Askese und Üppigkeit

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Zum 75. Geburtstag von Arnulf Rainer

Ein substanzieller Befund der bildenden Kunst in Österreich seit 1950 zeigt Arnulf Rainer an vorderster Stelle. In der Summe seines großen und vielschichtigen Werks ist er die überzeugende, unverwechselbare Leitfigur einer künstlerischen Praxis, die immer wieder Extrempositionen ansteuerte und damit Neuland betrat, zugleich aber auch postmoderne Annäherungen zwischen den Zeiten und Stilen im Sinne einer faktischen, fortlaufenden Dialogbereitschaft riskierte. Vor allem im neueren Ruvre erweist sich Rainers differenziertes Wechselspiel von Überzeichnung und Übermalung von Bildern, Köpfen und Landschaften aus der Kunstgeschichte als geradezu unerschöpflich.

Seit einem halben Jahrhundert allerorts präsent und stets gut bis bestens im Handel verankert, feiert Arnulf Rainer am 8. Dezember auf seinem Winterwohnsitz in Teneriffa seinen 75. Geburtstag. Als jener österreichische Maler mit der besten internationalen Museumsreputation und einem imponierenden Gesamtwerk wird er wie immer fleißig sein, allerdings im kleinen Format, das sich leicht unter den Arm nehmen lässt.

Rainers Absicht, Malerei, Zeichnung, Druckgrafik, Fotografie und Reproduktion in sensibel genutzter gegenseitiger Relativierung und Unterstützung in ihrer gesamten Spannweite auszuloten, kann als permanentes Credo seines Lebenswerkes definiert werden.

Aspekte des Frühwerks

Was die Resultate der vielen von ihm nie zur Gänze abgehakten Werkperioden betrifft, ist der Künstler ein Unruhestifter par excellence, fallweise sogar ein Anarchist, auch wenn sich inzwischen so manches, was einst gewaltig zu provozieren vermochte, geglättet und eingeschliffen hat.

Was immer überrascht, ist Rainers universelles Bekenntnis zu einer facettenreichen, zwischen Askese und Üppigkeit pendelnden Ästhetik, die sich aus der Arbeit mit der Materie selbst und der darin freigesetzten Lust, dem Malvergnügen, bestätigt.

Der 1929 in Baden geborene, in Niederösterreich und Kärnten aufgewachsene Maler, der ein exzellenter Interpret und Deuter seiner künstlerischen Absichten ist, hat bereits in den fünfziger Jahren auf das Zusammenspiel surrealistischer, in der Zeichnung wurzelnder Methoden und die Radikalität konsequent angewandter, autonomer Abstraktion gesetzt, wie man ihr vor allem in den dichten, komplexen Übermalungen und Überdeckungen begegnet.

Sein Eintauchen in Unterwasserwelten und halluzinatorische Geheimnisse, das in der großen Grafitstiftzeichnung auf Pergament aus 1950/51 mit dem Titel "Ozean, Ozean" gipfelt, sieht sich faktisch zur selben Zeit den "Atomisationen" oder den mit TRR signierten "Blindzeichnungen" gegenüber, die total mit jeder Form von Gegenständlichkeit brechen und stattdessen formale Grundprinzipien in "optischen Auflösungen", "Zell- und Mikrostrukturen", "Blindmalereien", "Zentralgestaltungen" und "Vertikalgestaltungen" konsequent erarbeiten.

Ausgehend von Rainers "Surrealer Phantastik" (1948 bis 1951) spielte sich dies alles in den wenigen Jahren bis 1952 ab. Destruktion und Absurdität waren vor allem in den Anfangszeiten Schaffensprinzipien mit der Aussicht auf Neues, Anderes, Bewegendes. Was Rainer immer interessierte, war der radikale Umsturz und Einbruch, das "Pathmorphe". "Wahnsinn ist das innere Feuer dieser Kunst, Schizophrenie nistet in ihrem Herzen" (1966/67).

Rebellion und Konsequenz

Rainer hat es fortlaufend verstanden, die Latenz aktueller Problemstellungen (und ihrer philosophischen Positionen) mit relevanten Grundanliegen des Künstlerischen zu koppeln und daraus ergebnisorientierte Nutzanwendungen zu ziehen. Förderlich für diesen Prozess - oft im Clinch mit dem Zeitgeistigen und wiederholt antizyklisch agierend - war und ist dabei die konzentrierte, jede Ablenkung vermeidende Befassung mit dem künstlerischen Vorgang und seinen werkimmanenten Problemen, die rebellische Mallust des Künstlers, sein Durchhaltevermögen und Wollen. Aus der Ablehnung akademischer Strategien und abprüfbarer Fingerübungen hat er dabei nie einen Hehl gemacht, auch wenn er später selbst zum Akademieprofessor in Wien avancierte.

Im Spannungsfeld möglicher Unruhe war Arnulf Rainer immer ein Seismograf, ein Forscher und Entdecker, voller Risikobereitschaft, hellhörig, neugierig, am Puls der Zeit. Existenzielle Finsternis (durch Kubin genährt und von Affinitäten zu ihm getragen) beschäftigte ihn ebenso wie formale Probleme, die er dank seiner Emotionalität und der Antriebskraft beim Malakt in eine große, kraftvolle Elegie des Lebens überführen konnte.

