geopfert wurde, bis Theseus den Minotauros überwand. Das erste Bild, das Bild der Schuld, ist formal nach unten, der Welt des Dämonischen geöffnet: das letzte Bild, das Bild der Erlösung, ist nach oben, der Welt des Lichtes zu, offen. Um die Gestalt dieses letzten Sinnbildes, das stark apokalyptische Züge aufweist, hat der Bildhauer Silveri jahrelang gerungen. „Ich habe hunderte Entwürfe gemacht, sie immer wieder verworfen, bis immer reinere Formen vor mir standen. Es ging mir wohl wie Matisse, der von der Zeichnung eines Eichenblattes einmal sagte: Je mehr sich die Skizzen vermehren, desto wahrhaftigere Formen entstehen, so daß ich endlich, wie instinktiv, die Kurven zeichne, die für ein Eichenblatt das sind, was die Seele für den Körper ist: zugleich Form und Wesen.“

DAS NEUE GROSSE MAHNMAL der Stadt Graz ist ein Zeugnis neuer sakraler Kunst unserer Zeit. Die Überwindung des Übels durch die Liebe ist die mahnende, nicht überhörbare Aussage dieses Kriegerdenkmals. Es unter scheidet sich unverkennbar durch seine Wahrhaftigkeit in Inhalt und materialgerechter Formgebung von den zur Schablone gewordenen Riesenplastiken von Kriegern im Stil des „sozialistischen Realismus“ östlicher Prägung, aber auch von den noch allzu häufig im Westen anzutreffenden Kriegerdenkmalen, die der Glorie eines unwahren Heldenpathos huldigen, einem Ästhetizismus, der sich zur echten Kunst wie die Heuchelei zur Religion verhält. Es ist ein Werk des Bekenntnisses. Das Licht scheint in der Finsternis, scheint in das geschändete Dasein, das Licht der Erlösung durch die menschgewordene Liebe. Das Licht erhellt als einzige Flamme die Finsternis und die namenlose Traurigkeit der Zeit. Der Kunst kommt wieder heilige, heiligende Funktion zu, von der sie ausgegangen. „Selbst wenn die Kunst wie ein Schrei des Entsetzens hervorbricht, ist sie dennoch wenigstens der Beginn des Heiles. Das Bewußtsein der Wahrheit befreit“ (P. Pie Regamey).

IM HERBST DIESES JAHRES wird das Werk fertiggestellt sein. Mit Meister Silveri arbeiten gegenwärtig noch drei Bildhauer an der Ausführung des endgültigen Modells: sein Schüler Siegfried Croce, Fachlehrer an der Kunstgewerbeschule in Graz, der Bildhauer Othmar Klemencic und der junge Schweizer Bildhauer Sepp Inneichen aus dem Kanton Zug. Mit Schlegel, Spitz-, Breit- und Zahneisen schlagen sie Leben aus dem Stein, ein Brot, das uns Vergeßlichen und Satten der Wirtschaftswunderwelt not tut.

SO WIRD DAS GROSSE Ehren- und Mahnmal der Stadt Graz zur Stätte der Besinnung und erfüllt die wahrhafte Aufgabe eines Denk-Males für die Toten, von dem Friedrich Hölderlin sagt:

Wenn des Abends vorbei einer der Unseren kommt,

Wo der Bruder ihm sank,

Denket er manches wohl an der warnenden Stelle,

Schweigt und gehet gerüsteter.

Wer hier vorübergeht, den müßte gerade heute, da Politiker und Staatenlenker in Ost und West die Sprache der Stärke und der Gewalt wieder sprechen, die Mahnung erreichen, die hier laut wird. Er müßte mit Theodor Heuß, dem früheren deutschen Bundespräsidenten, sagen: „Die in den Gräbern ruhen, warten auf uns, auf uns alle. Sie wollen gar nicht, daß wir mit lauten Worten sie Helden nennen. Sorgt ihr, die ihr noch im Leben steht, daß Frieden bleibe, I Friede zwischen den Menschen, Friede zwischen den Völkern!“

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