"Arm, aber glücklich, weil authentisch“

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Am Theater in der Josefstadt feierte Peter Turrinis "Campiello“, frei nach Carlo Goldoni, Premiere. Die Inszenierung von Theaterdirektor Herbert Föttinger bleibt seltsam lau.

Ein Platz mit einem Wirtshaus, wo sich Arbeiter, arme Leute und Künstler treffen: Das ist der "Campiello“, der Carlo Goldoni als Vorlage für sein gleichnamiges Stück 1756 diente und den Peter Turrini bereits 1982 bearbeitete. Herbert Föttinger, der seinen Hausautor Turrini jede Saison fix am Spielplan hat, beauftragte diesen (wie auch schon bei seiner Bearbeitung von Goldonis "Die Wirtin“), für das Theater in der Josefstadt eine Neufassung zu erstellen. Darin wird das Arme-Leute-Klischee, die kein Geld, nichts zu essen und keine Zukunft haben, aber "authentischer“, also unmittelbarer nach ihren Gefühlen leben, behauptet.

Aus Typen werden Charaktere

Der versnobte Cavaliere (André Pohl) eröffnet die Inszenierung, indem er als Dandy im weißen Anzug durch die Zuschauerreihen stolpert - einer von "uns“ betritt die Bühne. Dort erwartet ihn das Bild, das er sich von Campiello macht: Eingefroren und maskiert stehen dessen Bewohner an der Rampe, hübsche Mädchen mit ihren Müttern, die aufgrund ihrer Armut spärlich, aber kess bekleidet, den geilen Aristokraten attrahieren. Venezianische Masken und Schneefall kündigen die Karnevalszeit und die damit folgenden Turbulenzen an.

Nach der Fleischbeschau durch den Cavaliere - er grapscht in die üppigen Dekolletés (die in Rolf Langenfass’ Kostümen derart betont sind, als wären sie Privilegien der Armut), begutachtet die Schenkel während der verheißungsvollen, aber viel zu langen Intro - geht das Spiel los. Die Figuren legen ihre Masken ab. Aus den Typen der Commedia dell’arte werden Charaktere, auch wenn es Turrini nicht um deren psychologische Struktur geht. Wie auch bereits das Eingangsbild zeigt: Uns wird eine Idee vor Augen geführt.

Hinter einer Wellblechwand hat Langenfass ein Gerüst gebaut, das die winzigen Mietzinswohnungen markiert. Tür an Tür hausen die verwitweten Damen Orsola (Gundula Rapsch), die stets ranzige Palatschinken fabriziert, die derbe Catte (Sigrid Hauser), deren verstorbener Mann ein furchtbarer Schürzenjäger war, wie sie der Dritten im Bunde, Pasqua (Andrea Händler), beichtet, deren Verflossener wiederum am Alkohol starb.

Um an Geld, Aufmerksamkeit und vielleicht auch ein bisschen Zuneigung zu kommen, beschließen sowohl Pasqua als auch Catte, den fremden Cavaliere in den Hafen der Ehe zu lenken. Dieser aber ist allein auf die schönen "Aussichten“ von deren Töchtern Gnese (Daniela Golpashin) und Lucietta (Silvia Meisterle) aus, die selbst allerdings eher an den "wilden“ Italienern Anzoletto (Ljubiˇsa Lupo Grujˇci´c) und Zorzetto (Stefano Bernadin) interessiert sind. Grujˇci´c und Bernadin erfüllen wunderbar das Klischee junger Italiener: Sie schwirren mit ihrer Vespa über die Piazza und schwärmen vom Theaterleben.

Dieser homogenen Gruppe stehen die halbgebildete, sich als etwas Besseres positionierende Gasparina (Therese Lohner) samt ihrem intellektuellen Onkel Fabrizio (Siegfried Walther) gegenüber, die die körper- und geldfixierten Campiellaner verachten und ein scheinbar trockenes, graues Pendant zu dem lebens- und streitlustigen Gemenge bilden. Dabei sind gerade sie insgeheim voll verkorkster Lust: So schleckt Lohner überaus lasziv ihr Eis, während sie hysterisch "hinweg, Grobian“ quiekt, und Walther ringt um Ruhe, um sich ganz dem Liebesleben der Miesmuscheln widmen zu können.

Kritik an Verhältnissen verschwindet

Als der sonderbare Fremde, den Pohl als schmierigen Lüstling hinter Sonnenbrillen gibt, Verlobungsringe verteilt und sämtliche Hochzeitsunternehmungen bezahlen möchte, ja sogar Großzügigkeit vortäuschend noch reichlich Schmattes verspricht, geraten die Hoffnungen und Sehnsüchte der Campiellaner gewaltig durcheinander. Wie in den Beiseite-Szenen der Commedia dell’arte treten auch die Turrini’schen Figuren an die Rampe und entäußern ihr Intimstes: Aufgewiegelt von der Idee einer besseren Zukunft liefert Sigrid Hauser eine Opernparodie, Daniela Golpashin wird zu einer enthemmten Lulu, die verführerisch ins Stehmikro haucht, und Therese Lohner mimt den Tod der Julia.

Insgesamt aber bleibt die Inszenierung seltsam lau. Was Schottenberg im Volkstheater gestartet hat - nämlich medienprominente Kabarettisten in Hauptrollen zu besetzen -, führt Föttinger mit den Kabarettistinnen Hauser und Händler fort. Die beiden tragen kräftig auf, behaupten derbe Vorstadthuren und garantieren Lacher. Turrinis ursprüngliche Kritik an den ökonomischen Verhältnissen verschwindet komplett im effektheischenden Spiel zugunsten einer romantisierenden Vorstellung von "arm, aber glücklich, weil authentisch“.

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