Argumente für die Waffenlobby

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Zynismus im Schafspelz der Gesellschaftskritik: Michael Haneke statuiert in seinem eigenen Remake "Funny Games U.S." ein Exempel.

Eine, so sagt man, mehr als gut situierte Familie auf dem Trip ins Wochenende. Georg/George, Anna und Sohn Schorschi/Georgie kommen im standesgemäßen Freizeitdomizil an, als sie die höflichen jungen Männer Paul und Peter kennenlernen. Die beiden mit dem "Wir-können-kein-Wässerchen-trüben"-Blick und unmotiviert weiß behandschuht entpuppen sich als sadistische Quäler, die - ohne dass dem ein Motiv oder ein irgendwie nachvollziehbarer Impetus zugrunde liegt - die traute Familie ausrotten. Einen nach dem anderen. Einen Film lang.

So weit 1997. So gut 2008. Michael Haneke hat seinen Schockfilm "Funny Games", der nun schon elf Jahre alt ist, in den USA neu verfilmt. Höchstpersönlich. Bild für Bild heute wie damals. Nur die Darsteller und die Drehorte sind neu: Naomi Watts statt Susanne Lothar (als Anna), Tim Roth statt Ulrich Mühe (als Georg/George) etc.

USA und Europa

Hollywood hat nun seinen ersten echten Haneke. Der Renommierteste unter Österreichs lebenden Regisseuren wollte seinen Film möglichst unverfälscht ins amerikanische Film-Business bringen. Normalerweise - und nichts könnte den Graben zwischen europäischem und amerikanischem Film besser ausdrücken - werden exzeptionelle europäische Filme für den US-Markt als Remake produziert und "europäische" Eigenart bleibt auf der Strecke. Jean-Luc Godards Nouvelle-Vague-Klassiker "Außer Atem" (1960) erlebte 13 Jahre später als "Atemlos" (mit dem aufstrebenden Richard Gere statt Jean-Paul Belmondo) seine amerikanische Auferstehung. Oder: Luc Bessons Actionparabel "Nikita" (1990) - ein dem US-Actionkino mehr als verwandter Streifen - kam schon zwei Jahre später als "Codename: Nina" in die US-Kinos. Verständlich also, dass Haneke an sein US-Remake selbst Hand anlegte. Unverständlich dennoch, dass er "Funny Games U.S." genauso ins Bild setzte wie elf Jahre zuvor seinen Film ohne Landesbezeichnung am Schluss …

Die Filmgeschichte, wie die Geschichte des Bildes überhaupt, ist auch eine Gewaltgeschichte. Heutige Action-Blockbuster bieten Orgien an Filmtheaterblut und greifen auf ein ganzes Repertoire an Spezialeffekten zurück, um Protagonisten Gewalt anzutun oder ausüben zu lassen. Allzu oft geschieht dies zu einem höheren Zweck, der alle, wirklich alle Mittel heiligt, um dem Guten zum Durchbruch zu verhelfen: Das Theater ist längst nicht mehr "die" moralische Anstalt, das Kino gibt längst vor, es diesbezüglich übertroffen zu haben. Dazu hat sich - spätestens seit den Bluträuschen des legendären "Texas Kettensäge Massakers" (1974) - das Horrorfilmgenre gesellt, das Gewalt zum Stilmittel seiner Filmästhetik werden ließ.

Michael Hanekes "Funny Games" war schon anno 1997 ein erklärter Versuch, dieser Gewaltästhetik filmisch beizukommen. Haneke hat sein heuriges US-Remake ja auch damit begründet, dass "Funny Games" sich auf die US-amerikanische Gewaltgesellschaft bezieht: Es mache daher Sinn, den Film für ein amerikanisches Publikum neu aufzubereiten.

Purer Zynismus

Auch dieses Anliegen ist nachvollziehbar: Denn Gewalt im Film ist in den USA ein vergleichsweise zweitrangiges Thema, Sex - auch in noch so zarter Andeutung - erregt die Gemüter einer bigotten Gesellschaft viel mehr als von der Leinwand spritzendes Blut.

