Arthur Schnitzler: Taumel und Analyse

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In Arthur Schnitzlers "Komödie der Verführung“, uraufgeführt 1924, fragt Prinz Arduin im Mai 1914 den Bankier Westerhaus, ob es Krieg geben werde, denn: "Wenn es Ihnen so beliebt und Ihren Herren - Berufskollegen in Frankreich, England, Amerika, Japan, dann werden wir eben Krieg haben.“ Westerhaus erwidert bescheiden, aber doch wissend: "Hoheit überschätzen uns Bankleute ein wenig. Nach kurzem Zögern Immerhin, wenn Hoheit mit Ihrer neuen Yacht eine ungestörte Spazierfahrt zu unternehmen wünschen, ich würde nicht bis zum Hochsommer warten.“

Schnitzler hat über zwei Jahrzehnte an diesem Stück gearbeitet, bis der Krieg dem Stoff die finale Struktur verpasste. Es spielt unmittelbar vor Ausbruch des Ersten Weltkriegs und zeigt die Kräfte, die den Krieg als Mittel der Bereicherung oder als reinigenden Jungbrunnen glorifizierten. Schnitzler selbst notiert am 27. Juli 1918 im charakteristischen Telegrammstil seiner Tagebücher: "‚patriotische‘ Empfindungen. Dazugehörigkeit.“ Auch wenn rasch Ernüchterung folgt, der Taumel hatte ihn doch gestreift. Seine "Komödie der Verführung“ analysiert letztlich, wie ein zivilisiertes Gemeinwesen flächendeckend von dieser Haltung ergriffen werden konnte, und sie stellt die Frage des cui bono. Das Stück endet mit der Nachricht von der Kriegserklärung am 1. August 1914, sie erreicht die Gesellschaft in einem dänischen Badeort. Das ist ein realistischer Verweis darauf, dass die geschlossene Gesellschaft der Besitzenden und Einflussreichen Kriegsfolgen meist nur als Renditenerhöhung zu spüren bekommt.

Die Besitzenden bleiben

"Prinz Arduin existiert nach wie vor, wenn er sich auch vielleicht für eine Weile etwas zurückgezogen in einem seiner Schlösser aufhält. Eine gewisse soziale Umschichtung - bei uns in Österreich in höchst bescheidenem Maße - hat sich vielleicht vollzogen: aber wo ist in Wirklichkeit ein Zusammenbruch ... zu bemerken“, schrieb Schnitzler am 3. November 1924 an Jakob Wassermann. Bereits die erste Nachkriegsredoute im Konzerthaus 1918 machte das Weiterleben der alten Gesellschaft sichtbar und wurde vielfach literarisch verarbeitet als Symbol dafür, dass die Besitzenden bleiben, wenn die Herrschenden wechseln. Diese Redoute war auch die Präfiguration der rauschenden Feste, die die neureichen Kriegsschieber und Inflationsspekulanten in den Romanen der 1920er-Jahre geben werden und die zum Schlagwort "Tanz auf dem Vulkan“ oder "Goldene 20er-Jahre“ führten.

In Schnitzlers Stück rät Judith ihrem Liebhaber Max, sein Depot in der Bank ihres Schwagers Westerhaus aufzulösen. Aber der sei doch ein "Finanzgenie“, wundert sich Max. "Ist er auch“, so Judith, "trotzdem - oder deswegen war er schon mehr als einmal sehr nahe daran ... Ein paar Tage darauf war das Bankhaus gerettet und Westerhaus um ein paar Millionen reicher.“ Solide Bankgeschäfte sehen anders aus, freilich auch weniger lukrativ. Hohe Risikobereitschaft und frei dehnbare Moralbegriffe sind dann auch die Voraussetzung für den Aufstieg der ökonomischen Profiteure des Kriegs.

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