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Ein neuer Boom in Internet, Fernsehen und Radio sowie bei Live-Übertragungen. Wiens Theaterszene ist in Bewegung: "brut" (bisher "dietheater") und Schauspielhaus positionieren sich diesen Herbst völlig neu - lesen Sie dazu Gespräche und Porträts auf den folgenden Seiten. Das Theater in der Josefstadt wird umgebaut und an der Burg regiert Shakespeare. Und die Live-Übertragungen der Staatsoper zeigen einen internationalen Trend: Die totgeglaubte Oper boomt. Wie jeden Herbst finden Sie auch diesmal eine kritische Sichtung der Spielpläne in Wien und an den Bühnen der Bundeländer. Redaktion: Cornelius Hell

Anna und Rolando und Elina … Pardon: Netrebko, Villazón, Garanca, sie repräsentieren nur einen kleinen Ausschnitt des Opernlebens 2007, darüber herrscht Einigkeit. Aber so wie Renée (Fleming) und Cecilia (Bartoli), Bryn (Terfel) und … (Liste bitte nach aktuellem Stand der künstlerischen "Aktien" vervollständigen!) haben sie, die zum Teil am Fernsehbildschirm und in Mehrzwecksaal-"Galas" präsenter sind als auf den Opernbühnen selbst, mitgeholfen, der Gattung Oper eine neue Öffentlichkeit zu verschaffen. Ein eindeutiger Trend: Die Opernhäuser gehen online - oder zumindest "nach draußen". Und die neuen Technologien sind dabei ein Thema - vieles spielt sich übers Internet ab. Die alten Technologien aber auch: Da am CD-Markt nichts mehr zu holen ist und Opern-DVDs ein Nischenprodukt bleiben, wird es wieder interessant, im Radio, im Fernsehen oder auch - ungewöhnlich aber wahr! - im Kino präsent zu sein.

Oper "nach draußen"

Die dicksten Schlagzeilen hatte Peter Gelb, der mit Beginn der Saison 2006/7 die New Yorker Metropolitan Opera als "General Manager" übernommen hat. Peter Gelb kommt aus dem Musikbusiness und lügt sich nicht in die Tasche, was die Probleme der MET angeht: ein Einbruch bei den Besucherzahlen nach "9/11", das Ausbleiben jüngerer Opernfans generell, der "altmodischen" Ruf des Hauses, der von sehr traditionell gehaltenen Inszenierungen herrührt, Inszenierungen, wie sie allerdings auch vom Großteil des derzeitigen MET-Publikums gewünscht werden. Was er, darauf reagierend, bei seiner ersten Pressekonferenz ankündigte, übertraf dennoch alle Erwartungen.

Arien rund um die Uhr

Während es in den letzten Jahren davor so aussah, als würde die Metropolitan Opera auch noch den letzten Sponsor verlieren, den es braucht, um die seit Jahrzehnten traditionellen landesweiten Radio-Übertragungen ihrer Samstag-Matineevorstellungen weiterzuführen, fädelte Peter Gelb einen Deal mit dem Satelliten-Radio-Betreiber Sirius ein. Ab Eröffnung der Spielzeit 2006/7 wurde das "MET-Radio" auf Sirius angeboten, das bescheiden kostenpflichtig ist, Unersättlichen aber die Metropolitan Opera rund um die Uhr nach Hause oder wohin immer bringt, auch auf Radio-Portables, wenn gewünscht. Rund um die Uhr, das bewerkstelligt man mit der Öffnung des uferlosen Fundus an MET-Matinee-Aufzeichnungen aus der Vergangenheit - und mit nicht weniger als vier aktuellen MET-Live-Übertragungen pro Woche.

Stichprobe: Opernhäuser und ihr Internet-Auftritt - wie steht es mit Audio-oder Video-"streaming"? Berlin ist immer noch ein heiß umfehdeter Opernboden: Niemand will die alles überwölbende "Opernstiftung" wirklich, niemand will von ihr lassen, und die drei konkurrierenden Häuser - Staatsoper unter den Linden, Deutsche Oper, Komische Oper - kämpfen weiter um ihr Leben. Umso wichtiger: Medienpräsenz! Ist es Zufall, dass die Lindenoper die Nase nicht nur in der öffentlichen Meinung vorne hat, sondern auch mit ihrem Online-Angebot?

Oper online …

Zu allen Neuproduktionen findet sich ein kleiner Video-Verschnitt, und hin und wieder, unsystematisch, auch mehr, Interviews mit Dirigenten und Regisseuren, Werkstattgespräche … Man hat erkannt, dass es längst nicht mehr genügt, das Haus zu bespielen und sich über mangelnden Besuch zu beklagen. Man muss nach draußen, "auf die Straße". Zuletzt wortwörtlich geschehen bei Jules Massenets Manon mit Anna Netrebko - Übertragung auf die Großleinwand, und schon strömen die Massen, tafeln "Unter den Linden", prosten einander zu, nehmen Oper als Volksfest.

Was man in Berlin allmählich erfasst, weiß man in München schon lang. Da hat bereits der frühere Intendant Peter Jonas immer bei den Opernfestspielen im Sommer Oper für alle angeboten. Auch auf ihrer Homepage sind die Münchner weiter als andere. Opern-TV heißt dort die entsprechende Rubrik, die Produktion hat die Bayerische Staatsoper ausgelagert, mit sehr professionellem Ergebnis. Probenausschnitte, Interviews, ein echter Appetizer.