Doch "Funny Games" ist kein Fanal gegen solche Bigotterie, deren sich Hollywood bekanntlich seit Anfangszeiten befleißigt. Haneke landet mit der Gesellschaftsdiagnose, die er via "Funny Games" anbietet, bei purem Nihilismus und Zynismus, der auch von einem ihm gutgesinnten Publikum schwer zu ertragen ist und auch nicht ertragen werden sollte.

Nein, der Zuschauer ist weder Komplize eines Filmemachers, der vorgibt, die Lust an sinnloser Gewalt und ihrer Darstellung anzuprangern, noch möchte er sich zu dessen Geisel machen lassen: Du, lieber Zuschauer, willst ja den Sadismus, den dir Regisseur Haneke aufbereitet, so der Tenor des Films. In einer Schlüsselszene gelingt es Anna, der Frau der terrorisierten Familie, einen ihrer Peiniger zu erschießen. Doch Haneke lässt diese Version der Geschichte schlicht und einfach nicht zu - und dreht diese Szene im Film zurück, um dann eine neue Version zu zeigen, bei der die gewalttätigen jungen Männer wieder die Oberhand behalten, auf dass sie jedes einzelne Familienmitglied um die Ecke bringen können.

Dies alles hat mit Aufklärung und Thematisierung der Gewalttätigkeit einer Gesellschaft herzlich wenig zu tun. Was Haneke anbietet, ist nicht bloß die Ästhetisierung von Gewalt, sondern viel mehr: nämlich deren Intellektualisierung.

Kritische Töne in diese Richtung gab es schon bei der Auseinandersetzung um "Funny Games" anno 1997. Und elf Jahre später bei der "U.S."-Version dieses Filmwerkes hat Haneke nicht nur nichts davon rezipiert, sondern gibt durch sein 1:1-Remake noch zusätzlich vor, dass in den zehn Jahren, seit der ursprüngliche Film herausgekommen ist, nichts passiert ist. Doch nicht nur die Anschläge von 9/11 haben US-Gesellschaft grundlegend verändert. Wie aber kann man "Funny Games" da noch so drehen, als wäre das alles nicht geschehen?

Als wär nichts passiert

"Funny Games U.S." geht schlicht und einfach an der Zeit vorbei. Vielleicht ist dies ja der Hauptgrund dafür, dass Hanekes Einsatz in der U.S.-Filmwelt so - gelinde gesagt - verhalten ausfiel: kein Kassenerfolg, und durchaus hämische Kritik von Meinungsbildnern: "Ein bösartiger Angriff auf unschuldige Menschen, auf die Leinwand und im Kino" titelte Anthony O. Scott, der Kritiker der New York Times, über "Funny Games U.S" und stellte zu dessen gesellschaftskritischem Gestus lapidar fest: "Was für ein Schwindel!" Und: "Wenn Herr Haneke auf dem amerikanischen Markt Fuß fassen wollte, dann hätte er, anstatt Trost zu suchen in der ambivalenten Umarmung der Intellektuellen, eine Fortsetzung drehen sollen und nicht ein Remake." Kritikerkollege Jim Hoberman meinte in der New Yorker Wochenzeitung The Village Voice gar: "Das amerikanische Publikum, das Haneke erreichen will, wird weniger geneigt sein,, Funny Games' als Kritik am vorherrschenden Kino zu verstehen denn als Argument für Handfeuerwaffen."

Was Starkritiker Hoberman auf den Punkt bringt, heißt nichts anderes, als dass der österreichische Starregisseur in "Funny Games U.S." mitnichten eine Gesellschaftsdiagnose abgegeben hat, sondern bloß der Waffenlobby gute Munition für ihr Anliegen "Ein Gewehr in jeden Haushalt" liefert. Eindeutiger kann dieses Remake und dessen gleichermaßen zynisches "Original" kaum demaskiert werden.

FUNNY GAMES U.S.

USA/F/GB/D/I 2007. Regie: Michael Haneke. Mit Naomi Watts, Tim Roth, Michael Pitt, Brady Corbet, Devon Gearhart. Verleih: Filmladen. 112 Min.

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