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Zwischenlandung in Kuba

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MIT EINEM SCHLAG begreift man die außerordentliche Einsamkeit dieser großen karibischen Insel, wenn man weiß, daß inmitten des unentwirrbaren Knäuels transatlantischer Flüge die Hauptstadt von Kuba, Havanna, mit der übrigen Welt nur durch drei Flüge nach Europa (Moskau, Prag und Madrid) und einen Flug nach der Neuen Welt (Mexiko) verbunden ist.

Die kubanische Zivilluftfahrt ist für die „Ausrüstung“ des Landes kennzeichnend. Aus vier Turbinenflugzeugen vom Typ „Britannia“ — eines veralteten Modells — bestehend, ist es um sie so bestellt, daß sich, wie- böse Zungen behaupten, immer nur jeweils ein Flugzeug in flugfähigem Zustand befindet.

HAVANNA UNTERSCHEIDET SICH KAUM von den meisten großen Städten Zentral- oder Südamerikas. Auch hier findet sich das Viertel der Paläste, mit dem unvermeidlichen Hotel der Hilton-Kette, seinen 25 Etagen, seinen ultraschnellen Aufzügen, seinem mit exotischen Bäumen umgebenen Schwimmbad.

In diesem Luxusviertel Havannas gibt es auf den Straßen viele Automobile, alle „made in USA“, die vor zehn Jahren einmal prächtig aussahen; seitdem scheint ihr Zustand erheblich gelitten zu haben. Mit diesen Wagen ist es anscheinend wie mit den Flugzeugen: aus drei macht man zwei, dann eines aus zwei, schließlich eines aus drei, ohne sich dabei zu sehr um ästhetische Gesichtspunkte zu kümmern. Die einzigen modernen Fahrzeuge sind die Autobusse, die die britische Industrie kürzlich der kubanischen Regierung, sehr zum Zorn Onkel Sams, verkauft hat.

DAS ALTE HAVANNA ähnelt einer Stadt Südspaniens. Enge Straßen, Häuser mit farbigen Mauern, viele herumlaufende Kinder, die Baseball spielen (noch eine Folge des US-Einflusses). Die Geschäfte sind ärmlich. Beim Obsthändler findet man drei Haufen: einen mit Kohl, einen mit Bananen, den dritten mit Orangen. Beim Lebensmittelhändler einige Konservendosen und Flaschen mit öl. Weder in den Straßen noch in den Krankenhäusern trifft man auf Spuren ernster Unterernährung, aber es ist gewiß, daß die Ernährung einer Familie mit den Lebensmittelkarten, die noch für zahlreiche Lebensmittel existieren, die Hausfrauen vor schwere Probleme stellt. Dafür sind die Fremdenführer sehr stolz, dem Ausländer die seit der Revolution erbauten neuen Viertel zeigen zu können, wo in den im Stil des sozialen Wohnungsbaues errichteten Häusern die ehemaligen Bewohner der die Stadt umgebenden Elendsviertel wohnen. Die Miete beträgt für alle vom Staat untergebrachten Kubaner zehn Prozent des Einkommens des Familienoberhauptes.

Im Westen Havannas liegt das Villenviertel. Breite, mit Blumen und tropischen Bäumen geschmückte Avenuen, und zu beiden Seiten üppige, von Gärten umgebene Besitzungen, ausgedehnt über Strecken von mehreren Quadratkilometern. Und in diesem Viertel eine Bevölkerung, die ausschließlich aus Kindern und Jugendlichen besteht. Hier wohnte die „High-Society“ von Havanna, und nach der Ausdehnung dieses Gebietes zu urteilen war sie umfangreich. Nachdem die Revolution Castros sie vertrieben oder wenigstens zum Auswandern bewogen hat, sind alle diese üppigen Besitzungen Staatseigentum geworden und dienen gegenwärtig der Unterbringung der „Becados“, das heißt der Staatsstipendiaten. Dies sind die Kinder aus den Städten und vor allem vom Land, für deren Ausbildung, Unterkunft, Verköstigung und Kleidung der Staat aufkommt.

Hier, wie in den meisten sozialistischen Ländern, findet man den Vorrang, der den Problemen der Ausbildung eingeräumt wird, einmal weil diese der Schlüssel zur wirtschaftlichen Entwicklung ist, aber auch weil sie eine gewisse Kontrolle über die Jugend erleichtert, mit deren Hilfe man den Einfluß des Familienmilieus zu „korrigieren“ sucht.

