Arisierte und inventarisierte Lebensgeschichten

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Wie die Ausstellung "inventarisiert" im Wiener Hofmobiliendepot zeigt, machte die Raubgier der Nazis selbst vor Alltäglichstem nicht halt.

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Wie die Ausstellung "inventarisiert" im Wiener Hofmobiliendepot zeigt, machte die Raubgier der Nazis selbst vor Alltäglichstem nicht halt.

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Sechzig Jahre brauchte es, den 1938 arisierten Gesamtbestand des Hofmobiliendepots aufzuarbeiten und die wechselhafte Geschichte seiner Objekte zu erforschen. Einige Stücke harren immer noch ihrer Rückgabe, obwohl die Voraussetzungen mit einem kleinen, sehr genau erfassten Bestand gut sind. Acht von insgesamt 70.000 enteigneten Wohnungen aus jüdischem Besitz kamen ans Hofmobiliendepot. Seit der Kaiserzeit arbeiteten die dortigen Beamten unter wechselnden Regierungen gleich gründlich: Sie inventarisierten 575 der 5.000 in den Akten aufgelisteten Einrichtungs- und Gebrauchsgegenstände, die damit in staatlichen Besitz kamen. 343 Bücher gingen an die Nationalbibliothek, 179 Bilder und Kunstgegenstände an Museen, etwa 1.300 Gegenstände wie Geschirr, Besteck oder Tischwäsche wurden "zugunsten politisch oder rassistisch Verfolgter" versteigert.

Der Grad der Ausbeutung, in dem das Naziregime vom Inhalt der Tischladen bis hin zu privaten Fotografien, Bildern an der Wand und dem Wäschebestand der Kästen und Schränke alles zu erfassen suchte, was in einer Wohnung verwertbar war, ist von erschütternder Berechnung und Kälte. Er findet sich nun in der von Ilsebill Barta-Fliedl und Herbert Bosch sehr sensibel kuratierten Ausstellung "inventarisiert" im Hofmobiliendepot auf einer einzigen Wand dokumentiert. Arno Gisingers Fotoinstallation setzt auf Tatsachen: 648 Aufnahmen, 20 mal 25 Zentimeter, reihen sich aneinander, der Name der ursprünglichen Besitzerfamilie steht über den jeweiligen Objekten, auf jeden Bild ist auch die Inventarnummer angeführt. Die meisten der Aufnahmen bestehen aus Boden, leerer grauer Wand und einem Wort: Schreibtisch, Klubfauteuil, Armsessel oder Bücherkasten ist da zu lesen. Die Gegenstände selbst befinden sich nicht mehr im Depot, sie sind verschollen, im Ausland oder vernichtet worden.

Einige, die man auch sieht, harren noch ihrer Rückgabe: zwei Biedermeierstühle mit dazupassendem Tischchen, die bis 1987 in der österreichischen Gesandtschaft in Beirut gestanden sind, ein schmucker Kasten, der an eine NS-Fliegerschule verliehen worden war, ein Säulenstutzen, der bis 1993 die Räumlichkeiten der ÖVP schmückte. Sie alle stammen aus der Wohnung Emil Stiaßnys, dessen Besitz am meisten zur Beschlagnahme hergab.

Jedes Bild erzählt in knappen Worten eine Geschichte, selbst die aufgrund ihrer Wertlosigkeit nicht aufbewahrten Objekte haben eine. Bademäntel, Netzleiberl, Unterhosen, Nachtkorsetten, Unterröcke, Badeschuhe: die gesamte Privatgarderobe der Familie Stiaßny, ihre Tuchent-und Polsterüberzüge, Kochgeschirr von Grammelpresse, Weidling, Gugelhupfformen, Salzfässern, Passiersieben, Fleischbrettern bis hin zur Tortenschaufel gingen an die NS-Volkswohlfahrt. Sie teilten dieses Schicksal mit insgesamt 1.000 Objekten aller acht Enteigneten.

"Es geht uns nicht um nationale Ikonen, sondern darum, die Dimension der Mitnahme zu zeigen, die das Banalste und Alltäglichste nicht auslässt. Die Inventarbeamten der Gestapo arisierten Raum für Raum, Zimmer für Zimmer. Brillenetuis, Dirndl, Unterwäsche, Besteck: jeder Quadratmeter wurde abgescannt und in maschinengetippten Listen erfasst", schildert Herbert Bosch den Vorgang, den er ins Bewusstsein rufen möchte.

Menschenschicksale, Raub und Enteignung wurden in unglaublicher Gefühllosigkeit in geordnete Listen sorgfältig aneinandergereihter Inventarnummern verwandelt, die solchermaßen ergatterte Beute je nach Brauchbarkeit dem größtmöglichen Nutzen zugeführt. Die inventarisierten Objekte kamen an den Staat, schmückten, NS-Amtstuben oder gelangten in den Besitz der Nazi-Granden. Gauleiter Josef Bürckel besaß ein Federkissen von Hedwig Schwarz, ein Kanapee aus ihrem ehemaligen Besitz wanderte später zur Gesellschaft der Freunde des Wiener Burgtheaters, ein Aufsatzkasten von Hugo Breitner in das österreichische Generalkonsulat in Bonn.

"Wir zeigen ganz bewusst keine Originalobjekte, sondern nur Fotografien von dem, was wir hier haben. Man kann die Betroffenen unmöglich fragen, ob sie ihr Eigentum für zwei Monate wieder herleihen wollen", erklärt Ilsebill Barta-Fliedl. Von den acht Wohnungen haben wir sechs Erben gefunden, wir arbeiten mit der Kultusgemeinde zusammen, unsere Homepage bietet eine weitere Möglichkeit, Kontakt aufzunehmen. Es rufen jetzt laufend Leute an", freut sie sich über das Echo ihrer Bemühungen. Seit 1999 konnten an die 60 Stück zurückgestellt werden. "Noch im Lauf der Woche werden es mehr sein."

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