Faszination des Malakts

Rainer ist Mönch und Asket, der seine Mittel und Materialien nur mit größter Sparsamkeit und sorgfältig kalkuliert einsetzt, er ist zugleich aber auch Malerfürst und Verschwender, der in seinen Bilderserien und Zyklen aus dem Vollen schöpft, Farben grenzenlos, mit aus der Tube gedrückter Pastosität aufträgt, sie traktiert, mit Handflächen und Fingern durchfurcht, um so größte Direktheit und Unmittelbarkeit des Ausdrucks zu erlangen. Dichte, differenzierte Monochromie, wie in den vielschichtigen Übermalungen, oder asketische, dem Informel ähnliche Zeichensetzung, die in den Vertikal- und Zentralgestaltungen räumlich gefestigt zur Architektur wird, sind nur zwei jener vielen Seiten, die Rainers Gesamtwerk aufweist.

So wie Arnulf Rainer ein sensibler Seismograf im Spannungsfeld geistiger Unruhe ist, ist er auch - aus der globalen Sicht auf das Gesamtwerk - ein Künstler, der um den Stellenwert der Konsolidierung weiß. Im Rahmen der Rezeption seines Ruvres zeigt sich dann auch deutlich, dass bestimmte Provokationen von einst, denen man oft nur Ungenügen attestierte, später mit ortsüblicher Gewöhnung akzeptiert wurden. Der Prozess ästhetischer Aneignung ist lang und zäh, aber er holt immer nach, was im Status nascendi Unruhe und Verwirrung stiftet.

Rainers Interesse gilt allen Kunstäußerungen. Es reicht in die intimsten Bereiche der Psyche und des Verhaltens und beansprucht sämtliche Kraftfelder der Malerei, Grafik und Fotokunst. Bis heute ist Rainer ein Neugieriger geblieben, an Erfahrung von Mal zu Mal gewachsen, mit schnellem, abgrundtiefem Blick, in allen Büchern belesen wie kaum ein zweiter. Er hat sich bereits als ganz junger Künstler Phänomenen zugewandt, die die Randzonen und Grenzüberschreitungen der Kunst betrafen, wie etwa die Werke von Außenseitern, der Maler und Zeichner aus Gugging oder der großen, echten Naiven, deren elementare, ganzheitliche Kraft und Unabdingbarkeit Qualitäten sind, die er auch selbst anstrebt.

Von abermals beachtlicher Vielseitigkeit und in gewisser Weise auch Synthese früher gemachter Erfahrungen ist Rainers neuestes Ruvre, in dem der Künstler wiederholt um die Synchronisation heterogen zueinander eingesetzter Stilmittel und Tendenzen bemüht ist. Das reproduktiv verwendete Fotofragment bekannter Gemälde oder Skulpturen aus der Kunstgeschichte bildet dabei in der Regel das zentrale Motiv der Neuschöpfung. Dieser an sich schon ergiebige, Assoziationen und Emotionen weckende Ausgangspunkt einer - einseitig - aktivierten Zusammenarbeit über die Zeiten, wird wesentlich durch neue Ausschnittbestimmung und Übermalung aktiviert und verändert. In ähnlicher Weise wie bei Rainers "Schleierbildern", hier jedoch entscheidend durch Typus und Art der Darstellungen mitbestimmt, entwickelt der Künstler ein enormes malerisches Potenzial unterschiedlicher Vorgänge, um ebenso kraftvoll wie sensibel in einer großen Skala von Differenzierungen seinem komplexen Gesamtthema und Anliegen gerecht zu werden.

Dialog mit Kunstgeschichte

Dazu kommt die Serientäterschaft des Malers, seine Vorliebe für Abfolgen, Zyklen, zusammenhängende Werkgruppen. Rainers gleichzeitiges, etappenweise vollzogenes Arbeiten an Serien entspricht nicht nur persönlicher Vorliebe, sondern ist unzweifelhaft auch Fazit einer künstlerischen Haltung und Praxis, die das Konzepthafte und die Veränderung dem fertigen Einzelbild an die Seite stellt und in derartigen, zyklisch zusammenhängenden visuellen Botschaften gebündelte Extrakte unserer Sehweise und ihrer der Kunst vorbehaltenen Metaphern erblickt. Unter diesem Aspekt erschließt sich gerade Rainers neues Werk äußerst vielseitig und überraschend.

Als Schwieriger ist Arnulf Rainer im Sommer 2004 mit dem Ehrendoktorat für Theologie an der Universität Münster ausgezeichnet worden. Er hat zu dem, was sakrale Kunst bedeutet und in der Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg an neuer Qualität erlangte, einen wesentlichen Beitrag geleistet, indem er den ikonografischen Impetus des in unserer Werteskala fest verankerten Kreuzes mit der spontanen Geste des Informel und dem komplexen Geheimnis substanzieller Übermalung verband.

Dass Kunst generell zwischen Sichtbarem und Unsichtbarem eine Brücke schlägt und das Übermalte, Zugedeckte im Sinne von Wissen und Vermutung freigibt, obschon man es nicht sehen kann, ist eine Erkenntnis, die spätestens seit Arnulf Rainer aus Ahnung Gewissheit macht.

* Zum Autor und seinen Künstlerfotografien lesen Sie die Rezension auf Seite 20.

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