IM „ZUCKERROHR“ ist man, sobald man die großen Städte verläßt. Zuckerrohrfelder, soweit der Blick reicht. In der Erntezeit sieht man auf den Feldern die „Macheteros“ bei der Arbeit.

Wie ihre Urahnen schneiden sie die Pflanzen eine nach der anderen mit der „Machete“, einem kleinen, geraden Säbel mit breiter, scharf wie ein Rasiermesser geschliffener Klinge; sie beschneiden flink das Rohr, kappen das äußerste Ende und werfen es auf einen Haufen von Rohren, den ein Lastauto oder ein Karren alsbald abtransportiert. Der Lastwagen schlägt hierauf den Weg zur Fabrik ein, wo das Zuckerrohr zerkleinert, durchgeknetet und zerrieben wird, bis eine Art Saft entsteht, der seinerseits erhitzt, gereinigt, dehydriert und zentrifugiert wird. Das Produkt all dieser Arbeitsgänge ist der Rohzucker, ein rötlicher Zucker aus kleiinen Kristallen. Bekanntlich bildet der Rohzucker zugleich den Reichtum und das Handikap Kubas.

Reichtum, denn er stellt das Haupterzeugnis des Landes dar, demgegenüber die anderen Anbaukulturen — besonders Tabak und Kaffee — an Bedeutung erheblich zurückbleiben.

Ein Handikap, denn diese fast ausschließliche Monokultur hat Kuba seit vielen Jahren in eine völlige wirtschaftliche Abhängigkeit vom Ausland gebracht. Anderseits wächst das Zuckerrohr von allein; es genügt, es einmal jährlich zu schneiden.

Infolgedessen macht diese Kultur die Beschäftigung von Arbeitskräften nur etwa drei Monate im Jahr erforderlich. So wurden die „Macheteros“, die das Zuckerrohr schneiden, von den früheren Pflanzern jährlich drei Monate lang beschäftigt und lebten den Rest des Jahres in größter Not.

Das neue Regime hat sich bemüht, diesen Zustand abzustellen, indem es die Anbaukulturen variiert und die Grundeigentümer gewordenen oder auf Kollektivfarmen arbeitenden Bauern darin unterstützt, nicht mehr nur ausschließlich Zuckerrohr anzubauen. Und zur Zeit der Zuckerrohrernte wird im Land eine außergewohnliche Kampagne veranstaltet, damit sich die Städter zwei, drei oder mehr Tage als „Freiwillige“ an der Arbeit beteiligen.

Da die natürliche Begeisterung nicht immer ausreicht, zahlt man Prämien oder lockt die Kandidaten durch Belohnungen: „Fahrräder“, „Zehn Tage in einem bekannten Badeort... für die fleißigsten freiwilligen Macheteros.“

Und so gelingt es recht und schlecht, das Zuckerrohr rechtzeitig einzubringen.

EIN BESUCH IN KUBA IST UNDENKBAR, ohne daß man einige Stunden einer Zigarrenfabrik widmet. Ich kam gerade an, als die Kurse für die Arbeiter und Arbeiterinnen stattfanden. Der Kampf gegen das Analphabetentum auf der Insel macht es allen zur Pflicht, zumeist an ihrem Arbeitsplatz, an einem Grundschulkurs teilzunehmen: Multiplikation, Division, Lesen... Es war übrigens ein recht erstaunliches Schauspiel, all diese Arbeiter und all diese Arbeiterinnen, von denen viele schon bejahrt waren, die Angaben des Lehrers fleißig in ihre Schulhefte notieren zu sehen.

Dann wurde die normale Arbeit wiederaufgenommen, und die geschickten Handwerker rollten die großen Tabakblätter zu prächtigen Zigarren.

Man zeigte den Unterschied zwischen der „Handgemachten“ und der „Maschinengemachten“. Kein Vergleich! Arbeiter und Arbeiterinnen dürfen während der Arbeit nach Belieben rauchen, und es rauchten fast alle mit Genuß Zigarren.

IN VÖLLIGER WIRTSCHAFTLICHER ABHÄNGIGKEIT befand sich Kuba gegenüber den Vereinigten Staaten bis zu dem vollständigen Bruch, der auf die Schweinebucht-Affäre folgte.

Im Austausch für die nach Norden gehende Zuckerrohrernte war das Land für die gesamte Ernährung fast ausschließlich von Einfuhren „made in USA“ abhängig. Es wird sogar gesagt, daß es in diesem tropischen Land, wo die Zimmertemperatur in der kühlsten Periode 25 bis 30 Grad beträgt, keine einzige Eisfabrik gab: Eis kam aus den USA.