Ähnlich perfekt präsentiert sich das Royal Opera House Covent Garden in London: Längere Audio-Features, kurze Videoclips, bloß: alles mehr Einladung, ins Opernhaus selbst zu kommen, weniger Angebot an die, die das nicht können, sich mittels der neuen Medien ihren Zugang zur Oper zu suchen.

… oder auf DVD

Taktik dahinter: Covent Garden steigt ab sofort groß in die DVD-Produktion ein und hat zu diesem Zweck ein gut eingeführtes DVD-Label erworben, das schon bisher Video-Mitschnitte von Aufführungen aus dem Royal Opera House vermarktet hat. Dass eine solche Kalkulation aufgehen kann, führt das von Alexander Pereira geführte Züricher Opernhaus vor, das sich dem öffentlich-rechtlichen Rundfunk überhaupt gänzlich verweigert, das Medium CD abgeschrieben hat, statt dessen aber einen Großteil seiner (konkurrenzlos vielen) Neuproduktionen auf DVD zugänglich macht. Am Dirigentenpult dabei oft: Franz Welser-Möst, künftiger Wiener Staatsopern-Chefdirigent.

Staatsoper live

Und in Wien? Die beiden TV-Staatsopern-Live-Übertragungen der letzten Saison, Manon und La Fille du Régiment, waren Erfolge - bei Manon mit Anna Netrebko haben allein in Österreich ungefähr 300-mal so viele Menschen zugesehen wie ins Haus am Ring hineinpassen. Und Direktor Ioan Holender setzt auf seine Art weiter auf Video-Vermittlung, nicht aber via Internet. Ab sofort steht jeden (!) Abend eine Video-Wand am Herbert-von-Karajan-Platz vor der Staatsoper und zeigt "live", was drinnen auf der Bühne passiert. Augenzeugen der Probeläufe vor dem Sommer berichten allerdings von dürftiger Bildqualität: Eine einzige Standard-Kameraeinstellung, stecknadelkopfgroße Solisten - da hatten sich die Fanatiker unter den Opernfans mehr erwartet …

Wie viel Zugänglichkeit verträgt die Kunst? Wann prostituiert sich die Oper? Wann kommt der "Overkill"? Im Fall der Metropolitan Opera kommen zu den Audio-Aktivitäten noch Übertragungen einiger ausgewählter MET-Abende via High-Definition-TV in ebenfalls ausgewählte Großkinos landesweit - und darüber hinaus. General Manager Peter Gelb im Zitat: "Ich will die MET wieder mit der Mainstream-Kultur verbinden." Für die USA hat er den neuen Standard jedenfalls schon vorgegeben: Die beiden Opernhäuser, in denen Placido Domingo als Direktor fungiert, Los Angeles und Washington, haben ebenfalls bereits ihre "simulcasts", Opern-Live-Übertragungen in die Colleges, dorthin, wo das vermutete Publikum von morgen sitzt.

Opern in die Collages

Ähnlich wie ein Ioan Holender in Wien vertraut Domingo also eher den konventionellen Vermittlungsmethoden - und der Vorselektion seines Publikums. Für Kinder, für Senioren, für ethnische und sonstige Minderheiten - für sie alle gibt es spezielle Angebote hinein ins Opernhaus.

Spannend wird es, wenn Peter Gelb ab 2009 im New Yorker Lincoln Center, in dem Gebäudekomplex, der die MET beherbergt, in der New Yorker Quasi-"Volksoper", der New York City Opera, Konkurrenz bekommt in Person des sicher nicht weniger virtuos am Medien-Klavier spielenden Gérard Mortier, der derzeit noch Chef des Pariser Opern-Flaggschiffs, der Opéra Bastille, ist. "Es gibt einen Unterschied zwischen dem Populären und dem Populistischen", hat Mortier, eloquent wie eh und je, in ersten Interviews betont. Wir verstehen: "populistisch", das ist Peter Gelb an der MET, der die Leute bei der Generalprobe zur Saisoneröffnung gratis ins Haus gelassen hat, der Regisseure von Theater und Film engagieren will, der Aufführungen auf Videowände auf den Times Square überträgt. "Populär" soll es werden, wenn Pedro Almodovar für Mortier eine neue Carmen-Fassung erstellt - man aber Karten kaufen und ins Haus kommen muss, um sie zu sehen?

"Opera calling"

"Brot und Spiele"? Oder: Denen, die es interessieren könnte, die Schiene bauen, es ihnen aber nicht zu leicht machen? Welcher von diesen Ansätzen wird mehr Zukunft haben? Opera calling - das wurde im Frühjahr 2007 auch in Zürich gespielt, aber nicht vom Opernhaus selbst. Die Mediengruppe Bitnik! hat die Züricher Oper - illegal! - verwanzt und den Live-Ton von Aufführungen über eine Telefonanlage an zufällig angewählte Züricher Telefonanschlüsse übertragen. Ähnlich wie es die Erfinder des Telefons vor 130 Jahren auch vorhatten. Ziel von Bitnik!: Bis zum Ende des Projekts jede Person in Zürich einzeln angerufen zu haben. "Arias for all!"

Die Autorin ist Sendungsgestalterin im Radioprogramm Ö1.

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