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Lässt sich psychotherapeutische Behandlung automatisieren? Ja, meinen zwei niederländische Psychologen und bieten mit ihrem Online-Psychiater MindMentor ein Programm dafür an. Dieses erinnert an das legendäre Programm ELIZA von Joseph Weizenbaum. Der hat aber davon abgeraten, zu viel Zeit vor dem Computer zu verbringen. MindMentor ist fragwürdig.

Stress im Job? Streit in der Beziehung? Oder einfach nur ein latentes Gefühl der Frustration? Dann kann eventuell ein Besuch bei MindMentor helfen. Der Psychologe ist rund um die Uhr verfügbar. Ohne Voranmeldung oder Wartezeiten. Ein wenig seltsam sieht er freilich aus. So wachsen aus seinem salatschüsselförmigen Kopf drei Antennen und ein weißgrauer Ziegenbart. Aber MindMentor ist eben nicht wie andere Therapeuten. Er ist ein Computerprogramm.

Unter www.mindmentor.com bieten die niederländischen Psychologen Jaap Hollander und Jeffrey Wijnberg ein eher ungewöhnliches Service an. Psychotherapie als Webdienst, Seelenklempnerei am Computer und per Mausklick. Die Kommunikation erfolgt über Tastatureingabe, der virtuelle Therapeut antwortet auf dem Bildschirm. Was sich anhört wie die Version aus einem Roman von Philip K. Dick, meinen Hollander und Wijnberg durchaus ernst. Ein wenig sorglos gehen sie allerdings mit Kritik an ihrer Entwicklung um.

Die Therapiestunde mit MindMentor folgt einem strikten Ablauf. Voraussetzung ist eine kurze Anmeldung, Kenntnis der Therapiesprache Englisch und die Bereitschaft, 4,95 Euro springen zu lassen. Etwa eine Stunde Zeit sollte man sich für die Sitzung nehmen, kann sie aber auch unterbrechen und zu einem späteren Zeitpunkt fortführen.

Zuerst stellt der digitale Seelendoktor Fragen, die darauf abzielen, das Problem zu definieren. Dabei gibt der Nutzer seinem Problem einen Namen, nennt Situationen in denen es auftritt, und beschreibt seine damit verbundenen Gefühle. Der therapeutisch nächste Schritt ist die Suche nach Gegenbeispielen. Dabei fordert das Programm den Klienten dazu auf, sich Situationen vorzustellen, in denen die näheren Umstände zwar die gleichen sind wie vorher, aber das Problem nicht auftritt. Im gleichen Stil geht es weiter. MindMentor stellt gezielte Fragen und kitzelt Antworten hervor. Als Resultat dieses Dialogs erhält man zuguterletzt eine Liste von fünf autosuggestiven Techniken, die man bei Auftreten des Problems anwenden soll.

NLP lauert im Hintergrund

Methodisch verwendet MindMentor eine Mixtur aus verschiedenen Therapieformen. So lässt sich die bestätigende Wiederholung des Gesagten auf die klientenzentrierte Therapie nach Carl Rogers zurückführen. Daneben gibt es projektive Tests, bei denen man Assoziationen zu gezeigten Bildern finden muss. Und wenn mitten in der Sitzung ein bösartiger Roboter auftaucht und den Hilfesuchenden verspottet, erkennt man darin offenkundige Aspekte der Provokativen Therapie. Den Hauptanteil an der Methodik trägt allerdings das neurolinguistische Programmieren (NLP). Jaap Hollander ist ein Pionier der europäischen NLP-Szene. Er gründete das erste und größte Zentrum in den Niederlanden.

„Seit Freud sind die meisten Psychotherapien sehr stark inhaltlich ausgerichtet“, sagt Hollander. „NLP funktioniert demgegenüber prozessorientiert.“ Der Fokus liege darin, den Lösungsweg in abstrakte Einzelschritte zu strukturieren, „sich zum Beispiel ein bestimmtes Ziel zu setzen“, erklärt Hollander. „Das funktioniert ganz unabhängig vom konkreten Problem.“ Dieser Ansatz eignet sich natürlich besser zur Implementierung in ein Computerprogramm als etwa die klassische Psychotherapie.

Ausgefeilte Techniken der Künstlichen Inteligenz sucht man bei MindMentor vergebens. Das Programm nimmt die Antworten des Anwenders und fügt diese – ohne jegliche grammatikalische Transformation – in vorgefertigte Antwortschemata ein. Damit hinkt MindMentor sogar hinter ELIZA, dem Urahn aller Chatbots, hinterher (siehe Kasten). Doch daraus macht Hollander auch gar keinen Hehl. „Künstliche Intelligenz oder ausgefeilte Sprachverarbeitung bietet das Programm nicht“, sagt er. „Es ist ausschließlich therapeutisch angelegt.“

Programm für kleine Störungen

Grundsätzlich kann das Programm bei allen Problemen helfen, meinen seine Entwickler; schränken auf Nachfrage aber ein, dass es etwa bei Borderlinestörungen, Psychosen oder schwerem Suchtverhalten nicht geeignet ist. Übrig bleiben demnach die „kleinen Alltagsprobleme“ – Schlafstörungen, beruflicher Stress, Streit mit Freunden. Bei der Entscheidung, ob das eigene Problem zu den „harten“ Störungen zählt, die man besser einem humanen Therapeuten anvertraut, lassen Hollander und Wijnberg die Hilfesuchenden jedoch allein. Selbstdiagnosen sind allerdings selten ein guter Rat bei mentalen Problemen. Zu groß ist die Gefahr, zwischen den Extremen Verharmlosung und Hypochondrie zur falschen Einschätzung zu gelangen. Immerhin existiert ein rudimentärer Filter, der anhand von Schlüsselwörtern besonders gefährdete Personen identifizieren soll. Besonders effektiv ist dieser Filter allerdings noch nicht. So erkennt MindMentor zwar die Eingabe „Ich will mich umbringen“ und empfiehlt die Konsultation eines realen Experten (dieselbe Antwort gibt er übrigens auch auf die Eingabe „Ich will mich nicht umbringen“), formuliert man allerdings „Ich denke an Selbstmord“, startet das Programm den ganz normalen Therapieablauf.

Kritikern hält Hollander nüchtern eine Befragung von 1500 Personen entgegen, die das Programm genutzt haben. 47 Prozent gaben an, dass ihr Problem nach einer einzigen Sitzung gelöst war. „Welche reale Therapeut kann das von sich behaupten?“, fragt er. Hollander macht es sich wohl ein wenig zu einfach, wenn er sich auf den pragmatischen Standpunkt zurückzieht. Er tut so, als wäre MindMentor einfach ein weiteres Web 2.0-Gadget für die Generation Internet. Es reiht sich nahtlos ein in die Rubrik „Schnelle Lösungen für Menschen mit wenig Zeit“. Was funktioniert, ist gut.

Ethisch bewegt er sich damit auf dünnem Eis. Den Vorwurf des Zynismus kann seine Beteuerung nicht entkräften, MindMentor sei als Ergänzung, nicht als Ersatz herkömmlicher Psychotherapie konzipiert. Solche Äußerungen legen den Eindruck nahe, dass hier entweder der Computer zum generellen Problemlöser hochstilisiert oder aber die kleinen Alltagsprobleme als therapeutische Fingerübung abgetan werden.

Beide Thesen sind, genauer betrachtet, höchst fragwürdig.

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