Der Reichtum des Landes bestand im amerikanischen Fremdenverkehr. All die Paläste von Havanna, die eleganten Badestrände wie Varadero waren in den Wintermonaten für die Amerikaner beliebte Ferienorte. Daher auch die unglaubliche Blüte der Hotels, der Clubs, der Badestrände, die den Amerikanern vorbehalten und — außer mit besonderer Genehmigung — „für Kubaner verboten“ waren.

AUSWANDERUNG NACH DEN USA wird — in gewisser Weise — vom kubanischen Regime organisiert, und zwar im Einvernehmen mit offiziellen Schweizer Stellen. In der Nähe Havannas gibt es einen eigenen kleinen Hafen, wo die Auswanderungswilligen (mit Ausnahme der jungen Militärdienstpflichtigen) sich einschiffen können, und einen Flugplatz, von dem sie abfliegen können, wobei sie natürlich all ihre Habe in Kuba zurücklassen müssen. Man schätzt die Zahl der Kubaner, die die Insel seit der Revolution verlassen haben, auf etwa 40.000, und das bei einer Bevölkerungszahl von etwas über 7 Millionen. All diese Emigranten gehören im wesentlichen den reichsten Klassen an: Großgrundbesitzer, Pflanzer, Ingenieure, freie Berufe, Ärzte.

Diese selektive Auswanderung hat auf gewissen Berufssektoren schwierige Probleme aufgeworfen. So fehlte es der Insel jahrelang an

Ärzten, und man mußte in zunehmendem Maß besondere Anstrengungen zur beschleunigten Ausbildung des Ärztenachwuöhses unternehmen.

DIE MARXISTISCHE DIALEKTIK ist in Kuba nur oberflächlich gelernt worden, hingegen wird die Solidarität mit den Völkern Süd-und Mittellamerikas hier sehr tief empfunden. Es sind dieselben Rassen, gemischt aus Indios, Spaniern, Portugiesen und Afrikanern. Die offiziellen Stellen in Kuba sind der Auffassung, daß alle diese Völker der gleichen Situation gegenüberstehen wie der, die sie selbst mit Gewalt beseitigt haben: skandalöse Ungleichheit in der Besitzverteilung, Elend und Unterernährung bei der Mehrheit der Bevölkerung, politische Macht in den Händen einer Minderheit Besitzender.

Die kubanischen Führer meinen, daß diese Lage nur durch offene und bewaffnete Revolutionen verändert werden kann. Sie glauben, daß ein Versuch wie der Freis, der in Chile bemüht ist, soziale Reformen durchzuführen und das „amerikanische Joch“ mit friedlichen Mitteln abzuschütteln, zum Scheitern verurteilt ist.

So macht Fidel Castro kein Geheimnis aus seiner „Absicht“, aus den Kordilleren eine gigantische Sierra Maestra (Ort der ehemaligen kubanischen Widerstandsbewegung) zu machen!

In der in Kuba abgehaltenen Dreikontinentekonferenz haben sich die konkreten sozialen Diskussionen mit der Verstärkung des Widerstandes in Venezuela, Kolumbien und Peru, der Koordinierung ihrer Aktionen, mit Waffensendungen, Ausbildung der Kader usw. befaßt. Dies ist ein wahres „Brandschiff“, das vor der Küste Zentralamerikas verankert liegt, und es wäre se.ir erstaunlich, wenn in diesen Ländern nicht bald „Waldbrände“ um sich griffen.

DER KARNEVAL VON HAVANNA ist für dieses Volk, das die lateinamerikanische Fröhlichkeit und Spontanität besitzt, das große Fest.

Monatelang bereitet man prachtvolle Festwagen vor, hoch wie zweistöckige Häuser, von Traktoren gezogen und eigene Generatoren mit sich führend, die Hunderte von Lampen und Lampions speisen, die sie beleuchten. Und all diese Wagen sind mit ihren Orchestern und ihren Tänzerinnen ein Abbild des Landes.

Da ist der Wagen der Luftfahrt, auf dem die Tänzerinnen Stewardessen auf Flugpause sind; der Wagen der Post, deren Beamte ihren Schalter verlassen haben. Der Wagen des nationalen Bildungswesens mit Zöglingen der Schulen gefüllt...

Und sehr bald tanzen und singen um diese Wagen herum, auf denen sich die Orchester befinden, die Zuschauer, alle Rassen, gemischt aus Weißen, Schwarzen und Mischlingen der verschiedensten Farben

Dies ist die einzige revolutionäre Note Kubas: der „Karneval der Solidarität“.

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